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Foto © Jonathan Berger

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Würdiger Abschied von Speranza Scapucci

SIMON BOCCANEGRA
(Giuseppe Verdo)

Besuch am
21. Juni 2022
(Premiere am 17. Juni 2022)

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Giuseppe Verdi bezeichnete sie als seine Lieblingsoper, auch wenn oder gerade, weil sie nicht zu seinen populärsten Werken gehört: Simon Boccanegra, eine der psychologisch feinsten und musikalisch sensibelsten Opern des Komponisten und ein würdiger Ausstand für die Dirigentin Speranza Scappucci, die damit ihre musikalische Direktion an der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich beendet.

Nicht nur würdig angesichts der Qualität des Werks, sondern auch der großartigen Besetzung, wie sie zur Tradition gerade des italienischen Repertoires in Lüttich gehört. Die Geschichte um Simon Boccanegra, den ersten Dogen Genuas im 13. Jahrhundert, ist eng verknüpft mit sozialen Konflikten zwischen Patriziern und Plebejern, denen der Titelheld letztlich zum Opfer fällt. Das politische Umfeld bettet Verdi in eine Vater-Tochter-Romanze, die er einerseits herber, andererseits musikalisch noch zärtlicher ausmalt als die Rigolettos und Gildas. Und der Ober-Intrigant Paolo kann es locker mit Othellos Rivalen Jago aufnehmen.

Die fein instrumentierte, oft oszillierend schillernde Partitur, in der Verdi wenig Wert auf knallige Ohrwürmer legt, bringt Scappucci mit der gebotenen Sensibilität, bei Bedarf aber auch mit der nötigen Kraft leuchtkräftig zum Klingen, wobei sie, was Tempi und Dynamik angeht, sehr rücksichtvoll die Sänger unterstützt.

Foto © Jonathan Berger

Angesichts der ohnehin mit „großen“ Stimmen besetzten Hauptpartien gibt es somit keine Verständigungsprobleme. George Petean präsentiert mit seinem wandlungsfähigen Bariton einen noblen Simon Boccanegra, Federica Lombardi mit ihrem durchsetzungsfähigen, gleichwohl lyrisch weichen Sopran eine ebenso anrührende wie selbstbewusste Amelia, Marc Laho als ihr Liebhaber Gabriele Adorno lässt den metallischen Glanz seines Tenors effektvoll, mitunter allzu kräftig tönen, Riccardo Zanellato überzeugt als Fiesco mit seinem samtschwarzen Bass und Lionel Lhote verkörpert mit seinem substanzreichen Bariton einen hintergründig und hinterhältig agierenden Paolo.

Regisseur Laurence Dale verzichtet, wie üblich in Lüttich, auf modernisierende Eingriffe und belässt die Handlung in ihrem historischen Ambiente. Und das in außergewöhnlich aufwändigen Dekorationen von Gary Mc Cann mit überdimensionalen Fresken und Thronszenen. Ganz im Sinne einer „Grand Opéra“, wobei Dale die Personenführung nicht vernachlässigt, so dass die psychologischen Feinheiten nicht zu kurz kommen.

Ein würdiger Abschluss einer fünfjährigen Phase der Lütticher Oper unter der Leitung einer Dirigentin, die das Ansehen des Hauses als eines der vokal am besten aufgestellten Opernhäuser Europas bestärkte.

Speranza Scappucci, geboren in Rom, studierte zunächst Klavier. Ihre glänzende Ausbildung als Pianistin an der New Yorker Juilliard School und am Conservatorio di Musica Santa Cecilia in Rom befähigte sie dazu, sich an etlichen internationalen Opernhäusern, unter anderem an der Wiener Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen, als Korrepetitorin ein großes Opernrepertoire zu erschließen. Gelegentlich griff sie auch zum Taktstock und wurde ermuntert, die Fähigkeiten auszubauen und ist mittlerweile weltweit als Dirigentin tätig. Lüttichs inzwischen verstorbener Intendant Stefano Mazzonis di Pralafera begegnete der jungen Dirigentin mehrmals und konnte sie in Pesaro dafür erwärmen, in Lüttich Verdis wenig bekanntes Frühwerk Jérusalem zu dirigieren. Mit so großem Erfolg, dass er ihr die musikalische Direktion des Hauses anbot.

Zu ihrem Nachfolger wurde der italienische Dirigent Giampaolo Bisanti bestellt.

Fünf Jahre leitete Scappucci als musikalische Direktorin die Geschicke der Lütticher Oper. Mit dieser Saison endet ihre Amtszeit. In einem Gespräch blickt die Dirigentin auf ihre Zeit an der Maas zurück.

Speranza Scappucci – Foto © Dario Acosta

Fünf Jahre Opéra Royal de Wallonie Liège. Welches Resümee ziehen Sie aus dieser Zeit?

Scappucci: Es war meine erste Stelle in leitender Funktion, und ich habe wertvolle Erfahrungen im Umgang mit den vielen Anforderungen machen können, die einem ein Opernhaus mit Orchester, Chor, Solisten und großen szenischen und technischen Teams abverlangt. Hilfreich und beglückend war es, dass ich immer mit großartigen Sängern arbeiten konnte.

Erinnern Sie sich an besondere Höhepunkte?

Scappucci: Das Wichtigste war die Vielfalt des Repertoires, auch wenn sich angesichts meiner bisherigen Karriere als Operndirigentin und dem Profil des Lütticher Hauses die italienische Oper als Schwerpunkt herausstellte. Da fand ich besonders eindrucksvoll Bellinis I Puritani, aber auch schon meinen Einstand mit Puccinis Manon Lescaut. Ich bin aber auch dankbar, etwas ganz anderes wie Tschaikowskys Eugen Onegin geleitet haben zu dürfen.

Einen ewigen Abschied von Lüttich müssen wir aber nicht befürchten?

Scappucci: Nein. Ich werde hier jedes Jahr eine Produktion dirigieren. In der kommenden Saison Francis Poulencs Oper Dialogues des Carmélites. Poulenc schätze ich sehr und habe mich mit ihm schon als Pianistin und Konzertdirigentin intensiv befasst.

Wie sehen Ihre zukünftigen Pläne aus? International sind Sie ja gut aufgestellt. Sie haben unter anderem in mehreren amerikanischen Metropolen, an der Wiener Staatsoper und im Januar dieses Jahres zum ersten Mal an der Mailänder Scala dirigiert.

Scappucci. Ich kann mich über Mangel an Einladungen nicht beklagen und genieße es, in der nächsten Zeit frei arbeiten zu können, unter anderem in Paris und New York. Die Mailänder Produktion mit Bellinis I Capuleti e Montecchi an einem so berühmten Haus hat mich natürlich besonders beeindruckt. Ich freue mich aber auch auf das Wiedersehen mit dem Lütticher Publikum.

Pedro Obiera