O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bis auf den Schlussapplaus alle Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Zum letzten Mal

PARSIFAL
(Richard Wagner)

Besuch am
14. Juli 2022
(Premiere am 8. April 2006)

 

Oper Leipzig

So fordern es am Schluss die Gralsritter. Zum letzten Mal soll Amfortas den Gral enthüllen. Der eindringliche und verzweifelte musikalische Appell bekommt an diesem Abend eine ganz neue Bedeutung im wörtlichen Sinne. Diese Aufführung bildet den Schluss von drei Wochen „Rausch – Schwelgen – Unendlichkeit“, so das Motto des Festivals Wagner22 an der Oper Leipzig, die im Zeitraum vom 20. Juni bis zum 14. Juli alle dreizehn Bühnenwerke Richard Wagners in chronologischer Reihenfolge zur Aufführung gebracht hat. Das Bühnenweihfestspiel Parsifal ist nicht nur Richard Wagners letzte Oper, sie schließt auch das einmalige Festival ab. Die Aufführung beendet auch gleichzeitig die Spielzeit 2021/2022 der Oper Leipzig und damit auch die Intendanz von Ulf Schirmer, der als Generalmusikdirektor nun zum letzten Mal am Pult des Gewandhausorchesters steht, für den sich mit dieser Aufführung ein Kreis schließt. Die Premiere der Inszenierung am 8. April 2006 war Schirmers erste musikalische Produktion an der Oper Leipzig, und sie ist nun seine letzte. Zwölf Jahre war Schirmer dort Generalmusikdirektor, davon die letzten zehn auch Intendant in Personalunion. Sein Fokus war von Anfang an auf die Bühnenwerke von Richard Wagner und Richard Strauss gerichtet, das Festival Wagner22 sein großes Lebensziel. Und wenn Schirmer heute zum letzten Mal den Taktstock sinken lässt, dann geht in Leipzig eine Ära zu Ende. Und dass dieses Ende noch einmal musikalisch und sängerisch einen Glanzpunkt setzt, steht von vorneherein außer Frage. Dieser Parsifal in der Inszenierung von Roland Aeschlimann in einer Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève und der Opéra de Nice ist im Fundus der dreizehn Bühnenwerke die älteste Produktion am Haus, alle anderen Produktionen kamen später.

Im Mittelpunkt der synästhetischen Inszenierung steht die Frage nach der Erlösung. Erlösung dem Erlöser? Amfortas, der den Tod als Erlösung von seinen Qualen ersehnt. Kundry, die Vergebung sucht als Erlösung von dem Fluch, weil sie einst den Heiland am Kreuz verlacht hat. Ist Parsifal der Erlöser, der Heilsbringer? Am Schluss der Inszenierung wissen wir es. Kundry ist von ihrer Schuld erlöst und kann in den Armen Amfortas sterben, der seinerseits von den Qualen der nicht heilenden Wunde erlöst wird und sein übermächtiges Amt als Gralshüter an Parsifal abgibt. Aeschlimann, der sowohl für die Regie als auch für das Bühnenbild verantwortlich ist, zeigt in wunderbaren plastischen Bildern den Konflikt von Schuld und Sühne, von Wunde und Verwundeten, von Zeichen und Gezeichneten. Klafft in Amfortas Brust eine große blutende Wunde, so ist es Klingsors Unterleib, der diese schmerzende Verwundung aufzeigt. Auch wenn die Personenregie manchmal spärlich erscheint, konzentriert sie sich auf die Gesten und den Ausdruck, insbesondere auf das Leiden. Das setzen die Sängerdarsteller des Abends in beeindruckender Weise um. Das Bühnenbild zeigt die intensive Auseinandersetzung Aeschlimanns mit diesem letzten Werk Wagners, das ja ursprünglich ausnahmslos als Bühnenweihfestspiel für das Festspielhaus in Bayreuth konzipiert war.

