O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Ein Traum in der Kirche

LIEDERABEND
(Johannes Brahms, Edvard Grieg)

Besuch am
30. April 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Christuskirche, Meerbusch

Als Ekaterina Porizko, Kantorin der Evangelischen Gemeinde Büderich in Meerbusch, den frisch restaurierten Steinway-Stutzflügel in der Christuskirche in Empfang nehmen durfte, war sie so begeistert, dass sie spontan beschloss, eine kleine Konzertreihe aufzulegen, um ihre Begeisterung gebührend mit der Gemeinde zu teilen. Eine Schönheit ist das Instrument eigentlich nicht, aber der warme Klang kann schon Lust auf mehr machen. Nach einem ersten Abend mit Auszügen aus der Matthäus-Passion folgte ein Konzert mit Mandoline. Heute steht ein Liederabend mit einem eher ungewöhnlichen Programm an.

Eigentlich kann Stella Antwerpen keine Zeit mehr haben, als freischaffende Sängerin aufzutreten. Denn sie hat sich seit ihrem Studium des Gesangs und der Schulmusik die Stimmbildung auf die Fahnen geschrieben, darüber gar promoviert. Heute ist sie hauptberuflich an einem städtischen Gymnasium angestellt, betreut aber nebenbei Chöre, Gesangsensembles, arbeitet nebenbei an einer Volkshochschule und bietet Workshops und Seminare zu dem Thema an. Umso erfreulicher, dass sie sich die Zeit genommen hat, gemeinsam mit Porizko ein Programm für einen Liederabend mit Werken von Johannes Brahms und Edvard Grieg einzustudieren. Das funktioniert nicht so nebenbei, denn zumindest Grieg gehört nicht zum Standardrepertoire eines Liedsängers.

Stella Antwerpen – Foto © O-Ton

Edvard Grieg, geboren 1843 im norwegischen Bergen, wird bis heute in Deutschland vergleichsweise wenig gespielt. Bekannt sind seine beiden Peer-Gynt-Suiten, die Suite Aus Holbergs Zeit und vielleicht noch sein Klavierkonzert. Was ein bisschen daran liegen mag, dass er in Deutschland als der norwegische Komponist schlechthin gilt und damit für das deutsche Konzertrepertoire weniger interessant ist. Seine kritischen Bemerkungen über sein Studium in Leipzig mögen auch nicht förderlich gewesen sein, ihn im Konzertreigen der Romantik übermäßig zu berücksichtigen. Aus seiner Sicht wird aber Deutschland auch keine allzu bedeutende Rolle gespielt haben. Ging es ihm doch darum, eine eigenständige neue skandinavische Musik zu entwickeln. Und so entgeht dem deutschen Publikum ein gut Teil seines eindrucksvollen Werkes. So hat er wertvolle Lied-Literatur hinterlassen, die unter anderem auf Texten von Heinrich Heine, Johann Wolfgang von Goethe oder Henrik Ibsen beruhte. Der bekannteste Liederzyklus ist Haugtussa, ein typisch nordisches Thema nach Arne Garborg, in dem dieser über die Jugendzeit und erste Liebe eines Mädchens mit dem zweiten Gesicht schreibt, das mit der Geisterwelt der Berge in Verbindung steht.

Bevor das Publikum – um die 30 Menschen sind erschienen – in der Christuskirche aber in den Genuss der Griegschen Musik kommt, geht es zunächst um einen Freund Griegs, den zehn Jahre älteren Johannes Brahms. Vier Lieder bringen Porizko und Antwerpen zu Gehör. Ständchen, Meine Liebe ist grün, Wie Melodien zieht es mir und Vergebliches Ständchen erklingen in rascher Folge. Die Qualität des Vortrags ist beeindruckend. Antwerpen kann auf den zu solchen Zwecken üblichen Klavierauszug verzichten, was ihr mehr Beweglichkeit und Natürlichkeit verschafft. Da darf sie schon einen Teil der Bandbreite ihrer Stimme zeigen.

Mit einem Klavierzwischenspiel leitet Porizko zu den Liedern Griegs über. Die Organistin, Pianistin, Glockenspielerin und Dirigentin, die auch noch selbst komponiert, beeindruckt immer wieder mit ihrem überwältigenden Repertoire. Jetzt zeigt sie, dass sie die Sechs poetischen Tonbilder für Flügel von Grieg geradezu verinnerlicht hat, was schon insofern ungewöhnlich ist, dass üblicherweise gerade mal drei dieser Tonbilder vorgetragen werden. Porizko bringt zu Gehör, was das für ein Frevel ist. Denn auch wenn die Bilder unabhängig voneinander für sich stehen, glaubt man doch, in ihrer Gesamtheit einer Geschichte folgen zu können, die durchaus eine eigene Dramaturgie entwickelt. Ganz wunderbar gelingt es der Pianistin, die nötigen Akzente zu setzen, um diesen Eindruck entstehen zu lassen.

Ekaterina Porizko – Foto © O-Ton

Mit den Liedern aus dem Opus 48 zeigt Antwerpen eine breite Palette von Emotionen. Gruß, Dereinst, Gedanke mein, Lauf der Welt, Die verschwiegene Nachtigall und Zur Rosenzeit bieten vom verschmitzten Lächeln bis zur Nachdenklichkeit nicht nur inhaltlich, sondern auch stimmlich ein Portfolio, das ohne Unterschied mit den Werken Brahms‘ Schritt halten kann. Die Sängerin weiß das in Stimmgestaltung, Mimik und Gestik eindrucksvoll umzusetzen, ehe sie mit Ein Traum beweist, dass sie auch mit dramatischen Ausbrüchen in die Höhe nicht die geringsten Schwierigkeiten und daran auch Spaß hat.

Das Publikum erhebt sich von den Kirchenbänken, um lange, herzlich und vollkommen berechtigt zu applaudieren. Mit zarter, ja, zärtlicher Stimme bedankt sich Antwerpen mit der Zugabe von Brahms‘ vielleicht bekanntestem Lied. Wenige wissen mit dem Titel Wiegenlied etwas anzufangen, aber viele bekommen leuchtende Augen, wenn die Worte „Guten Abend, gut‘ Nacht“ erklingen. Bei Antwerpens Vortrag wird die Rührung im Raum greifbar. Ein gelungener Abschluss eines wunderbaren Programms, das mit einer Dreiviertelstunde ein wenig zu kurz ausfällt. Ein Stündchen hätte es schon sein dürfen. Da hätte ein Anhang von einem anderen Freund Griegs schon noch gerade in die heutige Zeit gepasst. Irgendwas von Tschaikowski hätte es da doch sicher geben. Aber wie heißt es so treffend: Wenn es am schönsten ist, soll man gehen. Und schließlich gibt es schon am 14. Mai eine Fortsetzung der Konzertreihe. Dann interpretiert Ekaterina Somicheva Mozart-Arien zur Begleitung von Ekaterina Porizko auf einem wunderbaren Instrument, ehe sich die Stadt Meerbusch dann so ganz langsam auf ihr erstes Festival vorbereitet. Am 11. Juni findet zum ersten Mal MeerMusik unter der künstlerischen Leitung von Ekaterina Porizko statt.

Michael S. Zerban