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Foto © Jonathan Berger

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Freiheitskampf mit Fragezeichen

I LOMBARDI ALLA PRIMA CROCIATA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
19. Mai 2023
(Premiere)

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Eine Verdi-Produktion in gewohnter Lütticher Tradition: Mit starken Stimmen in einem aufwändigen, aber recht statischem szenischem Ambiente stößt die Neuinszenierung von Giuseppe Verdis früher Oper I Lombardi beim Premieren-Publikum auf uneingeschränkte Zustimmung.

In der Tat erwartet die Besucher der dreistündigen Aufführung packendes Musiktheater, auch wenn die enormen vokalen Ansprüche selbst die Lütticher Oper an ihre Grenzen führen und den ideologischen Problemen des Stücks in der Inszenierung von Sarah Schinasi geschickt ausgewichen wird. Mit I Lombardi alla Prima Crociata – Die Lombarden auf ihrem ersten Kreuzzug – setzte Verdi 1843 seine Erfolgsserie unmittelbar nach dem durchschlagenden Triumph des Nabucco fort. Verständlich, dass er für die Lombardi ein ähnliches, bewährtes Sujet wählte und die effektvollen musikalischen Ingredienzien übernahm. Im Fahrwasser der italienischen Unabhängigkeitsbewegung kam damals auch die Befreiung Jerusalems von der sarazenischen Herrschaft gut an. Das Problem: Während der Kampf des versklavten israelischen Volks gegen die babylonischen Unterdrücker in Nabucco ethisch unverdächtig goutiert werden kann, hinterlässt die brutale Okkupation Jerusalems durch die Kreuzritter einen schalen Nachgeschmack. Wobei Verdi selbst die moralische Legitimität nicht eindeutig, teilweise sogar widersprüchlich zum Ausdruck bringt und die politisch-religiösen Konflikte durch ein ganzes Gestrüpp privater Krisen und Fehden der verwandtschaftlich oder durch Amouren miteinander verbundenen Protagonisten überlagert.

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Auch die Regisseurin geht den ideologischen Konflikten aus dem Weg. Auf der neutral gehaltenen, meist leeren Bühne unterscheiden sich die Kreuzfahrer und die Moslems zwar durch ihre Kostüme, präsentieren sich aber inaktiv wie Schaufensterpuppen. Sie handeln weder gut noch böse, sondern gar nicht. Zu sehen sind anmutige Tableaus, die den musikalisch grandiosen Chorszenen viel Platz bieten. Etwas munterer geht es zwischen den Protagonisten zu. Aber auch hier ist Schinasi vor allem darum bemüht, die Solisten so zu postieren, dass sie ihre anstrengenden Gesänge vorteilhaft über die Rampe bringen können.

Die Chorszenen in den Lombardi beeindrucken mindestens so stark wie die des Nabucco. Und so gebührt dem voluminös, aber auch differenziert singenden Chor der Lütticher Oper ein Sonderlob. Gleich zwei große Tenorpartien erleichtern nicht gerade die Besetzung des Werks. Als Oronte, den sarazenischen Liebhaber der entführten Christin Giselda, steht mit Ramón Vargas ein äußerst erfahrener Sänger auf der Bühne. Auch wenn seine brillanten Spitzentöne immer noch sitzen, wirkt sein Gesang doch mittlerweile ein wenig angestrengt. Matteo Roma als lombardischer Anführer Arvino kann dem Volumen und der Energie seines Kollegen nur wenig entgegensetzen. Wohl aber der Bassist Goderdzi Janelidze als Arvinos in Ungnade gefallener und später geläuterter Bruder Pagano. Ein Sänger mit einer raumsprengenden, mühelos ansprechenden Stimme. Vor Intensität sprüht Salome Jicia in der weiblichen Hauptrolle der Giselda, die ihren Orsone noch kurz vor seinem Ableben zur Taufe bewegen kann. Eine Rolle mit ähnlich wahnwitzigen Anforderungen wie die der Abigaille im Nabucco. Jicias Sopran überzeugt mit wunderbaren Legato-Bögen in der Mittellage und seidenweichen Pianissimi in den Höhen. Die extrem dramatischen Höhenflüge fordern allerdings auch ihr das Letzte an Kondition ab.

Daniel Oren führt am Pult des Verdi-erfahrenen Lütticher Orchesters mit sicherem Gespür für die effektvollen, aber auch subtilen Töne der Partitur durch den kurzweiligen Abend.

Pedro Obiera