O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Im Eisschrank der Gefühle

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
18. Oktober 2017
(Premiere am 15. Oktober 2017)

 

Oper Köln im Staatenhaus

Nach einem allenfalls durchwachsenen Tannhäuser kann die Kölner Oper auch mit dem zweiten Zugstück der Saison, Verdis La Traviata, keine Punktlandung erzielen. Die zum Glück noch junge Spielzeit erreichte bisher bestenfalls Mittelmaß. Dass die Oper noch mindestens fünf Jahre im Staatenhaus, dem Deutzer Ausweichquartier, hausen muss, ist eine Tatsache, mit der man sich abfinden muss, angesichts der skandalös lange andauernden und superteuren Renovierungsarbeiten des Stammhauses am Offenbachplatz aber nur schwer abfinden will.

Die Einlassung der Intendantin, Birgit Meyer, die ehemaligen Messehallen böten ein interessantes Experimentierfeld für flexible Anordnungen der Bestuhlung und der Bühnenformen, kann sich durchaus positiv auswirken. Bisher allerdings gelang das nur in Einzelfällen. Und wenn Stücke auf dem Programm stehen, die von ihrer Intimität leben und auf eine anrührende Wirkung angewiesen sind, wirkt sich die kühle, distanzierte Atmosphäre des Staatenhauses wie ein Stimmungskiller aus. Und das bekam jetzt die Traviata, Verdis Publikumsliebling und psychologisch feines Sittenbild aus der bigotten High Society des 19. Jahrhunderts, besonders schmerzhaft zu spüren.

Die wirkungsvollen Chorszenen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine Kammeroper handelt, die einen engen optischen und emotionalen Bezug zum Publikum braucht. Wenn eine Traviata-Aufführung den Zuschauer kalt lässt oder gar langweilt, stimmt eine Menge nicht. Und genau das trifft auf die Kölner Neuinszenierung zu, die weder szenisch noch musikalisch erwärmen kann. Angesichts der an sich zuverlässigen und bewährten Kräfte, die Verdis Publikumsliebling hier in den Sand setzen, ein nicht nur enttäuschendes, sondern auch überraschendes Ergebnis.

POINTS OF HONOR

Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Gefahr, dass die unglückliche Liebes- und Leidensgeschichte der Kameliendame zum tränenreichen Rührstück entgleiten könnte, nimmt bereits Verdi mit seiner seismologisch fein gezeichneten Musik den Wind aus den Segeln. Hinzu kommt die Fabrikhallen-Atmosphäre des Staatenhauses. Dass Regisseur Benjamin Schad darüber hinaus vor allem die soziale Kälte in den Mittelpunkt stellt, die der „Kurtisane“ entgegenweht, birgt die Gefahr, auch noch die emotionale Leidenschaft und Wärme, die die Hauptfiguren antreibt, einzufrieren. Dass Violetta abseits allein stirbt und die ihr zugetanen Herren, ihr Geliebter Alfredo und dessen Vater Giorgio, ihre Betroffenheit nur aus weiter Distanz zur Sterbenden bekennen, konterkariert die musikalische und atmosphärische Botschaft, die unter die Haut gehen müsste. Der gefühlskalten, gesellschaftlichen Außenwelt mit der Liebesgeschichte einen privaten, innerlich lodernden Gegenentwurf gegenüberzustellen, gelingt nicht. Beide Welten strahlen Kälte aus und lassen einen entsprechend frösteln.

Es spricht für Schads aufmerksames Werkverständnis, wenn er den Gefühlen der Figuren misstraut und deren innere Spannungen darzustellen versucht: Violetta, die innerlich kranke und gekränkte Gespielin gelangweilter Herren aus den besseren Kreisen, die sich in der Öffentlichkeit als lebenslustiges „It-Girl“ präsentiert, Alfredo, das unsichere Vatersöhnchen, das sich nicht gegen seinen dominanten Herrn durchsetzen kann. Und der Papa offenbart im zentralen Duett mit Violetta eine besonders schillernde Persönlichkeit. Er zeigt ein eiskaltes Standesbewusstsein, das durch sein späteres Mitleid mit dem Schicksal Violettas nur oberflächlich gemildert wird. Ob es väterliche Gefühle oder die Begierden eines potenziellen Freiers sind, die den Vater letztlich ein wenig für das kranke Mädchen erwärmen, lässt Schad offen. Das ist alles klug gemeint, wird aber zu schematisch und bisweilen nur ansatzweise dargestellt und entschärft den emotionalen Sog des Stücks.

