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Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Spiel ohne Publikum

STARKE BRANDUNG
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
26. Mai 2020
(Video on demand)

 

Hinterhofsalon, Köln

Neun Milliarden für ein Luftfahrtunternehmen und Autokaufprämien in Zeiten des Klimawandels, im Gegenzug wird die Kultur nach allen Regeln der Kunst abgehängt. Spielstätten werden mit Restriktionen überzogen, die Aufführungen unmöglich machen, bis heute ist für die Existenzsicherung selbstständiger Künstler mit Auftrittsverbot nicht gesorgt. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um sich zu fragen, welches System dahinter steckt.

Umso höher sind die Bemühungen einzelner zu bewerten, die versuchen, noch so etwas wie einen Kulturbetrieb aufrechtzuerhalten. So wie Christina und Gerhard Richthofen, die seit Wochen ihren Kulturkanal im Hinterhofsalon von Anja Reuther in Köln betreiben und somit wenigstens Duos aus der Kölner Region die Möglichkeit eines Auftritts verschaffen. Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch geht man da Woche für Woche gern donnerstags um 20.20 Uhr auf die Website, um wenigstens ein wenig Linderung zu erfahren.

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Am vergangenen Donnerstag waren Margaux Kier und Henning Brand zu Gast im Hinterhofsalon, was jetzt noch als Video on demand zu betrachten ist. Die beiden sind auch im echten Leben ein Paar und dürfen sich einander also auch über derzeit noch vorgeschriebene Gebühr nähern. Allerdings müssen die übrigen Mitglieder ihrer Band Margaux & die BANDiten draußen bleiben. So sehr sich Kier über ihren Auftritt freut, so sehr schmerzt es doch, ohne Publikum musizieren zu müssen. Daraus macht sie auch keinen Hehl. Es ist einfach doppelt schwierig, die nötige Energie aufzubauen, wenn der Anspielpartner fehlt. Da hilft auch das Bewusstsein wenig, dass hinter den zahlreichen Kameras, die im Hinterhofsalon aufgebaut sind, viele Menschen das Geschehen verfolgen. Begeisterte Gesichter, Applaus, schlicht die körperliche Anwesenheit fehlen, verkürzen das Programm und machen selbst für Profis wie Kier und Brand die Moderation schwierig. Da mag sich manch einer gerade überlegen, ob er überhaupt auftreten will.

Margaux Kier ist im schönen Bydgosczc oder zu Deutsch Bromberg in Polen geboren. Mit zwölf Jahren reiste sie ihren Eltern nach Köln nach, wo sie bis heute lebt. Nach Medizinstudium und ärztlicher Tätigkeit wandte sie sich mehr und mehr den schönen Künsten zu, ließ sich in Schauspiel, Gesang und Sprache ausbilden. Vor 20 Jahren gründete sie Margaux & die BANDiten, ein Herzensprojekt, wie sie selbst sagt, und ein Brückenbauer zwischen Deutschland und ihrer nie erloschenen Liebe zu Polen. Ihr Partner Henning Brand ist Pianist, Schlagzeuger und Komponist.

Und so erklärt sich das Programm Starke Brandung, das die beiden im Hinterhofsalon vorstellen, nahezu selbst. Es ist eine Mischung aus deutschen, englischen, französischen und polnischen Anteilen, vieles davon ist selbst geschrieben und komponiert. Aber so schön, kurzweilig und abwechslungsreich der Abend ist: Wer in ihr Album Euphoria, das im vergangenen Jahr erschienen ist, reinhört, weiß, dass man hier allenfalls eine Ersatzdroge geboten bekommt. Hier der Liederabend mit Klavierbegleitung, immerhin mit eindrucksvollen Jazz-Soli von Brand auf dem Flügel, dort aber eine wunderbare Weltmusik, höchst kunstvoll und ausgereift in großer Besetzung, ohne sich auf ein Genre eindeutig festlegen zu lassen. Trotzdem lohnt es sich, den Abend zu erleben. Wohl selten kommt man dem Duo so nah, wie in diesem Video, in dem sich Christina von Richthofen mit ihnen unterhält und dem Zuschauer die Menschen näherbringt.

Außerdem wird an diesem Abend ein Bonbon ausgepackt, das sich auf dem Album nicht findet. Henning Brand hat drei Gedichte von Else Lasker-Schüler vertont, die Kier berührend vorträgt. Von Richthofen ist es einmal mehr gelungen, zwei außergewöhnliche Musiker vorzustellen, von denen man nach diesem Abend mehr erleben möchte, am liebsten natürlich endlich wieder live auf dem nächsten Konzert. Auch am kommenden Donnerstag lohnt es wieder, 20-20.live zu besuchen. Dann treten der Komponist, Improviser und Multiinstrumentalist Steffen Schorn mit seiner Frau, der Cellistin Ulrike Zavelberg mit ihrem neuen Programm Riki Zauberlet an, das eigens für den Auftritt im Hinterhofsalon Köln entstanden ist.

Michael S. Zerban