O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Unbedingter Wille

WHIRLING LADDER/BETWEEN
(Chun Zhang, Kai Strathmann)

Besuch am
26. Mai 2021
(Probe)

 

Fabrik Heeder, Krefeld

Chun Zhang ist in Shanghai geboren. Ein so hübsches Mädchen, befand der Vater. Damit war klar für ihn, dass Chun den Beruf ihrer Mutter ergreifen solle. Die ist eine der bekanntesten Tanzlehrerinnen in China. Es gibt Schlimmeres für junge Frauen als die Mitteilung des Vaters, ein Tanzstudium vorgesehen zu haben. Gern folgte Zhang also den Wünschen ihres Vaters, studierte Tanz, wurde Tänzerin und fand schließlich einen wunderbaren Job als Tanzlehrerin am Konservatorium. Krisensicher, gut bezahlt, da könnte man in Ruhe alt werden. Mit ihren 27 Jahren war Zhang das allerdings nicht geheuer. Und auch wenn sie alle Erwartungen erfüllt hatte, da brannte und bohrte noch etwas in ihr.

Auch Kai Strathmann ist unzufrieden mit sich. Bislang war eigentlich alles gut gelaufen. Geboren in Bochum, gleich neben dem Theater aufgewachsen, ging er 2006 nach Los Angeles, weil dort urbaner Tanz längst als Beruf angesehen wird. Er lernt fleißig, er lernt viel, und er ist zudem talentiert. Schnell arbeitet er selbst als Trainer. Am liebsten hat er die battle camps, in denen er jungen Leuten in aller Intensität eine Woche lang HipHop beibringen kann. Trotzdem kann das nicht alles gewesen sein. Der Besuch einer Aufführung im Theater Bochum ändert sein Leben. Da sieht er zwei Freunde auf der Bühne, die HipHop mit zeitgenössischem Tanz verquicken. Anschließend nimmt er Ballettunterricht. Er besteht die Aufnahmeprüfung an der Folkwang-Universität der Künste in Essen und absolviert seinen Bachelor im Tanz. Als er seinen Master in Choreografie beginnt, lernt er Chun Zhang kennen, die ebenfalls nach Essen gekommen ist, um das heißersehnte Choreografie-Studium aufzunehmen.

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Krefeld, Fabrik Heeder. 1906 wurde das heute denkmalgeschützte Gebäude als Tapetenfabrik Heeder & Co. errichtet. Seit 1989 wird die Fabrik Heeder als städtisches Kulturzentrum genutzt. Insbesondere gibt es hier zwei Studiobühnen, die auch von der so genannten Freien Tanzszene genutzt werden. Seit 1994 wird hier auch regelmäßig Move! – Krefelder Tage für modernen Tanz durchgeführt. Jetzt liegt der Innenhof verwaist da. Wolkenverhangen kündigt der Himmel den nächsten Regen an. Auf den Stufen, die zur Studiobühne I hinaufführen, wartet Techniker Dirk Mattern, um freundlich den Weg zur Bühne zu weisen, die Yibu Dance für die Proben zur neuen Produktion nutzt. Yibu, Yibu bedeutet auf Chinesisch Schritt für Schritt.

