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Nachdem Anfang Januar in Leipzig die Premiere von Wagners Lohengrin noch in einer gekürzten Fassung und vor ganz wenigen Zuschauern stattfinden konnte, bevor der Lockdown abermals die Theater schloss, betritt die Oper Leipzig mit der Premiere von Verdis Il Trovatore wieder Neuland. Da kein Publikum mehr zugelassen ist, wird die Premiere als Livestream übertragen. Ursprünglich war diese Premiere analog zum Lohengrin als gekürzte Fassung ohne Pause, aber mit Publikum konzipiert. Nun geht diese reduzierte Version ohne Publikum online, mit einem Wechselbad der Gefühle. Rache und Eifersucht – das sind die treibenden Kräfte in diesem „dramma lirico“ von Giuseppe Verdi. Da mutet es fast unheimlich an, dass der Librettist Salvadore Cammarano vor Vollendung des Troubadours plötzlich verstarb. Leone Emmanuele Bardare vollendete das Libretto. Verdi komponierte zu dem Libretto ebenso düstere wie mitreißende Musik. Mit vokalen Glanzpunkten und großen Tableaux schuf er dabei reizvolle Kontraste in der Finsternis. Neben Il Trovatore, der am 19. Januar 1853 in Rom uraufgeführt wurde, gehören seine erfolgreichen Werken Rigoletto von 1851 und La traviata, ebenfalls 1853 uraufgeführt, zu Verdis sogenannter trilogia popolare. Die Handlung spielt in Biscaya und Aragonien zu Beginn des 15. Jahrhunderts, kurz vor dem Ende des spanischen Bürgerkrieges 1413.
Zum Verständnis der Oper ist die Kenntnis der Vorgeschichte der Handlung wichtig. Der alte Graf von Aragón hatte zwei Söhne, Luna und Garcia. Garcia ist – wie Azucena erst am Ende der Oper enthüllt – niemand anders als Manrico. Garcia wurde als Kleinkind angeblich von einer Zigeunerin mit einem Zauber belegt, die deswegen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Foto © Kirsten Nijhof
Aus Rache raubte deren Tochter, Azucena, den jungen Garcia, um ihn ihrerseits zu verbrennen; in einem Anflug von Irrsinn verbrannte sie versehentlich aber ihren eigenen Sohn und behielt Garcia bei sich, den sie unter dem Namen Manrico aufzieht. Die eigentliche Handlung ist trotz des verworrenen Librettos deutlich. Graf Luna und Manrico, die Brüder, die von ihrer gemeinsamen Herkunft nichts wissen, sind Totfeinde und lieben dieselbe Frau: Leonora. George Bernard Shaw hat die Konstellation einmal sehr trocken kommentiert: „Opera is when a tenor and a soprano want to make love and are prevented from doing so by a baritone“.
Im Mittelpunkt des Dramas aber steht die schmerzgepeinigte und traumatisierte Acuzena, die als Kind miterleben musste, wie ihre Mutter, eine Zigeunerin, durch den Vater des Grafen Luna wegen angeblicher Hexerei verbrannt wurde. Das traumatische Erlebnis als Kind und ihre Rache, den Sohn des Grafen von Aragón zu verbrennen und dabei im Wahn ihr eigenes Kind zu töten, das macht die Figur der Azucena zu einer tragischen Person, die ihres Lebens nicht mehr froh werden kann. Ihre Stimmung und innere Dramatik ändern sich laufend, das Libretto weist ihr tragische und ergreifende Szenen zu. Sie ist liebende Mutter und von Rachsucht zerfressen zugleich.
