O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Steve Gregson

Aktuelle Aufführungen

Rheingold mal anders

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)

Besuch am
19. November 2022
(Premiere am 13. November 2022)

 

Regents Opera, London

Vor etwa zehn Jahren hatte der britische Dirigent Ben Woodward die ambitionierte Idee, in London große Opern zu bringen. Ohne großes Budget, ohne viel staatliche Unterstützung, aber mit sehr viel Leidenschaft und mit Zugriff auf viel – vor allem – junges Talent. Auf Englisch nennt man das fringe opera. Unter dem Namen Fulham Oper produzierte er eine Oper nach der anderen, oft nur mit Klavier in einem Kirchraum, aber nie mit reduzierter Qualität. So kam 2011 bis 2014 sein erster Ring zustande.

Nach Covid gab es eine Namensänderung und einen Ortswechsel: Die Fulham Oper firmiert jetzt als Regents Opera. In unmittelbarer Nähe von Covent Garden befindet sich das neue Zuhause: im Grand Temple, wo sich die Londoner Freimaurer normalerweise versammeln.  Das Areal gehört den Freimaurern schon seit 1775. Dieses – das dritte am gleichen Ort – wurde Anfang des 20. Jahrhunderts fertiggestellt, mit imposantem Eingang, prächtig ausgestattet im damaligen Art-Deco-Stil, mit Marmorsäulen, verzierten Deckenkassetten, einer dreistöckigen Orgel und eben dem Grand Temple, der Platz für etwa 1.700 Zuschauer in einem quasi Rundtheater erlaubt. Dieses Konzept birgt auch seine Tücken – in welche Richtung sollen die Sänger singen, wenn das Publikum nahezu rundum sitzt?

Foto © Steve Gregson

Regisseurin Caroline Staunton stellt sich dieser Herausforderung. So wird das Orchester am hinteren Ende des Saales platziert, und die Bühne ragt – den Modenschauen abgeschaut – in das Publikum hinein, und damit entsteht das Dilemma, rechts oder links zu singen. Hieraus resultiert aber auch eine unglaubliche Nähe zum Publikum oder umgekehrt: So nah hat man Wotan oder die Rheintöchter noch nie erlebt. Eben deswegen besteht eine Intimität, die eine fast kammertheatralische Stimmung und Erfahrung erlaubt.

Stauntons Konzept sieht vor, so sagt sie selbst, sich abzuwenden von den Arche- und Stereotypen der Götter, Zwerge und Riesen, und sich auf die emotionale Entwicklung der einzelnen Charaktere zu konzentrieren. Dazu wird dann die Bühne zum Ausstellungsraum. Durch die Nutzung von Podesten für bestimmte Objekte entsteht eine Beziehung zwischen der Kunst und dem Betrachter, es entsteht ein Moment der Alchemie, in dem ein Objekt in einem bestimmten Kontext präsentiert wird und sich selbst anbietet, anders betrachtet zu werden. Der Betrachter seinerseits wird von diesem Moment beeinflusst, verändert, transformiert, so Staunton weiter. Sicherlich wird dieses Konzept sich im Laufe der weiteren Opern dem Zuschauer erschließen. Als Auftakt ist Rheingold als eine Kunstvernissage mit anschließender Cocktailparty und gesellschaftlichen Spielen dargestellt, um am Ende des Abends schon einen Untergang, ein Auseinanderfallen der Beziehungen zu erahnen.

Für Bühnen- und Kostümausstattung zeichnet Isabella van Braeckel verantwortlich. Die Bühne ist eine mit schillernder Folie bedeckte Ebene, die für zusätzliche Lichteffekte sorgt, auf der dann, ähnlich wie in Kunstausstellungen, Objekte auf verschiedenen, im Raum verteilten, Podesten aufgestellt werden: Freias Apfel, der Ring, Wotans Speer, aber auch für Alberichs Froschverwandlung, der auf solch ein Podest hüpft, um daraufhin festgenommen zu werden. Wie schade, dass es nicht einmal einen sichtbaren Beleuchtungswechsel gibt, um den Einzug in Walhalla zu würdigen.  Aber vielleicht wird das ebenfalls als zu stereotypisch empfunden und deswegen gestrichen.

Foto © Steve Gregson

Bei einer reduzierten orchestralen Fassung müssen die Sänger auch nicht ganz so hochdramatisch sein. Dennoch sind es alle schon Wagner-Sänger und haben diese Rollen in ihrem Repertoire. Bariton Keel Watson gibt einen ruhigen, patriarchalischen Wotan. Seine Fricka, Ingeborg Novrup Borch, erfüllt mit ihrem warmen Mezzosopran und natürlicher Autorität ihre Rolle als erzürnte Ehefrau prächtig. Die Erda von Mae Heydorn ist mit dunklem Alt eine fast geisterhafte Erscheinung in Weiß, die auf der glänzenden Folie zu schweben scheint.  Jillian Finnamore, Justine Viani und Mae Heydorn sind die Rheintöchter, die ein sehr wohlklingendes und gespieltes Trio bilden. Charlotte Richardson als Freia fügt sich ihrem Schicksal mit leichter Panik in der Stimme und wird sehr glaubwürdig auf einem Pedestal mit Goldfolie eingehüllt.

Bei den männlichen Rollen fällt James Schouten als Loge auf – ein agent provocateur, fast androgyn, schauspielerisch hervorragend, seine schwingenden Hüften fast zu provokativ. Er hat vor kurzem den Fachwechsel vom Bariton zum Tenor vollführt, und das merkt man in seiner begrenzten Höhe.

Henry Grant Kerswells Fasolt passt in seiner Körperlichkeit zur Rolle. Ebenso wie bei Craig Lemont Walters als Fafner, der hier als sein Gegenspieler mit hornverzierter Brille und eher kleiner Stimme, aber großer Wendigkeit dargestellt wird. Calvin Lee als Froh und Andrew Major als Donner bringen ihren Rollen entsprechendes Temperament und Hingabe. Mime wird von Tenor Holden Madagame gesungen: wendig, mit großer schauspielerischer Fähigkeit, riskiert er seine Stimme, um passend grell zu wirken. Bariton Oliver Gibbs hat sich in den Charakter des Alberich so glaubwürdig eingespielt, dass man nicht merkt, dass er am meisten unter der akustischen Herausforderung des direktionalen Singens in diesem Raum zu leiden hat.

Ben Woodward hat sich seine eigene Orchestrierung geschrieben und reduziert ein volles Wagner-Orchester auf nur 18 Spieler plus Orgelspieler. Der Amboss ist Teil der Ausstattung der Freimaurer und klingt dementsprechend sehr authentisch. Auch die Orgel wird strategisch eingesetzt und trägt zur gesamten Klangfarbe der Partitur bei, beispielsweise beim Gang nach Niebelheim oder als Drache.

Es ist der Verdienst von Woodward, der die musikalische Spannung durchgehend hält, und von Caroline Staunton, die mit begabten Schauspielsängern arbeitet, dass diese orchestral schlankere, aber dennoch dramatische Vollversion so gut funktioniert. Man kann auf die Walküre im nächsten Jahr gespannt sein.

Zenaida des Aubris