Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Wajdi Mouawad wurde 1968 im Libanon geboren. Mit acht Jahren nahmen ihn seine Eltern mit nach Frankreich. Weil sie dort kein Bleiberecht erhielten, ging es weiter nach Kanada. Dort studierte Mouawad Schauspiel und gründete seine erste Theatergruppe. Nach einigen weiteren Stationen in Kanada wurde er nach Frankreich eingeladen, wo er seit 2016 Direktor des Théâtre national de la Colline in Paris arbeitet. Es vergehen keine fünf Jahre, in denen dem Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur nicht irgendein Preis für seine Arbeit verliehen wird.
In Deutschland gelang ihm der Durchbruch 2006 mit seinem Stück Verbrennungen. Treuer Wegbegleiter ist Uli Menke, der seine Werke ins Deutsche übersetzt. So auch das Stück Vögel – im Original Tous les oiseaux, alle Vögel – das 2018 in Stuttgart in einer Inszenierung von Burkhard C. Kosminski seine deutsche Erstaufführung erlebte. In der darauffolgenden Spielzeit war es bereits an vierzehn Bühnen zu sehen und gehört seitdem zu den meistgespielten Werken. Ursprünglich dauerte es dreieinhalb Stunden und bis heute kann man das pseudointellektuelle Geschwurbel manch eines Kritikers nachlesen, der vor vier Jahren ausführte, wie unbedingt notwendig es sei, das Stück in vier Sprachen aufzuführen. Jetzt zeigt das Forum Leverkusen ein Gastspiel des Westfälischen Landestheaters, das seine Premiere vor gut einem Monat in der Stadthalle von Castrop-Rauxel feierte. Eingedampft auf knappe zwei Stunden, kommt es inzwischen mit ein paar fremdsprachigen Zitaten aus. Und so viel sei vorweggenommen: Die deutschsprachige Version ist immer noch komplex genug, so dass man den Dialogen hochkonzentriert folgen muss.
Foto © Volker Beushausen
Die Handlung scheint zunächst recht bekannt. Zwei Twens lernen sich in einer New Yorker Universitätsbibliothek kennen und verlieben sich. Er ist Spross einer jüdischen Familie in Berlin, sie entstammt einer arabischen Familie, ihre Eltern sind gestorben. Der Versuch des jüdischen Studenten Eitan, die Doktorandin Wahida seinen Eltern vorzustellen, scheitert grandios. Zwei Jahre später reist das Liebespaar nach Israel. Dort wird Eitan Opfer eines Bombenanschlags, überlebt aber. Nach und nach treffen an seinem Krankenbett ein: Großmutter Leah, Freundin Wahida, Eitans Eltern David und Norah sowie Großvater Etgar. Während eine Nachrichtensprecherin im Off immer neue Anschläge und Opferzahlen bekanntgibt, spitzen sich die Beziehungskonflikte in zunächst unverständlicher Weise am Krankenbett zu, ehe das Stück tragisch endet.
Regisseur Gert Becker hat das Werk für die große Bühne eingerichtet. Ob das wirklich nötig ist, kann man diskutieren. Elke König baut darauf im hinteren Drittel einen schmalen weißgekachelten Gang, der zwei seitliche Abgänge und den hinteren Abgang über eine transparente Schwingtür bietet, über der ein Rotlicht angebracht ist. Hier bringen zwei Wärter mit blutverschmierten Plastikschürzen die Requisiten in kurzen szenischen Abfolgen herein. Die daraus entstehenden Pausen geben den Besuchern Gelegenheiten, das in der letzten Szene Gehörte sacken zu lassen. Bei den Kostümen verlässt sich König auf die Typisierung der Charaktere. Solide wie die ganze Inszenierung. Den großen Wurf sucht man hier, vielleicht von zwei, drei Überraschungseffekten, vergebens.
Foto © Volker Beushausen
Aber das muss ja auch nicht immer sein, vor allem dann nicht, wenn man über ein vorzügliches Ensemble wie an diesem Abend verfügt. Vögel kommt wortgewaltig mit wenig Handlung, dafür umso mehr Vulgärsprache daher. Das haben die Darsteller aber prima im Griff. Tobias Schwieger spielt den jungen Studenten Eitan, der ahnungslos, aber eloquent durch die Welt seiner Jugend segelt, Simone Schuster muss sich rollenbedingt als Wahida allmählich steigern, kann dann aber vor allem in ihrem großen Monolog glänzen. Ähnlich wie Guido Thurk, der erst allmählich aus der Deckung kommt. Wenn er dann allerdings zu seiner Erzählung über Sohn David ansetzt, vergessen einige Besucher das Atmen, weil er die Pointe elegant unaufgeregt setzt. Als David, Vater von Eitan, hat Mario Thomanek eine ordentliche Leistung zu absolvieren, was ihm aber wirklich glaubwürdig gelingt. Vom Erscheinungsbild her eigentlich nicht stereotyp, nimmt man ihm den gläubigen Juden auf ganzer Strecke ab. Herrlich ist Kathrin-Marén Enders in der Rolle von Norah, Eitans Mutter, im Zickenkrieg und als glaubhafte Verteidigerin ihres Ehemanns zu erleben. Die Rolle von Leah wirkt nicht ganz konsistent. Aber Gabriele Brüning rettet gekonnt. Franziska Ferrari spielt die taffe israelische Soldatin, die ihre Wandlung glaubhaft durchläuft. Als Rabbi muss Mike Kühne eine Maske über sich ergehen lassen, die eher an ein Karnevalskostüm erinnert, als Arzt stimmt nicht nur das Kostüm, sondern auch die Ausstrahlung, und als Hasan Al-Wazzan darf er dann endlich seinen großen Auftritt zelebrieren, auch wenn man für sein Gleichnis vermutlich über orientalische Weisheit verfügen muss, um es so richtig zu verstehen. Aber die ist ja in heutiger Zeit dem Orient selbst längst abhandengekommen. Und so endet der Abend, wie es kommen musste: Der nächste Bombeneinschlag ist garantiert.
Das Publikum applaudiert artig einer soliden Aufführung mit insgesamt überzeugenden Darstellern.
Michael S. Zerban