Die Umsetzung der Metapher „Zum Raum wird hier die Zeit“ gelingt dem Regisseur in beeindruckender Manier. Der transzendente Spiraltunnel, der aus dem Nichts entsteht, mit einem schwebenden Kubus als Gral, ist eine wohltuende Annäherung an die Mythologie Wagners. Unterstützt wird er dabei durch das angenehme, weichzeichnerische Lichtdesign von Lukas Kaltenbäck, der dieser Inszenierung damit auch eine spirituelle Atmosphäre verleiht. Das gilt auch für den Schlussmoment im zweiten Aufzug, wenn sich der überdimensionierte Speer von Klingsor zu Parsifal dreht. Dass der Karfreitagszauber für Aeschlimann nicht nur einen christlichen Ursprung hat, zeigt er im dritten Aufzug, als Kundry dutzende von kleinen Buddha-Statuen enthüllt. Aeschlimann bezieht sich dabei auf eine buddhistische Fabel, in der es ebenfalls um das Thema Erlösung geht. Ein sicher diskussionswürdiger Regieeinfall in einer Parsifal-Inszenierung, die sich aber in dieser Aufführung gut in das Gesamtkonzept einfügt. Auch Wagner selbst hat sich zum Ende seines Lebens intensiv mit den Lehren des Buddhismus auseinandergesetzt. Die zeitlosen Kostüme und Kundrys verführerische Robe im zweiten Aufzug von Susanne Raschig fügen sich wunderbar in das Geschehen ein; gleiches gilt für die Choreografie der Blumenmädchen, die Lucinda Childs harmonisch ästhetisch angelegt hat.

Auch wenn das Bühnenbild beeindruckt, so sind es immer noch die wunderbare Musik Richard Wagners und die Interpretation durch ein großartiges Ensemble, die den Abend zu einem Besonderen machen. Für lange Zeit sicher zum letzten Mal findet sich hier in Leipzig ein Sängerensemble ein, das Parsifal nicht nur veredelt, sondern Wagner22 krönt, Ulf Schirmer zu seinem Abschied ehrt und im Zusammenspiel aus der Aufführung ein grandioses Erlebnis macht.

Und es ist auch die Rückkehr von drei großartigen Sängern, die schon in der zurückliegenden Tristan-Aufführung einen grandiosen Auftritt hatten; Andreas Schager, René Pape und Mathias Hausmann. Besonders auf den Auftritt von Pape darf man gespannt sein. Vor knapp zwei Wochen hat der Sänger in den sozialen Netzwerken einen Kommentar zur Beteiligung der Metropolitan Opera New York an der New Yorker Pride Parade gepostet. Er hat daraufhin angekündigt, nicht mehr an der Met singen zu wollen und der LGBTQ-Community vorgeworfen, anderen Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie zu sein hätten. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, es entbrannte ein Shitstorm mit dem Kernsatz, Pape sei überheblich und homophob. Kurz darauf hatte sich der Sänger für seine Äußerungen entschuldigt, auch explizit bei der LGBTQ-Community, und gleichzeitig seine langjährigen Depressionen und Alkoholkrankheit als Erklärung für seine Dämonen, mit denen er zu kämpfen habe, angeführt. Dieses Eingeständnis, insbesondere in dieser leistungsorientierten und ach so heilen Szene ist nicht nur bemerkenswert, sondern verdient allerhöchsten Respekt. Sein schon 15 Jahre altes Album Gods, Kings & Demons bekommt unter dem Gesichtspunkt eine ganz neue Bedeutung. Nun betritt René Pape in seiner Lebensrolle wieder die Bühne. Er ist an diesem Abend die alles überstrahlende, natürliche Autorität, der Fels in der Brandung, er ist Gurnemanz. Pape gestaltet die Figur mit berührender Innigkeit. Mit tiefem und balsamischem Bass und beeindruckender Textverständlichkeit legt er die Partie an. Seine große Erzählung im ersten Aufzug singt er schon fast elegisch, mit deutlichen Phrasierungen und Bögen, die eine große Spannung aufbauen. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm das im dritten Aufzug in der Salbungs- und Krönungsszene sowie dem anschließenden Karfreitagszauber. Nichts merkt man ihm an. Um so größer der Respekt vor seiner Leistung. Man kann diesem großen Sänger nur wünschen, dass er seine Dämonen im Zaume halten kann. Das Publikum am Schluss feiert ihn frenetisch, und dieser Jubel tut Pape sichtlich gut.

Andreas Schager hat sichtlich Freude an der Darstellung des Parsifal. Nach dem Tannhäuser und dem Tristan ist es nun die dritte Partie, die Schager im Rahmen des Festivals gestaltet. Sichtlich ausgeruht, mit überschäumendem Temperament scheint er manchmal die ruhige, ja, fast meditative Inszenierung zu zerstören, gebremst nur durch die ruhende Ausstrahlung Papes. Schager gelingt vor allem in den dramatischen Ausbrüchen eine hochemotionale Darstellung. Sein strahlkräftiger Tenor meistert die Höhen ohne Probleme, sein „Amfortas, die Wunde …“ geht durch Mark und Bein. Bei den lyrischen Stellen, die er wunderbar ansetzt, klingt die Stimme leicht. Und auch schauspielerisch gelingt Schager der Weg vom naiven Toren zur eigenen Selbsterkenntnis auf formidable Art. Wie auch schon im Tristan hat er wieder einige deutliche Texthänger, was dann am Schluss auch der Grund sein mag, dass der Jubel für ihn nicht ganz so frenetisch ausfällt.

