O-Ton

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Foto © Sophia Hegewald

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Mut zur Biografie

WENN ICH MICH RICHTIG ERINNERE
(Helena Cánovas Parés)

Besuch am
7. April 2022
(Uraufführung)

 

Spark-Festival in der Alten Feuerwache, Köln

Ja, unbedingt!“ Das war nach eigenen Angaben die häufigste Antwort, die Christina C. Messner und Sandra Reitmeyer in den letzten vier Jahren erhielten, wenn sie ihre Idee eines Festivals für das zeitgenössische Musiktheater bei potenziellen Förderern vorstellten. Jetzt ist es so weit. Als Künstlerische Leiterinnen haben Komponistin und Regisseurin das Spark-Festival auf die Beine gestellt. Vom 7. bis 10. April findet die erste Ausgabe statt. „Schon lange ist der Ruf nach einer Plattform zur Präsentation und Produktion von aktuell komponierten oder konzipierten Musiktheaterstücken zu hören – nach einer Plattform, die langfristige Strukturen schafft, die Werkstatt, Labor und Bühne sein kann, die vernetzt und Raum gibt zur Entfaltung und Erprobung von künstlerischen Ideen und Grenzgängen“, lassen die beiden Künstlerinnen verlauten. Dass es eine solche Struktur – mit millionenschweren Etats – längst gibt, erwähnen sie nicht. Warum auch? Die Oper Köln vermag diesen Teil ihres Auftrags offenbar nicht zu leisten. Also muss etwas Neues entstehen. Und da ist ein fulminanter Auftakt das Minimum.

2017 kam Helena Cánovas Parés nach Köln. Geboren wurde sie in Barcelona, nahm bereits als Kind Klavier- und Gesangsstunden. In Saragossa schloss sie ihren Bachelor in Komposition ab. Bei Markus Hechtle absolvierte sie ihren Master in der Komposition von Instrumentalmusik, um anschließend ihren Master in Elektronischer Komposition bei Michael Beil vorzubereiten. 2019 erhielt sie den Kompositionsauftrag für ein Musiktheater von Messner und Reitmeyer. Am meisten gefallen habe ihr daran, erzählt sie, dass es so gut wie keine Vorgaben gegeben habe, abgesehen davon, dass die Musik vom Ensemble Hand Werk gespielt werden können müsse. Als ihr Professor vom Umfang des Auftrags erfuhr, schlug er Parés vor, das Werk als Abschlussarbeit einzureichen. Die Komponistin entschied sich, eine sehr persönliche Geschichte zur Grundlage ihres Werks zu wählen. Unter der Frage „Ist meine Identität etwas, was ich bestimme, oder etwas, das ich geerbt habe?“ setzt sie sich künstlerisch mit ihrem Verhältnis zu ihrer Großmutter auseinander. Auch wenn es genügend Gründe gäbe, eine solche Geschichte auf eine Meta-Ebene zu heben, entscheidet Parés sich bewusst dagegen. Sie habe während des Entwicklungsprozesses mehrfach zu Texten anderer Autoren gegriffen. Die seien womöglich schlauer gewesen als ihre eigenen, sagt sie und lacht. Aber letztlich siegt der Wunsch nach Authentizität.

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Regisseur Christian Grammel übernimmt die Erzählung der Geschichte von Wenn ich mich richtig erinnere. Die geht von den Vorfahren in einem spanischen Landstrich, die mit ihren Ziegen in Richtung Barcelona ziehen, über die Jugend der Großmutter hin zu fehlenden Antworten von Großmutter und Vater über ihr Leben. Dazwischen blitzen Weltereignisse genauso wie persönliche Lebenserfahrungen der Enkelin auf. Grammel überträgt das beträchtliche Textvolumen an Sabine Wolf, die sich damit redlich abmüht. Jan Patrick Brandt schafft für sie das Umfeld, in dem sie sich raumfüllend bewegt. In der Mitte der Bühne hat er einen Glaskubus aufgebaut, in dem, ebenso wie in seiner Umgebung, Felssteine liegen. Das sind die Brocken, die sich in der Geschichte nicht auflösen lassen. Da die Bühne in der Halle der Alten Feuerwache in Köln mittig angeordnet ist, haben rechts und links zwei Zuschauertribünen Platz. Außerdem sind auf der Bühne verschiedene Musikstationen angeordnet, die zugleich als Anspielstationen der Musiker dienen. Das Kostüm, in das Brandt Wolf kleidet, ein türkisfarbener Hänger mit gelben Leggins, ist wohl eher Geschmackssache.

Ob die Kopfhörer tatsächlich notwendig sind oder Parés einfach nur sicherstellen will, dass ihre musikalischen Effekte nicht unter der Akustik der Halle leiden, ist letztlich egal. Der Auftakt des Abends klingt ohnehin eher so, als seien hier Prüfungsaufgaben zur elektronischen Komposition zu lösen. Und dafür sind die Kopfhörer notwendig. Das gelingt der Komponistin allerdings mit Bravour. Alsbald entfernt sie sich von der Technik, lässt spanische Folklore anklingen, um schließlich bei einer Bearbeitung von Georg Friedrich Händels Dominus dixit zu landen. Große Überraschungseffekte bleiben aus, aber die hätten in der Poesie der Geschichte ohnehin keinen Platz.

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Hand Werk erledigt seine Aufgaben großartig. Daniel Agi glänzt mit konsistentem Querflötenspiel, Heni Hyunjung Kim entlockt Klarinette und Altsaxofon sanfte, aber bestimmte Untermalung, Lola Rubio an der Geige und Nathan Bontrager am Cello sorgen mitunter für scharfe, kurze Klänge, was ungewöhnlich, aber im Gesamtgefüge passend ist, Ramón Gardella bearbeitet unter anderem mit Kamm und Schwamm das Schlagzeug und Thibaut Surugue übernimmt am Klavier so etwas wie die Leitfunktion. Insgesamt entsteht ein stimmiges Bild, das der Erzählung entspricht und auch Hörer nicht abschreckt, die mit der neuen Musik vielleicht nicht so vertraut sind.

Immerhin hat Parés hier mal ein einstündiges Werk vorgelegt, das in der Gesamtkomposition absolut stimmig wie vielschichtig ist, reichlich Poesie hervorzaubert und das Publikum begeistert. Das Prüfungsergebnis glauben die Zuschauer schon ahnen zu können, aber letztlich fehlt die offizielle Bestätigung noch zur Gratulation. Das wird sich dann bei der zweiten Aufführung, die am 8. April stattfindet, geklärt haben. Für das Spark-Festival ist es ein mehr als gelungener Auftakt. Helena Cánovas Parés freut sich indes schon auf kommende Aufgaben. Sie möchte weiter in Richtung Oper arbeiten und hat bereits zwei Aufträge in Münster und in Spanien. Dann wird auch die Singstimme eine größere Rolle spielen. Schön, dass wir von ihr noch mehr hören werden.

Michael S. Zerban