Leonora glaubt, Manrico sei gestorben und will daraufhin ins Kloster. Manrico eilt ins Kloster und verhindert das Nonnen-Gelübde noch gerade rechtzeitig. Zwischen Manrico, dem als Troubadour verkleideten General der Aufständischen, und Luna kommt es zum Duell, in dem Manrico verletzt wird, der aber davon absieht, seinen Kontrahenten zu töten und vorerst noch fliehen kann. Azucena wird gefangen genommen und soll hingerichtet werden. Manrico versucht vergeblich, Acuzena zu befreien und wird ebenfalls zum Tode verurteilt. Leonora, die Manrico liebt, versucht vergeblich, sich für Manricos Begnadigung zu opfern. Luna verlangt sie als Preis, am Schluss entzieht sie sich dieser Erniedrigung durch Gift. Manrico glaubt, dass Leonora ihn mit dem Heiratsversprechen für den Conte betrogen hat, bis er realisiert, dass sie Gift genommen hat, um ihm treu zu bleiben. In ihrer Sterbeszene bekräftigt sie noch einmal ihren Willen, lieber zu sterben als einen anderen zu heiraten. Als Luna Manrico hinrichten lässt, offenbart Azucena ihm, dass er seinen eigenen Bruder getötet hat.
Das lyrische Drama wird nun in gekürzter Fassung vom Regisseur Jakob Peters-Messer, der an der Oper Leipzig bereits 2017 mit seinem kafkaesk-düsteren Don Carlo zu überzeugen wusste, in einer an die aktuelle Situation angepassten Version gezeigt. Peters-Messer zeigt das Psychogramm einer traumatisierten Seele, indem er die Figur der Azucena in den Fokus stellt. Die Vergangenheit, die sie erleben musste, wird durch Tote und Geister auf der Bühne dargestellt. Alles spielt zur Nachtzeit, in der die Träume, vor allem die Albträume zu grausamer Realität werden. Das Bühnenbild von Markus Meyer ist ein Hort von alten Möbeln, Kisten, und Säcken als Symbol für die Heimatlosigkeit Azucenas, aber auch des Scheiterhaufens. Es gibt auch einen offenen Sarg, einen Totenschädel auf einem Schrein mit Kerzen davor, es ist die surreale Zwischenwelt, in der Azucena lebt. So sieht man ihre tote Mutter und sie selbst als Kind, wenn sie von ihren Visionen heimgesucht wird. Zwei Jungen in Ritterkleidung mit Flügeln, die sich bekämpfen, es sind Graf Luna und Manrico als Jungen, aber auch gleichzeitig die Schutzengel Leonoras. Leonora träumt das Duell der beiden Brüder als Kinderspiel und hofft so auf deren Versöhnung. Die übergroße Projektion eines schwarzen Kindergesichtes und eine verbrannte Puppe in den Armen Azucenas, es sind Symbole für ihre Tat im Wahn. Die Gräberwand, die am Schluss erscheint, steht wohl symbolisch für die Welt der Toten, die in die Realität Einzug hält und am Schluss Azucena, Leonora und Manrico mit aufnehmen wird. Die Kostüme von Sven Bindseil sind schwarz, zum Teil sehr festlich wie bei Leonora, nur Azucena ist mit einem roten, feuerähnlichen Sackleinengewand als Zigeunerin und Ausgestoßene auch optisch gekennzeichnet. Unterstützt wird das düstere Setting durch die passende Lichtregie von Raoul Brosch.
In der adaptierten und gekürzten Fassung, in der das Gewandhausorchester auf der Bühne steht und die Handlung davor wie ein Kammerspiel abläuft – da ist kein Platz mehr für den Gewandhauschor. Die meisten großen Chorszenen und Tableaux sind daher gestrichen, das Werk ist um fast eine Stunde gekürzt, und die Handlung beginnt direkt mit dem vorverlegten Zigeunerchor, der von der Seitenbühne erklingt und für Azucena zur traumatischen Erinnerung der Mutter an die Verbrennung ihres Sohnes wird. Peters-Messer konzentriert sich in seiner Personenregie ganz auf die verschiedenen Beziehungsebenen der Protagonisten untereinander, wobei Azucena immer im Mittelpunkt des Handelns steht. Wenn man sich auf diese adaptierte Fassung einlässt, dann ist das Ergebnis ein psychogenes Kammerspiel, an dem es am Ende nur Verlierer gibt.
