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Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Verwirrendes Programm

REQUIEM/STREICHQUARTETT NR. 13
(Wolfgang Amadeus Mozart, Wolfgang Rihm)

Besuch am
31. Mai 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Erholungshaus, Leverkusen

Pablo Minguet war ein spanischer Philosoph im 18. Jahrhundert, der sich in seinen Schriften darum bemühte, dem breiten Volk Zugang zu den schönen Künsten zu verschaffen. Dieser Idee fühlen sich seit 1988 vier Musiker verpflichtet, die ihrem Streichquartett deshalb auch den Namen des Philosophen gaben. Das Minguet-Quartett zählt heute zu den international gefragtesten Streichquartetten, das sich vor allem nach eigenen Angaben durch seine Programmatik zwischen „klassisch-romantischer Literatur und Musik der Moderne“ auszeichnet.

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Eine ausgezeichnete Wahl für das Start-Festival, das derzeit in Leverkusen stattfindet. Schließlich bieten die Musiker nicht nur einen großen Namen, sondern auch ein außergewöhnliches Programm, bedienen also konzeptionell gleich zwei Säulen des Festivals. Eigentlich sollte man damit rechnen dürfen, dass im Leverkusener Erholungshaus kaum noch ein Platz zu kriegen sein wird. Tatsächlich ist die Nachfrage überraschend gering. Die Festival-Leitung hat reagiert und vor der Guckkastenbühne nur eine kleine Tribüne aufgebaut, so dass hier eine wahrhaft kammermusikalische Atmosphäre entsteht. So werden immerhin die Besucher belohnt, die sich den Abend nicht entgehen lassen wollen. Ob hier jeder verstanden hat, was heute auf ihn zukommt, darf bezweifelt werden. Denn im Start-Festival gibt es weder ein Programmheft noch einen Abendzettel. Eine beidseitig bedruckte Postkarte muss ausreichen, um den Besucher mit den notwendigen Informationen zu versorgen. Das funktioniert heute Abend nicht, wie sich zeigen wird.

Vorläufig ist der Teil von Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem in d-moll, KV 626, angekündigt, den Mozart noch selbst komponiert haben soll, sowie das 13. Streichquartett von Wolfgang Rihm, das ein Requiem von Offertorium bis Lux aeterna darstellt. Schon das eine interessante Zusammenstellung, auch wenn nicht ganz klar wird, wie die Musiker mit einem solchen Programm angekündigte 80 Minuten füllen wollen. Vorerst irritieren laute Worte hinter dem Vorhang. Auch die Atmosphäre auf der Bühne stimmt nicht. Wenn vier Menschen 34 Jahre lang zusammen spielen, muss das auch nicht so sein. Da sitzt dennoch jeder Griff, ist das Zusammenspiel automatisiert. Und so wirkt das Ganze auch.

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Ulrich Isfort und Annette Reisinger an den Geigen, Aida-Carmen Soanea an der Bratsche und Matthias Diener am Cello begeistern mit ihrer Interpretation des Requiems in einer Fassung, die Peter Lichtenthal für das Streichquartett bereits im 19. Jahrhundert erstellt, um für eine rasche Verbreitung in Italien zu sorgen. Handwerklich sauber gearbeitet, verliert das Requiem von seinem Pathos. Nach dem Lacrimosa, von dem Mozart noch acht Takte komponiert haben soll, wechseln die Musiker zum Streichquartett von Wolfgang Rihm, der dieses Jahr 70 Jahre alt wird. Ein stilistischer Bruch, der wunderbar funktioniert, weil Rihm Mozart nicht imitieren will. Seine Werke, sagt Rihm, sollen für sich stehen. „Ohne Erklärung. Ohne Deutung. Komponiert aus der Tradition und der Entwicklung der Musik hinein in die Gegenwart“, sagt Rihm. Mit langen Bogenstrichen entfernt er sich von der Vielfalt Mozartscher Musik, erschafft seine eigene Klangwelt. Und nach einer Stunde steht fest, dass das Publikum hier zwei schöne Gegensätze in Vollendung erlebt hat. Dementsprechend begeistert fällt der Applaus aus. Das Programm ist laut Postkarte abgearbeitet. Jetzt noch eine kleine Zugabe und alles ist gut. Stattdessen präsentiert das Minguet-Quartett nun noch die zweite Hälfte des Mozart-Requiems, nämlich die, die Franz Xaver Süßmayr zugeschrieben wird, ebenfalls in der Bearbeitung von Lichtental. Psychologisch höchst ungeschickt, nimmt das Publikum auch diesen Teil noch zur Kenntnis und wirkt nach anderthalb Stunden eher erschöpft als glücklich. Trotzdem bedankt es sich ausgiebig bei den Musikern, die dann auch alsbald von der Bühne wollen. Auf der Postkarte bleibt indes noch genügend weißer Raum.

So ganz allmählich neigt sich das Start-Festival dem Ende zu. Schon am Donnerstag gibt es allerdings noch ein echtes Schmankerl auf dem Programm. Dann wird die Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter zusammen mit dem Brooklyn Rider String Quartet einen Liederabend mit Werken von Franz Schubert und Rufus Wainwright präsentieren. Das klingt nach einer echten Praline im Konfekt des Festivals, die man sich auf der Zunge zergehen lassen darf.

Michael S. Zerban