O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Viel Theater um Musik

SPIEL (?)(!)
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. April 2022
(Uraufführung)

 

I Transiti im Küchen-Loft, Köln

Newcomer sind sie wahrhaftig nicht. Vittoria Quartararo hat in Florenz und Köln Klavier studiert und arbeitet seit vielen Jahren erfolgreich mit dem Schwerpunkt zeitgenössische Kammermusik. Ein Meister der Klarinette ist Blake Weston, der sich das Instrument zunächst in der amerikanischen Heimat selbst beibrachte, ehe er in Amsterdam und Köln studierte. Gut, dass er gerne reist. Denn seine Engagements reichen von den Niederlanden über Asien bis Südamerika. Yoshiki Matsuura stammt aus Miyazaki in Japan und studierte Posaune in Tokio und Köln. Auch die Liste seiner Engagements vor allem im Bereich der zeitgenössischen Musik ist eindrucksvoll. Die drei haben im vergangenen Jahr das Ensemble I Transiti gegründet. Na ja, raunt die Menge, das ist nun vielleicht nicht so spannend. Auch die Zusatzinformation, dass es sich um ein Ensemble für zeitgenössische Musik handelt, kann möglicherweise nicht so recht für überwältigende Begeisterung sorgen. Interessanter ist da schon die Nachricht, es handele sich um ein Musiktheater-Ensemble. Ein Trio annonciert Musiktheater? Dass hier etwas ganz Besonderes entstanden sein könnte, verkündet schon der Name. I Transiti sind in der wörtlichen Übersetzung die Hinübergeschrittenen, Quartararo gefällt aber als deutsches Synonym der Begriff des Übergangs viel besser. Grenzen überschreiten und dabei eine eigene Dynamik zu entwickeln, ist auf jeden Fall, was hinter dem Namen steht. Und das klingt nun wirklich vielversprechend.

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Heute Abend haben die drei Musiker die Gelegenheit, das Versprechen ihres Namens einzulösen. Das Küchen-Loft im Kölner Stadtteil Bayenthal ist den Bürgern der Stadt als Spielstätte nicht ganz unbekannt. In der Festivalreihe Musik in den Häusern der Stadt diente die Ausstellungshalle für Küchenmöbel wohl bereits mehrfach als Konzertort. Im Foyer sind durchaus konventionell Stuhlreihen angeordnet. Zur Galerie führt am Kopfende eine Stahltreppe, um die ein Tisch und ein Flügel sowie diverse Notenständer gruppiert sind. Die „Bühne“ ist mit viel schwarzem Stoff verhängt, so dass hier wirklich eine Atmosphäre ähnlich der eines Kammermusik-Saals entsteht. Das Konzert – oder was auch immer es werden wird – ist recht gut besucht, allerdings sucht man Kollegen aus den anderen Ensembles zeitgenössischer Musik oder Komponisten, die gerade in Köln erfreulich gut vertreten sind, vergebens.

Es will nicht so recht losgehen, bis Quartararo energisch wird und die Kollegen zusammentrommelt. Der Einstieg kommt nicht von ungefähr. Regisseur Felix Grützner hat mitgeholfen, einen theatralen Abend zu entwickeln. Von der ersten Minute an wird die Freude am Schauspiel der drei Musiker spürbar. Zum Auftakt gibt es, als sich dann alle drei „endlich“ auf der Bühne eingefunden haben, ein Stück von Antonio Covello aus dem vergangenen Jahr, das mit dem Titel Herbstspiele für Klarinette, Posaune und Klavier geschrieben ist. Anschließend wird es regelrecht dramatisch. Matsuura besteigt den Tisch, auf dem ein Kissen auf einem Teppich vorbereitet ist, und beginnt, den Atem für einen Bläser von Mauricio Kagel aus dem Jahr 1970 vorzutragen. Währenddessen steigt Weston auf die Galerie, reinigt seine Instrumente und verpackt sie. Quartararo beschäftigt sich derweil mit dem Zusammenbau einer Melodika. Das irritiert. So schlecht ist der Vortrag Matsuuras nicht, dass man ihn vollständig zu ignorieren bräuchte. Da ist es nur gerecht, dass der Posaunist am Ende des Stücks tot zusammenbricht. Seine Wiederauferstehung kommt zwar im Kirchenjahr verspätet, wird aber mit Johann Sebastian Bachs Präludium Nr. 1 in C-Dur aus dem Wohltemperierten Klavier ausreichend gefeiert. Und so tragen die drei Musiker das Stück schließlich im Rundlauf gemeinsam vor. Nein, fehlerfrei funktioniert das nicht, aber der Spaßfaktor überwiegt hier die Virtuosität.

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Danach kehrt Unordnung ein. Eigentlich will Weston die Zuschauer auf ihre Aufgaben während der Pause einstimmen – sie sollen irgendwelche Kärtchen, die an ihren Stühlen angebracht sind, auf Tabletts ablegen – aber die haben nicht so ganz verstanden und stürmen los. Die Musik von Bela Bartók und György Kurtág geht völlig unter. „Sehr interessant“, bekundet ein Besucher, als er in der Pause auf den Innenhof vor dem Küchen-Loft tritt. Aber die Stimmung ist gut. Und wird sich in der zweiten Hälfte noch steigern. Denn dann geht es mit John Cages Klavierkonzert aus dem Jahr 1958 in der Fassung für Klarinette, Posaune und Organo del publico weiter. Die Stimme des Publikums wird von Quartararo gesteuert, die zu gegebener Zeit Kärtchen mit Emojis hochhält, nach denen das Publikum in verschiedenen Stimmlagen zu reagieren hat. Nach der Sektzuteilung in der Pause gibt es da keinerlei Schwierigkeiten.

Anschließend begeben sich die Musiker an den Tisch und praktizieren ein „Klatschstück mit Bechern“ unter dem Titel Good Cup/Bad Cup von Kaboom, dem sich Clapping Music von Steve Reich aus dem Jahr 1972 anschließt. Wenn die Musiker sich mit der „Suche nach Leichtigkeit und dem spielerischen Element“ auseinandersetzen wollen, gelingt ihnen das zu diesem Zeitpunkt grandios. Als Finale haben sie Moritz Eggerts Tableau, Bewegung für Klarinette und Klavier mit Melodika aus dem Jahr 1997 ausgewählt. Eggerts Anspruch, den Musiker über seine Grenzen im Umgang mit dem Instrument zu treiben, wird schon in diesem frühen Stück deutlich. Davon lassen sich die Musiker allerdings nicht beeindrucken. Sie nehmen die Herausforderung an und begeistern abermals das Publikum.

Tatsächlich gelingt es dem Ensemble, die zeitgenössische Musik so leichthin zu interpretieren, dass sich hier niemand Gedanken über das Genre macht. Im Nu ist etwas mehr als eine Stunde vergangen, die zwar für die Musiker durchaus schweißtreibend ist, dem Publikum aber ein ausgesprochenes Vergnügen bereitet. In den kommenden Monaten sind drei weitere Uraufführungen an verschiedenen Spielorten vorgesehen. Dann wird man sehen, ob sich das Prinzip der Leichtigkeit fortsetzen lässt, für das das Publikum das Ensemble heute Abend ausgiebig feiert. Nach diesem Abend darf I Transiti immerhin schon mal als Geheimtipp gelten.

Michael S. Zerban