O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Tom Schulze

Aktuelle Aufführungen

Komm, mein Freund

GRÄFIN MARIZA
(Emmerich Kálmán)

Gesehen am
8. Mai 2021
(Premiere/Stream)

 

Musikalische Komödie der Oper Leipzig

Es ist knapp zwei Jahre her, als die Musikalische Komödie der Oper Leipzig am 28. Juni 2019 nach einer Aufführung von Ralph Benatzkys Im Weißen Rössl vorerst ihre Türen schloss. Das immer wieder von einer Schließung bedrohte Operettenhaus am Lindenauer Markt sollte nun endgültig umfangreich saniert werden. Zwei Spielzeiten sollte der Umbau dauern, und während dieser Zeit zog das Ensemble um in das Alte Leipziger Westbad, der provisorischen Ausweichstätte. In dieser Zeit wurden in dem teilweise baufälligen Gebäude etwa zehn Millionen Euro verbaut. Neben einem neuen, über drei Meter höhenverstellbaren Orchestergraben wurde die komplette Bestuhlung erneuert, der Rang saniert und für das Publikum wieder zugänglich gemacht, die Decke komplett erneuert und auch der Venussaal, Probenraum und zweite Spielstätte des Hauses, wurde komplett saniert. Auch Außenanlage und Tontechnik wurden erneuert. Die zahlreichen Fans der traditionsreichen Spielstätte, die 1912 im Leipziger Stadtteil Lindenau erbaut wurde, haben sich durch einen zweckgebundenen Zuschlag auf die Eintrittskarten für die Musikalische Komödie engagiert. In Zeiten, wo kein Geld mehr für Kultur ausgegeben wird, ist es fast kaum zu glauben, dass die Oper Leipzig mit Hilfe der Stadt, des Landes und des Bundes ein neues kleines Juwel nun ihr Eigen nennen darf.

Mit der Neuinszenierung von Emmerich Kálmáns Operette Gräfin Mariza sollte nun die MuKo, wie die Leipziger liebevoll die Musikalische Komödie der Oper Leipzig nennen, festlich wiedereröffnet werden. Doch die andauernde Pandemie und der damit einhergehende Lockdown machten eine Eröffnung mit Publikum zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich. Um nicht weiter warten zu müssen, entschloss man sich, eine virtuelle Eröffnung mit Grußworten von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhart Jung und des GMD und Intendanten der Leipziger Oper, Ulf Schirmer, dem Stream der Premiere voranzuschicken mit dem Versprechen, die Eröffnungsfeier zu einem späteren Zeitpunkt dann mit Publikum nachzuholen. Und so hebt sich nach fast zwei Jahren erstmals wieder der Vorhang, allerdings nur für einen Stream.

Mit seiner Operette Gräfin Mariza verfolgte Emmerich Kálmán den Plan, den Erfolg seiner Csárdásfürstin zu wiederholen. Das Ergebnis sieht aus wie eine Operette nach Rezept: Man rühre zunächst ein absurdes Spiel mit den Identitäten an, hebe eine melodramatische Liebesromanze darunter, garniere das Ganze mit einer Mischung aus Walzerseligkeit und jeder Menge feuriger Csárdásrhythmen und streue zum Schluss ein paar zeittypische Foxtrottklänge darüber. Doch so einfach dieses Rezept auch sein mag, es bedarf dazu eines „Chefkochs“, der die Zutaten richtig dosiert und dann auch mundgerecht serviert. Regisseur der Neuinszenierung der Gräfin Mariza ist Ulrich Wiggers, und der hat das Stück teilweise ganz schön durcheinandergewirbelt, so dass von der originalen Rezeptur wenig übriggeblieben ist, was zu einem Großteil aber den schwierigen Bedingungen des Hygienekonzeptes geschuldet ist. Neben täglicher Testung des Ensembles hat Wiggers in seiner Inszenierung – auch wehmütig oder ironisch kommentiert – auf erforderliche Abstände für Gesang und Tanz geachtet. Der Chor singt von den neuen Rängen aus, getrennt nach Stimmen, und ist leider nicht im Bild. Das Orchester unter der Leitung von Tobias Engeli musiziert ebenfalls zum ersten Mal aus dem neuen höhenverstellbaren Orchestergraben der Musikalischen Komödie. Das Bühnenbild mit edlem Holzaufbau und die klassischen Kostüme hat Leif-Erik Heine gestaltet.