Es funkte recht schnell zwischen Zhang und Strathmann. Schon im Studium erprobten sie ihre Zusammenarbeit. Das funktionierte wirklich gut, und so gründeten sie gleich nach dem Abschluss 2019 Yibu Dance. Sich möglicherweise erst noch bei anderen Compagnien auszuprobieren, stand für die beiden Choreografen nicht zur Debatte. Und bereut haben es die beiden ohnehin nicht. „Weil das eigentlich von Anfang an so gut funktioniert hat, und wir beide uns wohlgefühlt haben“, erinnert Strathmann sich. Nach den beiden erfolgreichen Abschlussproduktionen an der Hochschule steht nun also endlich die erste „öffentliche“ Produktion an. Und die Ansprüche sind hoch. Schon der Titel des Stücks ist erklärungsbedürftig. Whirling Ladder | Between bedeutet im Deutschen so viel wie Wirbelnde Leiter | dazwischen. „Es ist eine sehr minimalistische Arbeit. Es geht um die Beziehung zwischen zwei Menschen. Und die Mikrowelt. Unser Körper ist eine Makrowelt im Vergleich im Vergleich zur DNA. Diese kleine Bewegung in uns“, erklärt Zhang ihren Ansatz. Für die Choreografen ist die Herangehensweise wichtig. Jemanden von rechts nach links zu schicken, um so etwas wie eine Handlung zu erzeugen, interessiert die beiden nicht. „Und deswegen sind wir wirklich zu Essenz und Bewegungskomposition zurückgegangen. Nicht zu sagen, oh, wir haben Erfahrung und das kann gut funktionieren. Sondern wir haben wirklich versucht, pur auf Bewegungskomposition aufzubauen, und alles was in Raum und Zeit mit uns passiert, passiert durch Komposition und nicht durch: Ich könnte mir vorstellen, da kommt jetzt so und so“, sagt Strathmann. Und dann zeigen die beiden auch gleich, was sie meinen.

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Die Bühne ist geräumt. Hintergrund und Seiten sind schwarz abgehängt. Mattern hat seinen Platz eingenommen und lässt Lichtquadrate auf dem Bühnenboden erscheinen. Zhang und Strathmann stehen nebeneinander inmitten eines Quadrats. Mit dem Rücken zum imaginären Publikum. Sie schauen also in die gleiche Richtung wie das Publikum. Das ist so gewollt. Maximal eine Vierteldrehung ist vorgesehen. Das Ticken des Taktgebers im Smartphone gibt die Geschwindigkeit vor. Mit hohem Tempo setzen die Tänzer winzige Schritte, während die Arme herunterhängen. Nahezu unbemerkt entstehen so räumliche Bewegungen, die die beiden Körper unentwegt in neue Beziehungen zueinander setzen. Die nahezu starren Körper unterdrücken dabei jede Emotionalität. Das ändert sich auch nicht, als später Klanglandschaften eingespielt werden. Die Beziehung zur Musik ist, wie so oft bei Choreografen, schwierig. „Kai hat diese Musik komponiert. Und gleichzeitig haben wir für Musik und Tanz die Komposition gewogen. Und dann haben wir festgestellt tatsächlich, für Tanz Musik zu komponieren, ist eher für die Augen statt für die Ohren. Weil das immer eine Raum-Zeit-Ordnung ist. Ist nicht einseitig. Sondern man muss eher gucken, ob hier Musik zu stark ist, oder ob hier Bewegung zu schwach ist“, erläutert Zhang die gefundene Symbiose. „Somit ist Musik zwar auf eine Art sehr wichtig. Weil es immer irgendeine Art von Inspiration ist. Aber es darf keine begleitende Tanzmusik sein. Weil das für unseren Anspruch einfach nicht mehr das ist, was wir suchen“, fügt Strathmann hinzu.

Nein, Kompromisse sind ihre Sache nicht. Umso schmerzhafter der Einschnitt, den sie gleich zu Beginn ihrer Arbeit hinnehmen mussten, um das Projekt überhaupt realisieren zu können. Denn eigentlich sollten statt ihrer vier Tänzer auf der Bühne stehen. Sozusagen als Startschuss, ihren Traum von der eigenen Compagnie zu verwirklichen. Dann kamen die staatlichen Verfügungen zur Corona-Krise. Sie konnten ihre wirbelnde Leiter nur noch retten, indem sie als Ehepaar selbst auf die Bühne gingen. Dort aber agieren sie nun mit Feuer und Flamme. Denn die Aufnahme der Aufführung steht kurz bevor. Am 9. Juni ist die Ausstrahlung im Internet vorgesehen. Die Aufführung vor Ort kann sich das Publikum, so ihre Hoffnung, dann beim Move-Festival im Herbst ansehen. Der Probenbesuch jedenfalls ist vielversprechend. Noch lange bleiben die Bilder im Kopf haften.

Michael S. Zerban