O-Ton

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Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Psycho-Drama in trister Kulisse

DIE TOTE STADT
(Erich Wolfgang Korngold)

Gesehen am
4. Dezember 2020
(Premiere)

 

Oper Köln, Staatenhaus Deutz

Der erste Livestream der Kölner Oper am Premierentag ging zwar daneben. Aber die Neuproduktion des Korngold-Hits Die tote Stadt kann bis mindestens Ende des Jahres als „Stream on demand“ abgerufen werden. Und zwar frei von den holprigen Unterbrechungen der Live-Übertragung. Sehens- und hörenswert ist die Produktion allemal und die technische Qualität der Aufzeichnung ist ebenso professionell geraten wie die der wenige Tage zuvor gezeigten Oper Written on Skin von George Benjamin, die ebenfalls noch online zur Verfügung steht.

Die unglücklichen Umstände der Zeit sind für die Kölner Oper in diesem Fall besonders schmerzlich, wollte man doch besonders würdig an die Uraufführung der Korngold-Oper vor genau 100 Jahren am 4. Dezember 1920 in der Kölner Oper, damals dirigiert von Otto Klemperer, erinnern. Dass das Werk des gerade einmal 23-jährigen Komponisten zeitgleich quasi als Doppelpremiere in Hamburg aus der Taufe gehoben wurde, zeigt die Wertschätzung, die der blutjunge Meister damals genießen durfte. Allerdings nur, bis ihn wenige Jahre später die Nazis aus Deutschland vertrieben.

Die Qualitäten des effektvollen Werks haben sich spätestens seit den 1980-er Jahren weitgehend herumgesprochen, so dass Die tote Stadt heute zum Stammrepertoire jedes größeren Opernhauses gehört, auch wenn die Besetzung kaum geringere Anforderungen stellt als die für Wagners Tristan und Isolde. Deshalb hat man auch nicht an erstklassigen Sängern gespart. Für die männliche Hauptrolle des Paul sind Burkhard Fritz und Stefan Vinke vorgesehen und für die Marietta Aušrine Stundyte und Kristiane Kaiser. Und szenisch erhoffte man sich von Tatjana Gürbaca eine glanzvolle Inszenierung.

In Kauf nehmen muss man zwar gewisse Hygiene-bedingte Einschränkungen, die die Sänger auf ausreichenden Abstand halten, so dass man sich Pauls Mord an Marietta hinter geschlossenem Vorhang selbst zusammenreimen muss. Und auch die Prozession fällt etwas spärlich aus. Dass die distanzierte Nüchternheit der Inszenierung zur in tausend Farben schillernden und schwelgenden Musik kontrastiert, dürfte allerdings zum szenischen Konzept gehören.

Für ihr Konzept hat sich Tatjana Gürbaca wieder viele Gedanken gemacht, die nicht immer durchgängig schlüssig wirken. Das Thema der Oper bezieht seinen Reiz nicht zuletzt aus dem ambivalenten Lancieren zwischen irrealen und erträumten Bewusstseinssphären. Paul will sich mit dem Tod seiner über alles geliebten Frau Marie nicht abfinden und zieht sich in eine von ihm geschaffene Traumwelt, die „Kathedrale des Gewesenen“, zurück. In der Tänzerin Marietta sieht er die Inkarnation seiner toten Frau und erhofft sich, mit ihr an das glückliche frühere Leben anknüpfen zu können. Als die Illusion platzt, tötet er Marietta. Welche Teile der Handlung real und welche fiktiv zu verstehen sind, lässt Korngold offen. Und zwar bewusst. Das Unerklärliche ist schließlich ein wichtiges Element des Fin de Siècle mit seinem Hang zur Dekadenz. Ob in einem eher reißerischen Stück wie Die tote Stadt oder einem symbolistisch verschlüsselten Werk wie Debussys Pelléas et Mélisande: Die Spannung ergibt sich gerade aus der Erkenntnis, wie unsicher unsere Wahrnehmung ist und wieviel ungeklärt bleiben muss.

Versuche, die undurchdringliche Komplexität solcher Handlungen logisch zu entschlüsseln, gehen meist schief. Sogar in Peter Sellars‘ hoch gepriesener Inszenierung von Debussys Pelléas in Amsterdam. Auch Gürbacas Bemühen, die Handlung auf sattelfeste reale Beine stellen zu wollen, indem sie Marietta als vernachlässigte Zwillingsschwester der toten Marie deutet, die an der Seite Pauls das verlorene Glück ihrer Schwester nachholen will, überzeugt nur wenig, richtet aber zum Glück wenig Schaden an. Denn diese Deutung erfährt man eigentlich nur aus dem Pausengespräch mit der Regisseurin, in der Aufführung spielt sie kaum eine Rolle.

Was den optischen Rahmen angeht, beschränkt sich Gürbaca auf eine schmucklose, stark reduzierte Kulisse. Gespielt wird auf einer runden, erhöhten Drehbühne, angelegt als Tanzfläche einer Pooldance-Bar. Entsprechend flankieren den Bühnenrand Barhocker, auf denen die Sänger bisweilen Platz nehmen und der Handlung wie in Edward Hoppers berühmtem Bild Nighthawks zusehen. Eine bräunlich dezente Kulisse von Ausstatter Stefan Heyne, ergänzt durch die tristen Alltagskostüme von Silke Willrett. Auf dramatische Effekte legt die Regisseurin keinen Wert, bemüht auch, anders als viele Kollegen, keine Anspielungen auf Hollywood-Filme à la Hitchcocks Vertigo. Die symphonischen Fieberkurven der Musik prallen an dieser schmucklosen Fassade weitgehend ab.

Im Zentrum steht also die persönliche Beziehung der beiden Protagonisten, die nach einer detailgenauen Personenführung und dem unverzichtbaren emotionalen Einsatz der Sänger verlangt. Im Detail lässt die Regisseurin dann auch wie erwartet ihr Talent erkennen, auch wenn die Abstandsregeln intensivere Begegnungen der beiden verhindern. Allerdings versteht es die professionelle und flexible Kameraführung, Defizite mit einigem Erfolg zu mildern.

Ohnehin geht die stärkste Sogkraft von den Sängern und dem Orchester aus. Gabriel Feltz, Generalmusikdirektor der Dortmunder Oper, lässt die geniale Partitur farbenprächtig und mit starkem emotionalem Nachdruck aufblühen. Burkhard Fritz als Paul steht die dreistündige Aufführung mit enormer Kondition und beeindruckender Strahlkraft durch. Aušrine Stundyte hat erst in diesem Sommer in Salzburg als Elektra bewiesen, dass es ihrer Stimme nicht an Durchschlagskraft fehlt. Allerdings klingt ihr Sopran in den Höhen recht rau, und es fehlt ihm an einer Prise mädchenhafter Wärme. Äußerst kultiviert bringt Wolfgang Stefan Schwaiger seinen Bariton als Frank und Pierrot ein. Dalia Schaechter steuert mit ihrem recht angestrengten Sopran eine eher darstellerisch überzeugende Brigitta bei.

Vorzüglich der noch am Vorabend der Premiere vom Magazin „Oper! Awards 2020“ zum besten Chor gekürten Chor der Kölner Oper einschließlich der Jungen und Mädchen der Kölner Dommusik.

Auch wenn es derzeit nicht danach aussieht. Trotz der insgesamt hervorragenden digitalen Präsentation sollte die Hoffnung auf eine Live-Aufführung nicht aufgegeben werden. Auch wenn sich möglicherweise die optische Reduktion der Online-Produktion als Nachteil erweisen könnte.

Pedro Obiera