Foto © Tom Schulze

Die Geschichte, die Wiggers erzählt, ist eine Geschichte von Liebe, Eitelkeit und falsch verstandenem Stolz. Graf Tassilo, der verarmte Adlige, hat sich inkognito als neuer Verwalter bei der reichen Gräfin Mariza anstellen lassen, um dort die Ausbildung und Mitgift für seine Schwester Lisa zu verdienen, die von der ganzen finanziellen Misere ihrer Familie nichts ahnt.  Voller Melancholie erinnert er sich an sein altes Leben in Wien. Doch dann erscheint der Budapester Adel, und inmitten Gräfin Mariza, die ihren aufdringlichen Verehrern mittels einer Scheinverlobung mit dem Baron Koloman Zsupán, der Figur aus der Strauß-Operette Der Zigeunerbaron, zu entfliehen versucht. Und so beginnt diese Operette als Rückblick mit einem Prolog. Mariza erinnert sich, dass Tassilo sich unter falschem Namen auf ihr Gut und in ihr Leben geschlichen hat und beginnt mittendrin in ihrem Auftrittslied. Und in diesem Lied hört man das erste Mal, dass Wiggers mit dieser Inszenierung den Begriff der „Political Correctness“ unbedingt umsetzen will. Statt den Worten „… spiel dazu Zigeuner“ singt Lilli Wünscher in der Rolle der Mariza „… spiel dazu die Geige“. Und wenn Adam Sanchez als Tassilo später in seinen Erinnerungen als Csárdáskavalier schwelgt, dann darf er nicht mehr die wohlbekannte Zeile „Komm Zigan, komm Zigan, spiel mir was vor“ singen, sondern es heißt jetzt „Komm mein Freund, komm mein Freund …“. Jeder zivilisierte und geschichtsbewusste Mensch weiß um die Verbrechen, die während des Nationalsozialismus den Roma und Sinti angetan wurden. Auch wird angenommen, dass das Wort „Zigeuner“ von vielen Angehörigen dieser Ethnie als rassistisch und diskriminierend empfunden wird.

Aber hier gilt es auch der Kunst und der Wiedergabe eines Werkes, dass seine Uraufführung fast ein Jahrzehnt vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten erlebte. Es ist diese ideologische Indoktrination von Theatermachern, die dem Publikum vorschreiben will, was korrekt ist und was nicht. In der Konsequenz müssen dann Operetten wie Der Zigeunerbaron von Johann Strauss oder Zigeunerliebe von Franz Lehár umgeschrieben werden oder dürfen nicht mehr gespielt werden? Was ist mit Verdis Troubadour und seinem berühmten Zigeunerchor, dem Zigeunerchor aus La Traviata oder dem Lied der Zigeunerinnen aus Bizets Carmen? Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Ein Werk einfach zu verändern, aus vordergründigen Motiven, ist einfach zu banal. Die Gräfin Mariza ist alles andere als rassistisch, und die Rolle der Zigeuner, sowohl die der Wahrsagerin Manja als auch des Primas, des Sologeigers, sind positiv belegt und symbolisieren Freiheit und Stolz. Wenn Wiggers konsequent in seinem Bedürfnis nach „Political Correctness“ geblieben wäre, dann hätte er die auftretenden Zigeuner, Musiker wie Tänzer, nicht in kitschiges Zigeunerkolorit kleiden dürfen. Diese optische Reduzierung auf „typische Zigeunerkleidung“ ist dann genauso verwerflich wie das Benutzen des Wortes „Zigeuner“ oder „Zigan“. Und dass der Baron Koloman Zsupán, die aus dem Zigeunerbaron von Johann Strauss entliehene Witzfigur, in seinem Outfit mehr „Zigeunerkolorit“ als ungarischer Adel darstellt, geschenkt. Der Auftritt der Zigeunerin Manja, die der Gräfin Mariza die Liebe prophezeit, erfolgt in einem Kostüm, dass dem einer Saffi aus dem Zigeunerbaron alle Ehre machen würde. Also, entweder man ist konsequent und verzichtet komplett auf das farbenfrohe „Zigeunerkolorit“, oder man lässt das Werk, so wie es ist, einschließlich der bekannten Textzeile „Komm Zigan“. Ein Lied, dass alle großen Operettentenöre der letzten Jahrzehnte so gesungen haben, von Rudolf Schock über Nicolai Gedda, René Kollo bis hin zu Piotr Beczała und Jonas Kaufmann. Das waren und sind alles Künstler, die über jeden rassistischen Verdacht erhaben sind. Eine ideologische Veränderung des Werkes eines Regisseurs ist inakzeptabel, auch weil es die Mündigkeit des Publikums beschneidet. Unabhängig von dieser Diskussion ist die Regie von Wiggers beileibe kein großer Wurf.

Es sind Emotionen wie Sehnsucht, Stolz und verletzte Eitelkeit, die im Vordergrund dieser Operette stehen und von Wiggers ohne großes Fingerspitzengefühl inszeniert werden. Und das ist das Manko der Inszenierung. In der Gräfin Mariza sind die entscheidenden Momente die intimen Duette, die Zweisamkeit, das Spiel der Gefühle. Da sind die Darsteller durch den Sicherheitsabstand verloren, das Gefühl und damit der Funke springt nicht über. Wiggers spielt stattdessen mit den gängigen Operettenklischees. Illusion und Desillusion, Schein und Sein stehen in einem ständigen Gegeneinander. Herausgekommen ist einerseits ein prachtvolles Revuetheater im Stil der 1920-er Jahre; durchaus spritzig, witzig und mit viel Operettennostalgie, doch das sinnliche Erlebnis für Augen und Ohren bleibt dabei auf der Strecke. Das Geschehen plätschert eher dahin, die einzelnen Nummern werden aneinandergereiht ohne große Spannung, zumal die Chronologie der Handlung auch etwas verschoben ist.