Foto © Kirsten Nijhof
Musikalisch und sängerisch ist das, abgesehen von dem deutlich zusammengestrichenen Chor, aber ganz große Oper, was da in Leipzig abgeliefert wird. Allen voran Marina Prudenskaya, die mit ihrem warmem, aber in den dramatischen Höhen kraftvollem und ausdrucksstarkem Mezzosopran die Rolle der traumatisierten Azucena voller Intensität singt und spielt. In ihrem Gesichtsausdruck spiegeln sich ihre Leiden wider, hin- und hergerissen zwischen Schuld- und Rachegefühlen und der Liebe zu ihrem Ziehsohn. Ihre große Arie Stride la vampa singt sie zu Beginn direkt nach dem Zigeunerchor, und sie hält die Spannung hoch bis zum letzten dramatischen Ausbruch, wenn sie ihre Mutter für gerächt hält. Gaston Rivero ist an der Oper Leipzig ein Stammgast für das dramatische Verdi-Fach. In der Rolle des Manrico kann er seine große sängerische und schauspielerische Klasse unter Beweis stellen. Ob es im emotionalen Duett Mal reggendo all’aspro assalto mit Azucena ist oder mit der lyrischen Arie Ah! si, ben mio und der sich anschließenden berühmten Stretta Di quella pira, Rivero braucht mit seiner lyrisch-dramatischen Tenorstimme die Vergleiche zu großen Namen nicht zu scheuen. Er hat den Schmelz fürs Belcanto, aber auch den Stahl für die Dramatik. Ein überzeugendes Hausdebüt feiert Roberta Mantegna in der Rolle der Leonore. Sie ist mit ihrem lyrischen Sopran, der sowohl das Verträumte und Zarte ausdrücken kann als auch die dramatischen Höhen mühelos bewältigt, für diese Partie eine Idealbesetzung. Sehr berührend gesungen ihr Miserere. Dario Solari gibt den Grafen di Luna mit nobler Größe und edlem Bariton. Die Wärme in seiner Stimme verleiht dem Grafen mehr Menschlichkeit, als es die Rolle eigentlich hergibt. Insbesondere mit seiner großen Arie ll balen del suo sorriso zeigt er großes Gefühl. Das sich anschließende Zwiegespräch mit dem Chor Qual suono! ist den Streichungen zum Opfer gefallen. Ein Höhepunkt ist dafür das Terzett Di geloso amor sprezzato, in dem Luna und Manrico um Leonora kämpfen. Sandra Maxheimer darf als Ines, der Vertrauten Leonoras, mit ihrem schon leicht dramatischen Mezzosopran eine weitere Facette ihres Könnens zeigen. Alvaro Zambrano als Ruiz und Sejong Chang als Ferrando reihen sich auf hohem Niveau in das großartige Sängerensemble ein. Der Chor aus dem Hintergrund ist für die wenigen Einsätze stimmlich gut von Thomas Eitler-de Lint eingestimmt. Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Antonio Fogliani, dem Ersten Gastdirigenten der Deutschen Oper am Rhein, spielt einen zugkräftigen und farbenreichen Verdi mit großer Intensität und Leidenschaft. Am Schluss gibt es keinen Jubel, keinen Applaus, auch Szenenapplaus vermisst man ob der großen sängerischen Darbietungen mangels Publikum schmerzlich.
Laut Peters-Messer verträgt das Stück die Kürzungen ganz gut. Das mag aus dramaturgischer Sicht für die Fokussierung auf die handelnden Personen zutreffen, aber aus der musikalischen Gesamtbetrachtung wirkt das Stück, ähnlich wie beim Lohengrin vor fünf Wochen, teilamputiert und unvollkommen. Trotzdem ist es gut, dass überhaupt gespielt wurde. Und so darf die Oper Leipzig bis auf die nicht optimale Bildqualität mit ihrer ersten Premiere als Livestream mehr als zufrieden sein.
Andreas H. Hölscher