O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Ganz entspannt im Hier und Jetzt

SELF-(UN)WINDING
(Diverse Komponisten)

Besuch am
31. März 2023
(Einmalige Aufführung)

 

E-Mex-Ensemble in der Alten Feuerwache, Köln

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als verlören die Betreiber der Alten Feuerwache in Köln mehr und mehr das Interesse daran, Spielstätte für kulturelle Veranstaltungen zu sein. Mal ganz abgesehen von der verheerenden Parkplatzsituation. Auch heute Abend muss man schon ein sehr hartnäckiger Besucher sein, um in den Konzertsaal zu finden. Auf dem Hof spielen Kinder Fußball, ein tragbarer CD-Spieler kreischt Musik von Abba, zu der eine andere Gruppe irgendwelche Übungen veranstaltet. Die Türen zum Konzertsaal sind eine halbe Stunde vor Beginn verschlossen, Plakate, Aufsteller oder andere Hinweise gibt es nicht. Es ist ja grundsätzlich begrüßenswert, wenn hier die sozialen Aufgaben eine immer größere Rolle spielen. Nur sollte man dann vielleicht auch die richtigen Konsequenzen ziehen. Schließlich sind Ensembles, die hier den Saal anmieten, darauf angewiesen, möglichst viele Besucher begrüßen zu können.

Evelin Degen – Foto © O-Ton

Wider Erwarten füllt sich die Tribüne bis Konzertbeginn doch noch ganz ordentlich. Und das ist gut so. Denn das E-Mex-Ensemble hat einen formidablen Abend vorbereitet. 1999 gegründet, steht das Ensemble heute für Kontinuität und Expertise in der Zusammenarbeit mit Komponisten der Gegenwart. Spitzenmusiker, die sich in vielen Jahren als Team bewährt haben, interpretieren auf höchstem Niveau, was sie zumeist selbst in Auftrag geben. Auch der heutige Abend setzt sich ausschließlich aus Auftragsarbeiten des Ensembles zusammen. Und beginnt gleich ein wenig unglücklich. Die ursprüngliche Idee, die Performance von Mio Chareteau mit sechs Darstellern und Diaprojektoren aufzuführen, hätte sicher den Rahmen gesprengt. Also entschied man sich, einen Film zu zeigen. Allerdings hat Regisseur Joachim Schloemer offenbar kein Gespür für Proportionen. Und so erscheint das Wiegenlied Teil zwei aus dem Jahr 2020 in schmalen Streifen auf der Leinwand, in deren Mitte klitzekleine, beim besten Willen nicht zu erkennende Bilder auftauchen. Weil es auch auf dem Abendzettel keinen Hinweis gibt, ist nicht zu entschlüsseln, was der Film sagen will. Er bewirkt lediglich, dass man zur Ruhe kommt und sich auf den Abend einlässt. Aber das ist ja auch schon eine Menge. Es gibt keinen Applaus – wie den ganzen Abend nicht. Das ist ungewöhnlich, spielt aber dem Orchester in die Karten. Denn so kann es bei abgedunkeltem Blaulicht konzentriert die notwendigen Umbauten zwischen den einzelnen Stücken vornehmen. Und das bedeutet vor allem für Martin von der Heydt am Klavier eine enorme Erleichterung, denn er hat eindeutig am meisten damit zu tun, sein Instrument für das nächste Stück einzurichten.

Michael Pattmann – Foto © O-Ton

2021 komponierte Ana Gnjatović Forest Walk für Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier. Ehe es allerdings zur Musik kommt, ist erst mal Platz für ausgiebiges Flüstern. Später kommen Stimmen dazu, bevor sich die Instrumente – ebenfalls in reduzierter Form – einmischen. Ein Jahr zuvor schrieb Annesley Black das Stück Hammer Hammer für Klavier, Schlagzeug und Live-Elektronik. Das Schlagzeug ist in diesem Fall ein Marimbafon mit zusätzlichen Instrumenten, das Michael Pattmann exzellent beherrscht. Von der Heydt übernimmt am Klavier die Live-Elektronik. Black fällt damit auf, dass sie einige extrem starke Stellen in ihrer Komposition findet und sehr gekonnt das Zusammenspiel von Klaviersaiten und Klaviatur beherrscht.

Von Monika Szpyrka stammt der Titel des heutigen Konzerts. Self-(un)winding ist im Englischen ebenso kryptisch wie im Deutschen: Selbst-(Ab-)Aufzug. Dazu benötigt sie die Flöte von Evelin Degen, die Klarinette von Joachim Striepens, die Violine von Kalina Kolarova, das Cello von Burkart Zeller, Schlagzeug, Klavier und Elektronik. 2021 entstanden, fügt sich das Werk wunderbar in das Programm ein. Sara Glojnarić startet gerade den Senkrechtflug in ihrer Karriere. Vor drei Jahren komponierte sie Artefacts #3 für Flöte, Geige, Cello, Klavier, Schlagzeug und Video. Hinzukommt das Akkordeon im Dauerton, das hervorragend von Petteri Waris interpretiert wird. Mit dem Video ist das E-Mex-Ensemble anscheinend ein wenig überfordert. In diesem Fall wird ein Text so schnell eingeblendet, dass man allenfalls eine Ahnung seiner Bedeutung erfährt. Das Video von Johannes Kreidler wirkt zwar zeitlich ein wenig überholt, weil aus dem Beethoven-Jahr 2020 stammt, sorgt aber für mehr als ein Schmunzeln im Publikum.

Christoph Maria Wagner sorgt wie gewohnt für die musikalische Leitung des Abends. Ob sein Dirigat wirklich notwendig ist, darf in dem eingespielten Team im positiven Sinne bezweifelt werden. Nach einem außerordentlich entspannenden Abend bedankt sich das Publikum endlich mit viel Applaus. Das E-Mex-Ensemble ist in Köln am 7. Mai im Rahmen des Acht-Brücken-Festivals wieder zu erleben, dann im Großen Sendesaal im Funkhaus Köln mit einem Stück von Morton Feldman und einer Uraufführung von Helena Cánovas i Parés.

Michael S. Zerban