O-Ton

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Foto © Jonathan Berger

Aktuelle Aufführungen

Läuterung eines christlichen Tyrannen

ALZIRA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
25. November 2022
(Premiere)

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Der offizielle Einstand Giampaolo Bisantis als neuer Chefdirigent der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich gelingt auf ganzer Linie. Auch wenn mit der frühen Oper Alzira ein Werk auf dem Programm steht, das nicht zu den besten Giuseppe Verdis gehört und selbst unter den weniger bekannten Opern des Meisters ein besonders tristes Mauerblümchendasein fristet. Sowohl Bisanti als auch Intendant Stefano Pace erfüllen mit der Wahl einen Wunsch des verstorbenen Intendanten Stefano Mazzonis di Pralafera. Und zwar mit der gleichen Hingabe wie für Glanzlichter wie Verdis Rigoletto oder Donizettis Anna Bolena, die Bisanti bereits in Lüttich dirigierte.

Für die Besetzung der anspruchsvollen Partien stellte man, wie gewohnt, ein handverlesenes, Genre-erprobtes Ensemble zusammen. Dass jeder der noch so erfahrenen Solisten mit einem Rollen-Debüt aufwarten kann, unterstreicht den Außenseiterrang des Werks, das selbst in Italien seit der Uraufführung 1845 nahezu in Vergessenheit geraten ist. Vergleiche mit den wenige Jahre später entstandenen Geniestreichen Rigoletto und La Traviata sollte man nicht anstellen. Für psychologische Feinheiten gibt das skurrile Libretto wenig her. Entsprechend konventionell, wenn auch durchaus hörenswert, bewegt sich die Musik in den Bahnen Bellinis und Donizettis.

Foto © Jonathan Berger

Die Handlung geht auf eine Tragödie Voltaires zurück. Alzira ist die Tochter eines Inka-Königs, die den brutalen und verhassten spanischen Gouverneur Gusmano heiraten soll, um die blutigen Kämpfe zwischen den Ureinwohnern und den spanischen Imperatoren zu beenden. Eine Zwangsheirat, der die Liebe Alzira zum Stammeshäuptling Zamoro im Wege steht. Der stößt vor der Eheschließung Gusmano einen Dolch in die Brust. Im Sterben wandelt sich der blutrünstige Tyrann in einen mildherzigen Christen, der dem Liebespaar seinen Segen gibt. Ein Finale, das nicht zu den glaubwürdigsten und stärksten der Operngeschichte zählen dürfte.

Regisseur Jean Pierre Gamarra umgeht geschickt die mitunter klischeehaften Fallstricke in der Darstellung der Inkas und der Spanier und konzentriert sich auf das konfliktreiche Dreiecksverhältnis der Protagonisten. Und das versiert, ohne aktualisierenden Ehrgeiz und folkloristischen Glimmer. Dadurch vermeidet er allzu stereotype Kontraste zwischen dem leidenden Inka-Volk und den spanischen Berserkern, aber auch ohne Glorifizierung des zum Paulus gewandelten Gusmano als Geste der moralisch überlegenen Christenheit.

Die Musik ist insgesamt gröber gestrickt als die der psychologisch feineren Folgewerke des Komponisten. Und Bisanti lässt es auch kräftig tönen, was die Sänger bisweilen unter Druck setzt. Francesca Dotto, eine exzellente Sopranistin im lyrisch-dramatischen Grenzbereich, bewältigt die große Titelpartie beeindruckend, auch wenn ihre Stimme unter dem dynamischen Hochdruck bisweilen in unruhiges Flackern gerät. Und Luciano Ganci als Zamoro, einer der an sich zuverlässigsten Tenöre Italiens, singt permanent so forciert, dass ihm nach der Pause die Stimme wegbricht. Giovanni Meoni in der Rolle des geläuterten Bösewichts Gusmano hält der Belastung mit seinem robusten Bariton tapfer stand. Tadellos wie gewohnt sind auch die kleineren Partien besetzt. Und auch der Chor der Lütticher Oper sorgt für eindrucksvolle Akzente. Bisanti garantiert mit seinen zügigen Tempi einen kurzweiligen Ablauf des Abends. Dass nur wenig feine, delikate Klänge zu hören waren, daran ist die für Verdi ungewöhnlich grob gestrickte Musik nicht unschuldig. Man darf gespannt sein auf Bisantis nächsten Einsatz bei Bellinis Sonnambula Ende Januar.

Begeisterter Beifall für einen vitalen Opernabend.

Pedro Obiera