Mathias Hausmann glänzt in der Rolle des Amfortas. Mit seinem kultivierten, wohlklingenden Bariton zeigt er die tiefe Leidensfähigkeit und peinigende Qual der Rolle. Seine Schmerzen sind fast körperlich zu fühlen. Seine „Erbarmen“-Rufe erschüttern, und die Aufforderung an die Gralsritter, ihn zu töten, ist in der letzten Szene von höchster Emotionalität. Die international renommierte Mezzosopranistin Elena Pankratova gibt die Kundry mit einem warmen, verführerisch dunkel gefärbten Timbre und strahlenden Höhen und meistert darstellerisch beeindruckend den szenischen Wechsel von der gejagten Furie zur Verführerin bis hin zur liebenden Dienerin. Zu diesen großen Stimmen bedarf es auch eines Gegenpols mit der Figur des Klingsor, die Falk Struckmann mit seinem dramatischen Bass-Bariton mit großer Intensität und sängerischer Aggressivität anlegt. Randall Jakobsh gibt den Titurel mit angenehmem, wohltönendem, schwarzem Bass aus dem Off, und das Altsolo von Sandra Janke aus der Höhe des Beleuchtungsturms schwebend ist ein wunderbarer Abschluss des ersten Aufzugs. Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen fügen sich stimmlich ohne Abstriche in das Gesamtensemble ein. Großartig wieder der von Thomas Eitler-de Lint einstudierte Chor, der besonders die Liebesmahlszene im ersten Aufzug mit großer Intensität gestaltet.

Ulf Schirmer an seinem letzten Abend leitet das Gewandhausorchester intensiv und mit großem Gefühl und lässt durch sein unprätentiöses Dirigat wunderbare Phrasierungen und Akzentuierungen zu. Das Vorspiel hat schon fast sakralen Charakter, das Tempo ist moderat, aber niemals hastig. Beeindruckend seine präzisen Einsätze, die das Gesamtensemble aus Musikern, Solisten und Chor zu einer homogenen Gestaltung führt, dabei hat er immer einen Blick für den Sänger, der für ihn im Vordergrund steht und dem er das Orchester unterordnet. Ein insgesamt ergreifendes musikalisches Klangerlebnis. Zwischen seinem ersten Leipziger Parsifal und seinem letzten liegen 5941 Tage, eine Zeit, in der auch ein Ulf Schirmer sich und das Gewandhausorchester weiterentwickelt hat und sich zu den führenden Richard-Wagner-Dirigenten zählen darf. Traurig nur, dass das in Bayreuth bisher keine Beachtung fand.

Das Publikum ist bis auf einige notorische Bronchialrüpel sehr diszipliniert und sensibel, wohl auch ergriffen von der musikalischen Darbietung. Wohltuend die über zehn Sekunden dauernde Stille nach dem ersten Aufzug, bevor zaghafter Applaus aufbrandet. Auch zum Schluss hält das Publikum kurz inne, bevor frenetischer Jubel losbricht und besonders Schirmer, der schon nach den beiden Pausen gefeiert wird, das Orchester, den Chor und die Hauptprotagonisten bejubelt.

Nach knapp fünfeinhalb Stunden ist es dann endgültig. Wagner22 und die Ära Ulf Schirmer sind Geschichte. Es ist ein schwermütiger, für manchen auch tränenreicher Abschied, wobei Schirmer auf der Bühne glücklich und gelöst wirkt. Und so ganz zum letzten Mal steht  Schirmer hier dann doch nicht auf der Bühne, im übernächsten Jahr soll er zurückkommen. Als Gastdirigent, ohne die Bürde des Amtes. Was bleibt, ist der Dank und der Respekt für seine Zeit als Intendant und GMD, in der er die Oper Leipzig wieder zu altem Glanz geführt hat und in der er das Werk Richard Wagners in dessen Geburtsstadt ins Zentrum gestellt hat. Wie es weitergehen wird in Leipzig? Das sollte man vielleicht die Nornen fragen: „Weißt du, wie das wird?“

Andreas H. Hölscher