O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jonathan Berger

Aktuelle Aufführungen

Optische Opulenz

LA VIE PARISIENNE
(Jacques Offenbach)

Besuch am
22. Dezember 2022
(Premiere)

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Christian Lacroix: Das verspricht Farbe, Geschmack und französischen Esprit. Qualitäten, mit denen der Couturier nach seinem Abschied aus dem Modegeschäft verstärkt im Musiktheater für Schlagzeilen sorgt. So auch mit seiner Inszenierung von Jacques Offenbachs Operette La Vie Parisienne – Pariser Leben – mit der er vor zwei Jahren in Rouen und wenig später in Paris nicht nur als Kostümbildner, sondern auch als Regisseur für positive Schlagzeilen sorgte. Die aufwändige, in Frankreich bereits mit großem Erfolg gezeigte Produktion ist jetzt auch im Lütticher Opernhaus zu sehen. Ein derart luxuriöses Unternehmen, dass sich gleich neun Opernhäuser und Veranstalter an dem Spaß beteiligen.

Dass Lacroix die turbulente Handlung für eine Kostümschau par excellence nutzt, überrascht nicht. In der Tat tobt sich die Mode-Legende mit einer Flut bunter, fantasievoller und alles andere als sparsamer Kreationen aus. Allein alle Choristen wechseln sechs Mal im Verlauf des dreieinhalbstündigen Abends ihre auf jeden Sänger individuell zugeschnittenen Gewänder. Hinzu kommen atemberaubende Kostüme, Perücken und Tournüren für die vierzehn Solo-Partien. Eine opulente Modenschau, die Belle Epoque und Moderne, 19. und 20. Jahrhundert vereint. All das angesiedelt in einem Bühnenbild, das der Entstehungszeit des Werks im Vorfeld der Pariser Weltausstellung von 1867 nachempfunden ist.

Foto © Jonathan Berger

Solisten und Chor führt Lacroix äußerst flexibel mit feinem Esprit und nicht mit dem kalauernden Holzhammer deutschsprachiger Offenbach-Rezeptionen. Es herrscht ein munteres Treiben, bisweilen in slapstickhaft rotierender, an Kintopp und die Commedia dell’arte erinnernder Rastlosigkeit. Eine Offenbachiade in gutem französischem Stil. Sieht man davon ab, dass Offenbachs zeitkritische Spitzen gegen das Zweite Kaiserreich und die sozialen Spannungen im äußerlich prunkvoll herausgeputzten, im Inneren von Unfrieden erschütterten Paris der Zeit in der prächtigen Kostümflut kaum zur Geltung kommen.

Dabei hat es sich Lacroix nicht leicht gemacht, indem er die Rekonstruktion der wesentlich längeren Urfassung gewählt hat, die fast 40 Prozent mehr Musik enthält als die gängigen Versionen. Die Neuentdeckungen enthalten zwar nicht nur Juwelen, enthüllen aber doch auch originelle Überraschungen, wenn Offenbach im letzten Akt mit Augenzwinkern ausführlich Musik aus dem Don Giovanni seines musikalischen Hausgottes Mozart zitiert.

Dramaturgisch zieht sich das Werk durch die musikalischen „Zugaben“ allerdings in die Länge. Was angesichts der musikalischen Qualität durch das nahezu ausnahmslos französisch geprägte Ensemble den Unterhaltungswert nicht unbedingt mindert, aber auch nicht fördert. Zumal Romain Dumas am Pult des Lütticher Orchesters nicht das Maximum aus Offenbachs spritziger Musik herausholt. Dennoch sorgt er für einen flotten Verlauf des langen Abends und beflügelt das wie stets hervorragend zusammengestellte Ensemble zu einer geschlossenen Gesamtleistung.

Begeisterter Beifall für eine anregende, auf allzu billige Effekte verzichtende Offenbach-Produktion, die durch optischen Glanz besticht, weniger durch zeitkritische Schärfe.

Pedro Obiera