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TRANSPARENCE
(Pablo Garretón)

Besuch am
12. Februar 2023
(Uraufführung)

 

Rufffactory, Köln

Nein, Künstliche Intelligenz ist nicht in aller Munde. Sie interessiert vermutlich die meisten Menschen nicht einmal besonders. Ihre Kenntnisse beziehen sie aus Science-fiction-Romanen, und die decken sich nicht im Entferntesten mit dem derzeitigen Stand der Technik. Ja, es wird fieberhaft daran gearbeitet, weil viele Firmen glauben, dass bei einem Durchbruch viel Geld damit zu verdienen sei. Wenn dieser Tage ein ChatGPT durch die Medien geistert, also eine Software, die Texte aufgrund maschinellen Lernens selbst erstellen können soll, dann schwingt da sicher bei dem einen oder anderen Journalisten eine unterschwellige Angst mit. Weil vieles dafür spricht, dass eine solche Software in naher Zukunft all den Routine-Müll schreiben kann, der heute Mainstream-Medien füllt. Da droht womöglich ein ganzer Berufszweig wegzusterben. Ob die Gesellschaft ihn vermissen wird, sei dahingestellt.

Inspiriert durch das Buch Im Schwarm von Byung-Chul Han hat Pablo Garretón trotzdem das Thema ein wenig weitergesponnen und als Grundlage des Musiktheater-Stücks Transparence gewählt. Garretón hat in Santiago de Chile Komposition studiert und in Köln mit einem Master abgeschlossen. Die Beschäftigung mit der Entwicklung von Klängen allerdings ist ihm zu wenig, und so sucht er immer auch nach der Kombination mit einer Visualisierung. In Transparence also erfindet er einen – wie soll man die Software nennen? – Dialogroboter, der sich, ganz so, wie er es soll, verselbstständigt und zu einem autonomen Wesen weiterentwickelt. Wie aber soll ein solches Individuum zu einer Seele finden, wenn es sich dem Schwarm im Internet unterzuordnen hat? Gewinnt der Schwarm die Oberhand, führt das zu „einem Verlust von Selbstständigkeit und freiem Willen und erzeugt moralische Asymmetrie, die die Gesellschaft fragilisiert“. Ein interessanter Ansatz, den es nun musikalisch umzusetzen gilt.

Das übernimmt in der Rufffactory im Kölner Stadtteil Ehrenfeld das Ensemble Electronic ID unter der künstlerischen Leitung von Felix Knoblauch. Gemeinsam mit Paul Pape und Nicolas Tolchinsky hat Garretón das Bühnenbild entwickelt. An der Längsseite sind sieben Paravents mit halbtransparenten Leinwänden aufgestellt, hinter denen die Arbeitsplätze der Musiker erkennbar bleiben. Vier Beamer werden für die gewünschte Projektion sorgen.

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An diesem Abend wird ein Konzert mit Videoprojektion, einer Sprecherstimme und einem geordneten Auf- und Abmarsch des siebenköpfigen Musikkollegiums stattfinden. Ist das das angekündigte Musiktheater? Legt man den Begriff weit genug aus, kann man das bejahen. Ob das in den Köpfen des Publikums auch so ankommt, kann man diskutieren. Mit dem Begriff eines ungewöhnlichen Konzertformats wäre vielleicht mehr versprochen und erfüllt.

Rank Weidemann mit dem Saxofon und Matthias Schuller mit der Posaune warten ab, während Geigerin Anna Neubert, Bratschistin Pauline Buss und Rebekka Stephan mit ihrem Cello aufmarschieren. Ihnen folgen Felix Knoblauch, der für die Tasten zuständig ist und nicht zuletzt Flötistin Sarah Heemann. Schließlich sind sie alle hinter den Paravents verschwunden, auf die ihre Bilder projiziert werden. Sind es zunächst Aufnahmen, werden sie später live gezeigt, während sie selbst im Hintergrund undeutlich verschwimmen. Es bleibt bei der fantasievollen Darstellung der Musiker, eine Handlung wird nicht gezeigt. Auch der Text, den Silvana Mamone spricht, stellt keine geschlossene Erzählung dar. Das nimmt ihm aber vor allem in der Schlusssequenz nichts von seiner Stärke.

In jeder Hinsicht überzeugend ist auch die Musik von Garretón, die die Musiker ganz wunderbar interpretieren. Es gelingt ihm, die elektronischen Elemente ergänzend einzusetzen, ohne die Virtuosität der Spieler in den Hintergrund zu drücken. Ob man die Geschichte des Individuums im Kampf gegen die Moralisten unserer Zeit heraushören will, bleibt wohl der Fantasie des einzelnen überlassen. Jedenfalls bleibt die Spannung über 50 Minuten erhalten. Die Grenze zwischen den Epigonen der so genannten neuen Musik und dem Geschmack eines aufgeschlossenen Publikums, das nach vorn schaut, ist aufgehoben. Der kleine dramaturgische Knick, demzufolge die Schlussphase ohne die Musiker stattfindet, verliert sich im rauschenden Applaus des Publikums, das an diesem Abend den Saal vollständig besetzt hat. Den Namen Pablo Garretón wird man sich für die Zukunft ebenso notieren müssen wie den des Ensemble Electronic ID.

Michael S. Zerban