Bühnenbildner Tobias Flemming und Kostümbildnerin Ingrid Erb tragen auch nur wenig dazu bei, die Temperaturen anzuheizen. Flemming schwebte für seinen Grundriss eine Art Schneckenhaus vor, dessen Raum sich bis spiralförmig zur Spitze verengt und dadurch die wachsenden Seelennöte und die unerträgliche Isolation der Titelfigur zum Ausdruck bringen soll. Durchaus beeindruckend, in welcher Bedrängnis Violetta am Ende des Trichters ihr Leben aushaucht. Allerdings ist die Schneckenhausstruktur, wenn überhaupt, nur schwer zu erkennen. Dafür wehen zu oft und zu viele weiße Vorhänge vor den Augen der Zuschauer, die die Bühne zerteilen und letztlich nicht mehr als ein ziemlich eindimensionales, sich im Wesentlichen auf Schwarz-Weiß-Kontraste stützendes Ambiente verbreiten. Auch der Einfall, den Orchestergraben mit Wasser zu befüllen, um das einsame Inseldasein Violettas zu unterstreichen, verpufft. Von dem Wasser ist in der fünften Reihe schon nichts mehr zu sehen. Und dramaturgisch wird er nur für zwei überflüssige Mätzchen genutzt. Der Bote im zweiten Akt watet einmal durch die flauen Fluten, und im Finale des gleichen Akts wird ein adeliger Herr ins kühle Nass befördert.

Auch Kostümbildnerin Ingrid Erb beschränkt sich auf Schwarz-Weiß-Effekte. Violetta als Kurtisane trägt schwarz, die unschuldige Geliebte Weiß. Eine recht stereotype Konzeption, die schnell an Reiz verliert.

Auch musikalisch übersteigt die Produktion nur selten Mittelmaß. Das Gürzenich-Orchester ist seitlich neben der Bühne postiert, so dass sich die Stimmen eigentlich mühelos entfalten könnten. Allerdings entfacht Maestro Matthias Foremny ein derart abenteuerliches Wechselbad aus dynamischen Knalleffekten und zäher Spannungslosigkeit, dass sich die Sänger entweder zu forcierter Kraftmeierei verleiten lassen oder mit den teilweise extrem langsamen Tempi des Dirigenten zu kämpfen haben. Marina Costa-Jackson in der Titelrolle besticht durch ihre überwältigende Bühnenpräsenz und eine gewaltige Stimme, die jedoch mit ihrem unüberhörbaren Vibrato und betonharten Höhen den zerbrechlichen, zarten Tönen der Figur keine Chance lässt. Eine grobe stimmliche Darstellung, die mit dem Dirigat und ihrem Kollegen Lucio Gallo d’accord geht. Gallo bietet als Vater Germont darstellerisch eine differenzierte Persönlichkeitsstudie, kann mit seiner diesmal erstaunlich brüchig anmutenden Stimme den Belcanto-Facetten der Partie jedoch nicht im Geringsten gerecht werden. An seinen grandiosen Falstaff darf man nicht entfernt denken. Am besten wirkt noch David Junghoon Kim als darstellerisch blasser, aber vokal recht verlässlicher Alfredo mit seinem tragfähigen und recht biegsamen Tenor. Mittelmaß beherrscht ebenfalls die kleineren Rollen.

Das Publikum zeigte sich von den musikalischen Leistungen angetan, teilweise begeistert, während das szenische Team in der Premiere etliche Buh-Rufe einstecken muss. Die Störgeräusche, die weit über jahreszeitlich übliches Hüsteln hinausgehen, zeigen, dass die Aufmerksamkeit im Laufe der insgesamt recht spannungsarmen Vorstellung bei etlichen Zuschauern bedenklich nachlässt.

Pedro Obiera