O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jochen Quast

Aktuelle Aufführungen

Falsch verbunden

DIE MENSCHLICHE STIMME/AM TELEFON
(Francis Poulenc, Gian Carlo Menotti)

Besuch am
28. August 2020
(Premiere)

 

Theater Lübeck

Die menschliche Stimme hat alle guten Aussichten, die meistgespielte Neuproduktion dieses Corona-Jahres an den deutschen Opernhäusern zu werden. Allein in Norddeutschland wird das Werk in den kommenden Wochen nach Lübeck als erstem Haus auch noch in Bremen und Hamburg zu erleben sein. Dabei gebührt Lübeck in gewisser Weise auch der Vortritt, nachdem 1963 auch die deutsche Erstaufführung hier stattgefunden hat. Das Werk wird in der französischen Originalsprache gegeben.

Francis Poulencs nach einer Textvorlage von Jean Cocteau 1959 in Paris uraufgeführte Monooper ist ein Solostück für eine Sopranistin, deren Liebhaber sie nach einer mehrjährigen Beziehung verlassen will. Sie befindet sich allein in ihrer Wohnung und führt über die gesamte Länge der rund 40-minütigen Handlung ein einsames Telefonat mit ihrem Geliebten.

In steigender Verzweiflung versucht sie zunächst Selbstsicherheit und Beiläufigkeit vorzutäuschen, später auch durch die Schilderung ihres Selbstmordversuches den Mann zurückzugewinnen. Dabei erlebt man nur die Frau allein in ihrem Zimmer, den Partner sieht und hört man nicht, sein Agieren ist für den Zuschauer aus den Reaktionen der einsamen Frau am Telefon zu imaginieren.

Die musikalischen Linien werden immer wieder abgebrochen, wobei die wiederholte Unterbrechung der Telefonverbindung gezielt zur dramaturgischen Steigerung von Hektik und Sprachlosigkeit eingesetzt werden. Hoffnung und Angst steigert sich zur Verzweiflung.

Die Inszenierung von Bernd Reiner Krieger nach einem Konzept von Viebeke Andersen und Rainer Vierlinger strebt nicht nach abstrakter, psychologischer Überhöhung, sondern setzt durch feinnervige Personenführung ganz auf den inneren Monolog der Frau. Das Bühnenbild von Andersen besteht aus einer schräg stehenden, leicht erhöhten, und eng begrenzten Spielfläche, lediglich mit einem Sessel und einer Stehlampe ausgestattet. In der einfühlsamen Lichtregie von Falk Hampel agiert die Protagonistin umgeben von der Dunkelheit ihrer Einsamkeit.

Foto © Jochen Quast

María Fernanda Castillo als Frau gelingt eine ungemein bezwingende gesangliche und darstellerische Umsetzung. Von der ersten Sekunde an zieht sie die Zuschauer in ihren Bann und lässt sie nicht wieder los. Wie in einem offenen Buch kann man in ihrem Gesang und Spiel Hoffnung, Angst, Verführungsversuche, Schmerz und Verzweiflung nachlesen. Die wenigen ruhigen und von banger Zuversicht getragenen längeren Melodiebögen wirken wie jenseitige Ruhepole in den hektischen, immer wieder unterbrochenen Sprechgesangspassagen. Immer verzweifelter zieht sie am Telefonkabel, bis es schließlich wie ihr Schicksalsband reißt und sie nicht nur von ihrem Geliebten getrennt wird, sondern den Selbstmord vollzieht.

Als buffoneskes Gegenstück folgt Carlo Menottis 1947 in New York uraufgeführte gut 20-minütige Kammeroper Das Telefon oder  L’Amour à trois in der englischen Originalsprache.

In der Regie von Rainer Vierlinger und der Ausstattung Vibeke Andersen erleben wir die telefonsüchtige Lucy, die in ihrem Apartment mit einer ganzen Armada von Telefonen ausgestattet ist. Immer wenn ihr Freund Ben ihr eine wichtige Mitteilung – nämlich seinen Heiratsantrag – machen will, klingelt ein anderer Apparat. Lucy verbringt dann die nächsten Minuten in sinnlosem Tratsch mit ihren Freundinnen oder mit falsch verbundenen Personen. Nachdem Ben schließlich auf eine Geschäftsreise aufbrechen muss, kann er sie später doch noch per Telefonanruf persönlich erreichen und seinen Antrag stellen. Lucy ist überglücklich und akzeptiert, nicht ohne ihn zu ermahnen, dass er nie ihre Telefonnummer vergessen soll. Während sie zuvor an allerlei altertümlichen Telefonen zu bewundern ist, spricht sie diese Ermahnung dann ganz unvermittelt auf ein hochmodernes Handy.

Andrea Stadel und Johan Hyunbong Choi als Lucy und Ben geben das Kammerspiel mit scheinbar müheloser Stimmbewältigung und trocken-komischem Spielgestus, der dem angelsächsischen Ursprung der Vorlage perfekt gerecht wird. Dabei hat Stadel die dankbarere Partie der schwatzsüchtigen, eitlen Lucy, die ihren Ben wohl auch im späteren Leben so manches Mal – und nicht nur wegen der Telefone – vergessen wird.

Beide Werke beweisen in Zeiten dieser erzwungenen menschlichen Distanz und nachgerade zwanghaften Konzentration auf die Medien der Audio- und Videotechnik ihre Aktualität. Die technischen Probleme abbrechender Verbindungen sind auch heute ganz offensichtlich oft noch so wie in den fünfziger Jahren. Die Wandlungen in der Kommunikation der Menschen untereinander haben sich über die Jahrzehnte nur vermeintlich geändert.

Während das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck in der menschlichen Stimme getrennt durch einem Gazevorhang hinten auf der Bühne positioniert ist, spielt es im zweiten Teil im Orchestergraben. Insbesondere das Spiel auf der Bühne und hinter der Protagonistin bekommt der sinnlichen Klangkomponente der Poulenc-Partitur sehr gut. Die Stimme ist klangschön in das Orchesterspiel integriert. Handwerklich eine Meisterleistung der Balance zwischen der Sängerin und dem Orchester. Lübecks Generalmusik- und Operndirektor Stefan Vladar leitet das Team des Hauses mit Umsicht und kann die stark unterschiedlichen Charaktere der Musik der beiden Werke überzeugend gegenüberstellen.

Die Realisierung dieser beiden für Corona-Zeiten geeigneten Werke beweist, dass Theater und Oper wieder möglich sind. Die nervenaufreibende Erarbeitung der Produktion mit beispielsweise Sechs-Meter-Abstandsregel in Singrichtung der Sänger möchte man sich gar nicht vorstellen. Das künstlerische und technische Team der Produktion lässt es den Zuschauer nicht merken.

Das unwirklich und spärlich über die Plätze verteilte Publikum leistet schließlich seinen eigenen Beitrag mit begeistertem Applaus und Bravorufen, insbesondere für María Fernanda Castillo. Der Zuspruch ist so begeistert und lang, dass man für einen Moment vergessen will, wie dezimiert die Reihen sind.

Achim Dombrowski