O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christian Palm

Aktuelle Aufführungen

Augenmusik

WEIHNACHTSORATORIUM
(Johann Sebastian Bach)

Besuch am
17. Dezember 2023
(Premiere am 16. Dezember 2023)

 

Reformationskirche Köln-Marienburg, Köln

Zum berückenden Charme dieses Konzerts gehören auch die Bilder, die uns zu den Schmeichel­klängen dieser Trostmusik gratis dazugeliefert werden. Noch bevor es losgeht, noch ehe Pauke und trillernde Flöten die Schleusen öffnen für das erhabene Niederrauschen der Streicher bei genialer Kreuzblende mit aufsteigenden Trompeten, noch bevor uns die längst ins kollektive Unterbewusstsein eingegangenen Klänge erreichen, sind wir mit den Augen schon mittendrin, sind eingetaucht in das Installative, mit der sich das weihnachtlichste aller Weihnachts­konzerte unseren Blicken präsentiert. Oben, knapp über der Emporen-Balustrade, eine geschlossene Reihe von Kinderköpfen. In seinen Begrüßungsworten wird sie der Chöre- und Orchesterleiter des Abends, wird sie Samuel Dobernecker als Klasse 3b der Maria-Sybilla-Merian-Schule vorstellen.

Samuel Dobernecker – Foto © Christian Palm

Nun, es könnten auch die Hirten sein, diejenigen, von denen in der zweiten Kantate so ausgiebig die Rede ist. Tatsächlich, denkt man sich, da sind sie doch, die großen Stauneaugen, die „des Herren Engel“, der Erzählung zufolge, zu Kronzeugen des Weihnachtswunders bestimmt hat. In Bayenthal erscheinen sie als Galerie von I-Dötzchen, die stolz sind wie Oskar, jetzt und hier bei der Aufführung mitengagiert zu sein. Immer wieder dürfen sie im weiteren Verlauf die Choräle mitsingen. Auswendig. Mit dem Lesen, speziell mit dem Notenlesen ist es mit Sicherheit noch nicht soweit. Ist beim alten Bach übrigens auch nicht anders gewesen. Die Melodien, die Worte hat man mitgebracht. Klar, heute muss in diesem Punkt ein wenig nachgeholfen werden, was im Fall der Knirpse von der 3b die Klassenlehrerin Lissa Sutter besorgt hat, wie wir das im Nachgang einem liebevollen, einmal nicht gegenderten Programmheft entnehmen. Aufmerksam steht Sutter neben ihren Schützlingen. Den Einsatz muss sie ihren kleinen Choristen nicht großartig geben. Die wissen, wann und womit sie dran sind. Alles klappt wie am Schnürchen!

Das andere Tableau, das diese aus lebenden Bildern bestehende Emporenmusik komplettiert, hat Dobernecker im Altarraum ausgefaltet. Hinter den Musikern des Neuen Rheinischen Kammerorchesters, zwischen den Stimmgruppen der Kantorei, hat er seinen Evangelischen Kinderchor Bayenthal positioniert. Fünfzehn Stimmen. Ein Daniel ist darunter. Ansonsten stehen dort Anna und Alma, Clara und Charlotte, Elena, Hannah, Lara und Luisa, Romy, Sophie, Theresa, aber auch Nayla und Mahi. Nicht zu vergessen Mia. Sie wird Dobernecker fürs Engel-Rezitativ der Zweiten Kantate nach vorn schicken, von wo Mia ihr Fürchtet Euch nicht übermitteln darf. Was das Publikum mit gutem Willen hört. Der Eindruck ist, dass sich für die solistische Besetzung das Pädagogische doch etwas zu sehr in den Vordergrund gedrängt hat. Was indessen die Ausnahme bleibt in einer Aufführung, bei der man zu keiner Zeit das Gefühl hat, dass hier etwas falsch am Platz ist. Im Gegenteil. Die Choräle des Weihnachtsoratoriums von Kindern mitsingen zu lassen, ist ja nicht zuletzt historisch belegt. Bach kannte keinen Erwachsenenchor. Bach hatte, Dobernecker betont das nachdrücklich, lediglich seine Thomaner. Freilich, die ganz Kleinen sind seinerzeit noch nicht dabei gewesen. Einstiegsalter für den Chor zu Bachs Zeiten ist 14. Das hat sich geändert. Der Stimmbruch kommt heute früher, worauf eine wache, verantwortungsvolle Musikpflege reagieren muss.

Im Kölner Süden achtet man darauf und erzielt schöne Ergebnisse. Das Jauchzet, frohlocket, der berühmte Eingangschor, geht hier ausdrücklich mit den Kinderstimmen. Eine Leistung, zu der man allen nur gratulieren kann! Hinzukommt: Die Erfahrung, dass sich ein evangelisches Musikleben dadurch konstituiert, dass sich besagte Evangelische hinter die Werke von Rang stellen, sich von ihnen tragen, bereichern lassen – mit dieser Erfahrung, so das Credo der Bayenthaler Kirchenmusik, kann man gar nicht früh genug anfangen. Was auf diese Weise hörbar wird, ist: Es lohnt sich einzusteigen. Was für eine Kirche, die ansonsten mit allerlei Negativschlagzeilen in der Öffentlichkeit steht, mal eine wirklich gute Nachricht ist. Austritts­willige sollten bei ihrer Entscheidung vielleicht mal an ihre Kinder denken. Mit Leidenschaft dabei sein, wenn musiziert wird – das steht auf dem Spiel.

Bleibt noch nachzutragen, dass das Bayenthaler Weihnachtsoratorium durchweg hochkarätig besetzt ist. Namentlich zu erwähnen der silbrige Sopran, mit dem Nicole Ferrein ihren einzigen Auftritt in Teil drei bestreitet. Zusammen mit ihrem Bassisten-Kollegen Joachim Höchbauer bezaubert sie in Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen, ein Duett, das – Reichtum und Schönheit liegen hier besonders nah beieinander – gefolgt wird von dem nur von der Solovioline begleiteten Sologesang des Alts in Schließe, mein Herze. Albert Rundel, der hochpräsente Konzertmeister des Neuen Rheinischen Kammerorchesters, im innigen Duett mit dem warmen Alt von Anna Fischer. Davor, dahinter, gibt Tenor Johannes Klüser, sehr sängerisch, einen in jeder Silbe textverständlichen Evangelisten. Neunzig Minuten ungetrübte Freude. Findet das Publikum auch.

Georg Beck