Kulturmagazin mit Charakter
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DIE FLEDERMAUS
(Johannes Strauss)
Besuch am
1. Februar 2022
(Premiere)
Früher war ich Tankwart, heute bin ich Steuereintreiber“, lautet das Zitat des unbekannten Tankstellenbesitzers, das dieser Tage als Bonmot die Runde macht. Die steigenden Benzinpreise schlagen voll auf die Geldbörsen der kleinen Leute durch. Wieder mal. Und die Regierung denkt statt über Steuerreduktionen bei den Spritpreisen über einen Heizkostenzuschuss nach. Das hat doch nun wirklich nichts mit Theater zu tun? Wer die Entstehungsgeschichte der Operette Die Fledermaus von Johann Strauss kennt, weiß es besser. Die wurde nämlich nach dem Wiener Börsenkrach am 9. Mai 1873 ganz schnell auf die Bühne geschoben, um die Menschen an die Kassen des gebeutelten Theaters an der Wien zu locken. Und es funktionierte. Man könnte auch als These formulieren: Je schwieriger die Zeiten werden, desto leichter muss die Unterhaltung sein.
Im Leverkusener Forum geht das Kalkül nur teilweise auf. Immer noch gilt die amtliche Platzbeschränkung, so dass maximal 600 Menschen an der Aufführung teilnehmen können. Traurig. Aber immerhin gibt es jetzt ein Catering im angeschlossenen Restaurant. Eingeladen ist heute das Theater am Domhof aus Osnabrück, das Ende November vergangenen Jahres die Premiere einer neuen Fledermaus-Inszenierung feierte, die es jetzt bereits in Leverkusen präsentiert. Hätte ja auch zeitlich gut gepasst: Ein bisschen Champagnerlaune kurz vor den Karnevalstagen im Rheinland. Dass der Karneval ein weiteres Jahr nicht stattfindet, konnte zum Zeitpunkt der Planung niemand ahnen. Regie führt Eike Ecker, der nicht alles neu erfinden muss, sondern lieber eine solide Inszenierung mit Liebe zum Detail abliefert. Das beginnt schon damit, dass die Ouvertüre einfach vor geschlossenem Vorhang stattfinden darf. Herrlich. Kein Heckmeck auf der Bühne, sondern Konzentration auf die Motive, die gleich in den zahlreichen Gassenhauern wieder auftauchen werden. Warum Darko Petrovic das Wohnzimmer der Familie von Eisenstein mit 70-er-Jahre-Tapeten ausstattet, muss dahingestellt bleiben. Im Zweifelsfall gab es im Osnabrücker Baumarkt noch einen preiswerten Restposten. Das würde auch erklären, warum der Seitengang erst gar nicht verkleidet wurde. In der Ballszene holt Petrovic mächtig auf, wenn er im Hintergrund die „Werke großer Meister“ aufhängt und eine eindrucksvolle „Stukkatur“ an der Decke inklusive zeitweilig auftauchender Disko-Kugel unterbringt. Im Gefängnis reichen vier Türen, ein Schreibtisch und ein paar Stühle, um der Komik zu genügen. Um den Kontrast zu erhöhen, wählt der Kostümbildner Kleidungsstücke, die der Zeit der Entstehung nachempfunden sind. Bequem müssen sie alle sein, denn Ecker sorgt für ordentlich Bewegung auf der Bühne. Unterstützen lässt er sich in den Choreografien von Francesco Vecchione. Beide stellen sich dabei geschickt an, denn es fällt kaum auf, wie viel hier eigentlich an der Rampe gespielt und vor allem gesungen wird. Gerade letzteres stellt sich im Großen Saal im Leverkusener Forum als Vorteil dar, denn die Akustik ist eher grenzwertig. Ein Glücksfall, dass es im Publikum vermutlich kaum jemanden gibt, der die Fledermaus nicht in- und auswendig kennt.
Foto © Stephan Glagla
Wenn es an der Aufführung ernsthaft etwas zu kritisieren gibt, ist das die Maske. Katharina Baumgarten bekommt eine Perücke übergestülpt, die schon in den 1950-er Jahren unmodern war, und eine Brille ins Gesicht, die überflüssig wie die Kollekte in der Kirche ist. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, Adele so zu entstellen. Baumgarten kann ganz ohne Verkleidung das Kammermädchen attraktiv und rollengerecht darstellen. Sie gleicht diese Entgleisung hinter den Kulissen mit Spielfreude und Sangeskunst auf der Bühne aus, auch wenn ihr Blick fest am Dirigenten haftet. Ihr Sopran kommt mit der Rolle spielerisch zurecht. Ähnlich verhält es sich bei Susann Vent-Wunderlich, die als Rosalinde ihre dralle Figur offensiv einsetzt. Die Haare sehen erst billig blondiert und später wie bei einem zerrupften Huhn aus. Vollkommen unverständlich, wie so etwas passieren kann. Da helfen dann auch körperlicher Einsatz und schneidende Höhen nicht mehr. Olga Privalova kommt als Prinz Orlofsky bedeutend besser weg. Die kleine Stimme reicht kaum über den Bühnenrand, aber ihre Ausstrahlung fasziniert noch die letzte Reihe. Ihr Berater Dr. Falke, der seine Rache als Fledermaus auszuüben hat, ist Jan Friedrich Eggers, der vor allem mit Haltung beeindruckt. Sängerisch brechen James Edgar Knight als Gabriel von Eisenstein und Aljoscha Lennert als Gesangslehrer Alfred immer wieder mal aus dem gesunden Mittelmaß mit glänzenden Leistungen aus. Der Chor, der vor allem in der Ballszene seinen großen Auftritt hat und Figuren wie Charlie Chaplin oder Albert Einstein zeigt, bringt in der Einstudierung von Sierd Quarré mächtig Schwung in die Aufführung. Was aber ist – die große Frage bei jeder Fledermaus-Inszenierung – mit dem Frosch? Den spielt hier Stefan Haschke, ganz ohne Wiener Schmäh. Das fällt immer ein bisschen ab. Aber Haschke schlägt sich tapfer, wenn er, immer stark angetrunken, wie es sich gehört, über Corona und die Sinnhaftigkeit von Operngesängen „philosophiert“. Und Ecker hat sich sogar die Mühe gegeben, seinen Text auf Leverkusen anzupassen.
Eine wunderbar luzide, die Stärken der Straussschen Musik herausspielende Leistung des Osnabrücker Symphonieorchesters erarbeitet Daniel Inbal. Sein Einsatz für die Sänger ist beeindruckend. Da gelingt ihm nicht nur die Balance hervorragend, sondern auch sein Engagement im Dirigat für die Sänger sieht man nicht alle Tage. So entsteht ein wunderbarer Gesamteindruck, der nicht einen Moment das Theater an der Wien vermissen lässt.
Insgesamt bleibt der Eindruck eines spielfreudigen, im soliden Mittelmaß viel Freude bereitenden Ensembles, dem es gelingt, viel von der Champagnerfreude in diesen schwierigen Zeiten auf das Publikum zu übertragen, das sich gern und häufig mit Zwischenapplausen bedankt, am Ende aber auch erschöpft wirkt und froh ist, dass die annähernd drei Stunden geschafft sind.
Michael S. Zerban