Foto © Tom Schulze

Die Liebe zwischen der Gräfin Mariza und dem Grafen Tassilo, der als angestellter Verwalter seine Schulden versucht zu bezahlen, ist eigentlich ein intimes Kammerspiel von versteckten Gefühlen und verletztem Stolz, der sich im Finale in große Gefühle verwandelt. Doch von der dazu nötigen intimen Personenregie kann leider keine Rede sein. Und so bleibt die Operette vom Flair und von der Dynamik an der Oberfläche, zumal die überarbeiteten Dialoge auch nicht wirklich zünden. Der dritte Akt mit dem Auftritt der Fürstin Božena Cuddenstein zu Chlumetz und ihres Kammerdieners Penižek wird dahingehend verändert, dass die beiden Sprechrollen nun auch eine Gesangseinlage bekommen. Vielleicht, um den dritten Akt künstlich zu verlängern oder lang bewährten Ensemblemitglieder einen Gesangsauftritt zu geben und deren Rolle aufzuwerten. Angela Mehling als vom Schönheitschirurgen bearbeitete Grand Dame singt dazu passenderweise das Couplet Rosen welken aus Kálmáns Operette Herbstmanöver, und Milko Milev darf als Penižek mit Was für ein Theater aus Kálmáns eher unbekannter Operette Das Hollandweibchen zeigen, dass er nicht nur urkomisch spielen, sondern auch singen kann. Zur Dramaturgie des Werkes oder der Stringenz der Handlung tragen diese beiden Nummern aber nicht wirklich bei. Am Schluss finden sich dann trotz aller Irrungen und Wirrungen die Paare. Mariza und Tassilo, nun dank der Hilfe seiner reichen Tante schuldenfrei, geben ihren Stolz auf und lassen sich aufeinander ein. Koloman Zsupán hat mit seinem leutseligen Spiel das Herz von Tassilos Schwester Lisa gewonnen, und der alternde Fürst Populescu, der vergeblich der Gräfin Mariza den Hof gemacht hat, erinnert sich an seine Jugendliebe, die Fürstin Bozena von Cuddenstein. Und so gibt es für alle Beteiligten nach knapp zweieinhalb Stunden ein erlösendes Happy End.

Musikalisch und sängerisch zeigt sich das Ensemble der Musikalischen Komödie allerdings in großer Spiellaune. Lilli Wünscher in der Titelrolle gibt sängerisch und optisch eine überzeugende Gräfin Mariza. Sicher in den Höhen, dramatisch im Spiel und lyrisch zärtlich im Duett, zeigt sie alle Facetten, die die Partie verlangt. Adam Sanchez ist ein lyrischer Tassilo mit angenehmen baritonalem Timbre ohne große Operettenattitüde, musikalisch und in der Intonation sicher und ausdrucksstark. Seine beiden großen Arien singt er mit sehr viel Gefühl und Leidenschaft. Mirjam Neururer als seine Schwester Lisa agiert kokett und mit hellem Sopran, für dieses Fach eine Idealbesetzung. Großartig der Tenor Jeffery Krueger als Baron Koloman Zsupán. Sängerisch, spielerisch, tänzerisch der Inbegriff des Operettenbuffo. Vikrant Subramanian als Fürst Moritz Dragomir Populescu imponiert mit gelacktem Spiel, und einem schönen warmen Bariton. Claudia Otte als Zigeunerin Manja lässt mit leicht dramatischem Mezzo-Gesang aufhorchen. Angela Mehling als Fürstin Cuddenstein und Milko Milev als ihr Kammerdiener Penizek komplettieren das Ensemble mit Witz und Temperament und übernehmen im dritten Akt quasi das Kommando.

Tobias Engeli führt das Orchester der Musikalischen Komödie Leipzig sicher durch die Klippen der Partitur mit den vielen Tempo- und Rhythmuswechseln, und gibt den Sängern den notwendigen Spielraum, allerdings in einer abgespeckten Fassung für Salonorchester. Das Ballett der Musikalischen Komödie ist musikalisch bestens präpariert und hat offensichtlich große Freude am Tanz, auch wenn die Choreografie von Mirko Mahr sich an sehr konventionellen Vorbildern orientiert. Chor und Extrachor, gut einstudiert von Mathias Drechsler, singen unsichtbar von den Rängen aus. Am Schluss gibt es keinen Beifall für die Protagonisten, denn es ist kein Publikum zugelassen. So fehlt auch die Interaktion zwischen Publikum und Ensemble, die für die Stimmung und den Erfolg einer Aufführung unabdingbar ist. Man kann nur hoffen, dass für zukünftige Aufführungen der Gräfin Mariza, dann wieder mit Publikum, das gesamte Orchester zum Einsatz kommen kann, der Chor wieder auf der Bühne und die räumliche Distanz zwischen den Sängern aufgehoben ist. Und dann bitte auch wieder mit den Originaltextzeilen.

Andreas H. Hölscher