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Glaubt noch irgendjemand an Zufälle? Diese Oper ist das Ergebnis eines solchen glücklichen Zufalls: Tilde Björfors, die Leiterin der zeitgenössischen Kompanie Circus Cirkör aus Südschweden, war 2015 für die schwedische Uraufführung von Philip Glass‘ Oper Satyagraha in Stockholm verantwortlich – die war mit über 70 Aufführungen ein großer Erfolg. Im November 2017 besuchte Philip Glass Malmö aus einem anderen Anlass. Es ergab sich die Gelegenheit, dass er Björfors bei einem Abendessen kennenlernte. Als Glass erfuhr, dass sie Direktorin einer Zirkusgruppe war, erzählte er ihr, dass er vor Jahren die Rechte an einer Gedichtsammlung des amerikanischen Dichters Robert Lax, der von 1915 bis 2000 lebte, mit dem Titel Circus Days and Nights gekauft hatte, in der das Zirkusleben metaphorisch mit dem Kreislauf des Lebens verglichen wird. Björfors blieb der Atem stehen – und hier ist der erstaunliche Zufall – denn sie hatte genau diese Gedichtsammlung in den letzten vier Jahren praktisch täglich gelesen! Nun ist die Oper, die in Koproduktion mit der Malmöer Oper entstanden ist, das Produkt dieser schicksalhaften Begegnung.
In Circus Days and Nights stellen die echten Mitglieder des Circus Cirkör den Ablauf ihres täglichen Lebens nach: Auftritt in einer Stadt, danach Zelt und Takelage abbauen, einpacken, zur nächsten Station der Tournee fahren, sich für den Abend ausruhen. In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages wird das Zelt wieder aufgebaut, die Künstler proben und dann findet die nächste Vorstellung statt. Robert Lax hatte von diesem Lebensstil geschwärmt, war fasziniert gewesen von diesem sich ständig wiederholenden Ablauf. Für ihn bedeutete ein Leben im Zirkus die Konzentration auf das Wesentliche – alles Überflüssige wird abgeworfen, bis das Wesentliche zum Vorschein kommt.
Foto © Mats Bäcker
David Henry Hwang und Tilde Björfors haben das Libretto auf der Grundlage dieses Gedichtbandes gemeinsam verfasst. Die Geschichte wird aus der Sicht von Lax erzählt – er erscheint in drei Lebensabschnitten: Methinee Wongtrakoon verkörpert ihn als heranwachsender Junge, der vom Zirkus fasziniert ist, bei Sopranistin Elin Rombo ist er ein junger Mann, der tatsächlich mit diesem Zirkus eine Zeit lang herumreist, und Bassbariton Jakob Högström ist Lax dann als alter Mann, der über den Kreislauf des Lebens und den Zirkus philosophiert. Einer von diesen Charakteren ist immer auf der Bühne und kommentiert singend das Treiben der Truppe.
Den Kern formt die Cristiani-Familie – beide Eltern sind die Ringmeister, der älteste Sohn Mogador ist Luftakrobat, Rastelli ein Jongleur, La Louisa Meisterin auf dem Trapez, eine bärtige Dame und ein junger Löwenbändiger ohne Löwen vervollständigen das Bild. Es gibt keinen Hauptdarsteller, aber jeder hat einen Solo-Auftritt. Alle Darsteller sind tatsächliche Zirkusartisten, und als solche sind die von ihnen gezeigten akrobatischen Nummern echt.
Die Musik ist unverkennbar Philip Glass. Fröhliche und beschwingte synkopische Rhythmen, mit einem Schuss melancholischer Würze, webt das siebenköpfige Ensemble seine Magie. Obwohl die Zirkusnummern per Definition hochpräzise und immer gleich sein müssen, werden diese Nummern von Menschen ausgeführt und sind daher nie mechanisch geklont. Und so reflektiert auch die Musik unterschiedliche Akzente und Wendungen, während sie den kreisförmigen, sich immer wiederholenden Lebenszyklus durchläuft. Die Musiker – auch in aufwändigen Kostümen – sind auf mobilen Wagen platziert, die unter der Leitung von Minna Weurlander am Akkordeon auf der Bühne bewegt werden.
Magdalena Åberg schuf zauberhafte Bühnenbilder und Kostüme mit einer Anspielung auf die Vergangenheit: Die ikonische Ästhetik der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama hat sicherlich das Kleid der Frau des Zirkusdirektors inspiriert, mit seinen schwarzen Tupfen auf gelbem Grund und der Kürbisform. Das epochale Triadische Ballett der frühen Bauhaus-Ära in den 1920-er Jahren, entworfen vom Künstler Oskar Schlemmer, mit seinen urwüchsigen Farbblockierungen dürfte für viele der anderen umwerfenden Kostüme Pate gestanden haben. Auch das Zelt und seine Takelage muss erwähnt werden, denn das unbelebte Objekt hat ein Eigenleben, ja eine eigene Choreografie – die riesigen Flächen aus weißem Stoff zusammen mit der komplizierten Takelage und dem kreisförmigen Laufsteg, alles unter der Kontrolle von Saar Rombout, ist am beeindruckendsten, wenn es ab- und wieder aufgebaut wird und trägt zum Thema bei, weil die kleinsten Elemente genauso wichtig für das gesamte physische und philosophische Thema der Inszenierung sind.
Gemeinsam haben Philip Glass und Tilda Björfors sowie die gesamte Besetzung und Crew eine Show geschaffen, die weit mehr ist als nur die Summe ihrer Teile – sie ist eine Liebeserklärung an das Leben und die Kreativität.
Zenaida des Aubris