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ADRIANA LECOUVREUR
(Francesco Cilea)
Besuch am
11. April 2023
(Premiere)
Kantabler Süßstoff aus Italien, starke Stimmen und opulente Bilder: Auch mit der Neuinszenierung von Francesco Cileas Eifersuchtsdrama Adriana Lecouvreur bleibt die Royal Opera de Wallonie ihrer von praller italienischer Theaterluft erfüllten Konzeption treu. Und das mit großem Erfolg, wie die überschwänglichen Reaktionen des Publikums auf die dreistündige Premiere zeigen.
Obwohl die 1902 in Mailand uraufgeführte, mit vier anspruchsvollen Hauptrollen schwer zu besetzende Oper relativ selten zu sehen ist, stand sie bis vor kurzem auch auf dem Spielplan der Deutschen Oper am Rhein. Während man die Handlung in Düsseldorf und Duisburg in eine schillernde Hollywood-Szenerie transformierte, bleibt Regisseur und Bühnenbildner Arnaud Bernard in Lüttich dem Paris des frühen 19. Jahrhunderts verbunden. Auf Rokoko-Perücken der ursprünglich 1730 angesiedelten Handlung verzichtet er allerdings.
Die begnadete Schauspielerin Adriana Lecouvreur ist ebenso unsterblich in den sächsischen Grafen Maurizio verliebt wie die verheiratete Fürstin von Bouillon. Neben balsamisch empfindsamen Arien der Titelheldin und emphatischen Liebesduetten stehen die Konkurrenz-Duelle der beiden Rivalinnen im Mittelpunkt. Ränkespiele, die im Gifttod Adrianas gipfeln. All das ist eingebettet in ein Umfeld, das effektvolle Einblicke in das muntere Treiben hinter der Bühne der Schauspieltruppe, aber auch der bigotten Moral von Adel und Klerus erlaubt. Chor und Ballett sind reichlich beschäftigt. Und die Regie hält alle Beteiligten durchgängig auf Trab. Was die Chor- und vor allem Personenführung angeht, ist die Lütticher Produktion der Düsseldorfer um mindestens eine Klasse überlegen.
50 Jahre vor der Oper feierte das Stück bereits als Schauspiel mit der legendären Sarah Bernhardt in der Titelrolle große Erfolge. Arnaud lässt die Sopranistin Elena Moşuc in Anlehnung an die große Diva bisweilen sehr theatralisch gestikulieren. Durchaus legitim, ist doch die ganze Oper aus dem kulinarischen Stoff gestrickt, der zu viel Realismus ohnehin nicht verträgt. Dazu trägt auch die reizvolle, bisweilen verführerisch einschmeichelnde Musik bei, die Puccinis Manon Lescaut an Süße noch übertrifft.
Foto © Jonathan Berger
Die Adriana war auch eine Lieblingsrolle der unvergessenen Renata Tebaldi, die einst darauf bestand, das Stück, sehr zum Unwillen von Intendant Rudolf Bing, an der New Yorker Met aufzuführen. Eine Tebaldi ist Elena Moşuc zwar nicht, aber die Gratwanderung zwischen der selbstbewussten Diva und einer innerlich verletzlichen und am Ende still leidenden Frau gelingt ihr vortrefflich. Mit weichen, weitgespannten Kantilenen und eindrucksvollen Ausbrüchen. Nur selten gerät die Stimme in unkontrolliert scharfe Gewässer. Zur packenden Intensität der Auseinandersetzungen zwischen Adriana und der Fürstin trägt wesentlich Anna Maria Chiuri in der Rolle ihrer Rivalin bei, die sowohl gestalterisch als auch stimmlich für markante Kontraste zum eher mädchenhaften Charisma der Titelfigur sorgt. Ihr Mezzo ist metallischer geprägt, wodurch sie der Rolle zu einem scharf geschnittenen Profil verhilft.
Wie in vielen italienischen Opern bestimmen auch bei Cilea Frauen den Impuls der Handlung. Der jugendliche Tenor hat vor allem als Spielball der Leidenschaften zu dienen und muss, besonders wichtig, schöne Töne produzieren. Damit kann in Lüttich Luciano Ganci beeindruckend dienen, auch wenn er die Spitzentöne ein wenig forciert herauspresst. Der vierte im Bunde des Protagonisten-Quartetts ist der Theaterleiter und stille und entsagende Liebhaber Michonnet, den Mario Cassi mit seinem noblen Bariton kultiviert gestaltet. Zuverlässig und spielfreudig wie immer sorgt der Chor für einigen Wirbel auf der Bühne. Und die zahlreichen kleineren Partien sind ebenso rollendeckend besetzt.
Es mag auf den ersten Blick erstaunen, dass am Pult des hörbar Genre-erfahrenen Orchesters mit Christopher Franklin ein Amerikaner steht, wo doch Intendanz und Musikalische Leitung des Hauses seit Jahrzehnten von italienischen Kräften geführt werden. Aber Franklin hat sich international als exzellenter Kenner der italienischen Oper bewährt und enttäuscht auch diesmal nicht. In den lyrischen Passagen trägt er die Titelheldin geradezu auf Händen. Und auch die dramatischen Zuspitzungen und die groß besetzten Tableaus gestaltet er mit viel Übersicht und treffsicherem Stilgefühl.
Das Publikum reagiert mit langanhaltendem, begeistertem Beifall. Am 19. Mai geht die italienische Reise mit Verdis Frühwerk I Lombardi weiter.
Pedro Obiera