Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
FRENCH SIDE STORY
(Claude Debussy, Sergei Rachmaninow, Leonard Bernstein)
Besuch am
4. Oktober 2023
(Einmalige Aufführung)
Das junge Unternehmen Klassik aber frisch mit seiner künstlerischen Leiterin Ekaterina Porizko und der Geschäftsführerin Ekaterina Belowa hat sich nicht nur zur Aufgabe gesetzt, neue und ungewöhnliche Konzertformate zu entwickeln, sondern auch den Nachwuchs zu fördern. Im Rahmen einer Konzertreihe laden sie dazu die jungen Künstler in das Alte Küsterhaus im Meerbuscher Stadtteil Büderich ein, wo sie in intimem Rahmen die Möglichkeit bekommen, ihre Fertigkeiten zu zeigen. Das Publikum kommt ebenfalls auf seine Kosten, weil es hier Künstler erlebt, die ihre Karriere bereits begonnen haben, aber noch nicht so oft zu sehen sind.
Heute haben Porizko und Belowa zwei junge Damen eingeladen, bei denen einem der Begriff Nachwuchs nur schwer über die Lippen kommen mag. Seongyeong Bae ist im südkoreanischen Changwon geboren. Mit fünf Jahren begann sie das Klavierspiel, besuchte ein Musikgymnasium und absolvierte den Bachelor am Keimyung University College for Music and Performing Art. Sie gewann zahlreiche nationale Wettbewerbe, nahm unter anderem an der Sommerakademie Mozarteum in Salzburg im vergangenen Jahr teil. Derzeit studiert sie am Standort Aachen der Kölner Musikhochschule auf Master. Dort hat sie auch die gebürtige Düsseldorferin Alica Koyoma Müller kennengelernt, mit der sie seither als vierhändiges Klavierduo auftritt. Müller hat ab ihrem vierten Lebensjahr das Klavierspiel von ihrer Mutter gelernt. Inzwischen hat sie ihr Masterstudium mit Auszeichnung abgeschlossen und bereitet sich auf das Konzertexamen im kommenden Jahr vor. Ihr erstes Album mit dem Cellisten Roger Morelló Ros Schumann goes Tango wurde im April vergangenen Jahres veröffentlicht. Dass die beiden Künstlerinnen gerade mal erst Mitte 20 sind, dürfte wohl das einzige Argument sein, den Begriff Nachwuchs zu rechtfertigen. Das zeigt einmal mehr der heutige Abend.
Foto © O-Ton
Zwar gibt es keinen Programmzettel für das Konzert, aber das ist vielleicht auch gar nicht notwendig, denn abwechselnd kündigen Müller und Bae die jeweils folgenden Abschnitte an. Müller eröffnet den Abend mit dem Komponisten Claude Debussy. Der hatte zwischen 1904 und 1907 die Sammlung von Klavierstücken in zwei Folgen zu je drei Stücken mit dem Namen Images, im Deutschen Bilder, geschrieben. Thematisch ist es eine Tonmalerei über das Wasser, deren bekanntester Teil wohl das erste Stück Reflets dans l’eau – Reflexe auf dem Wasser – ist. Müller widmet sich allerdings den Images II. Schon im ersten Stück Durch Laub hindurch klingende Glocken erklingen exotische Klänge, was zur Zeit der Entstehung für Bewunderung gesorgt haben mag, für heutige Ohren aber vielleicht ein wenig klischeehaft daherkommt. Das muss man dann schon mögen. Mit dem zweiten Stück Und der Mond senkt sich über den vergangenen Tempel wird es melancholischer. Im dritten Stück geht es mit den Goldfischen zurück zum Wasser. Der Kritiker Joachim Kaiser würdigte die Referenzaufnahme von Arturo Benedetti Michelangeli mit den Worten, unter seinen Händen blühe der Flügel auf, das Rubato atme, wirke aber nicht forciert und die Obertöne leuchteten. Die beängstigende Nuancenfülle verkomme bei ihm nicht zum Selbstzweck. Abgesehen davon, dass Müller hier ein Klavier statt eines Flügels zur Verfügung steht, bekommt man genau das zu hören, was Kaiser beschrieb.
Trotzdem wird das Folgende Debussy in den Schatten stellen. Dazu trägt auch das vierhändige Spiel bei, das die Besucher ohnehin erst einmal mehr beeindruckt. Aus den sechs Klavierstücken opus 11 von Sergei Rachmaninow stellen die beiden die Barcarolle, das Scherzo, das Thème russe und den Walzer vor. Da wird die Präzision atemberaubend. Und dass die Pianistinnen selbstbewusst, ungeniert und forsch ans Werk gehen, trägt nicht nur zum Gelingen, sondern auch zur Begeisterung des Publikums bei. Kann man den Wechsel der Klangfarben von Debussy zu Rachmaninow schon als gewagt bezeichnen, wird es im dritten Abschnitt noch einmal richtig überraschend. Denn von Russland geht es locker nach Amerika.
Foto © O-Ton
1957 wurde das Musical West Side Story uraufgeführt, zu dem Stephen Sondheim die Gesangstexte, Arthur Laurents das Buch und Leonard Bernstein die Musik schrieb. Kaum ein Musikstück aus dieser Romeo-und-Julia-Geschichte, das nicht zum Weltschlager wurde. Noch heute reicht es, von bestimmten Stücken die ersten Takte anzuschlagen, um sie wiederzuerkennen und die entsprechende Stelle auf der Bühne vor seinem geistigen Auge auftauchen zu sehen. Von einem Fingerschnalzen ganz zu schweigen. Wenn das ertönt, weiß man bis heute, dass es Cool wird. Aus diesem Musical haben Müller und Bae drei Lieder entliehen und dazu eigene Arrangements für vierhändiges Klavier verfasst. Und sie haben das richtige Gespür gehabt, damit die Stimmung im Saal auf den Siedepunkt zu treiben. Dabei reicht es eigentlich schon, die Titel zu nennen. Die beiden beginnen mit America, eingeschmolzen auf die Essenz. Da fällt es schwer, ruhig auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Und bei I feel pretty muss man aufpassen, nicht gleich mitzusingen. Ganz wunderbar auch bei Mambo der Überraschungseffekt des Ausrufs „Mambo!“ mit dem nachfolgenden Doppelklatscher, ganz frech und offen vorgetragen, der in der orchestrierten Fassung nicht halb so knallt wie hier die Reitpeitsche in der Luft. Um im Amerikanischen zu bleiben: Amazing!
Und zugleich offenbart sich die größte Schwäche dieses Abends: Er ist zu Ende. Immerhin weiß Bae das nach gehörigem Applaus abzumildern, indem sie noch eine auf drei Minuten verkürzte Version der Variations for Piano opus 41 von Nikolai Kapustin aus dem Jahr 1984 hinzugibt. Aber auch hier hätte man noch mehr hören mögen.
Ein ungewöhnliches Programm, das nicht mit Schwierigkeiten spart, die die Pianistinnen mit Leichtigkeit meistern, zwei junge, selbstbewusste, fantasievolle Frauen, denen die Welt zu Füßen liegt – was will man von einem Konzertabend mehr erwarten? Na, die baldige Fortsetzung natürlich.
Michael S. Zerban