O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ingo Solms

Aktuelle Aufführungen

Zum Wohl der Allgemeinheit

RETTET DEN KAPITALISMUS
(Michael Barfuss)

Besuch am
30. Dezember 2021
(Uraufführung)

 

Theater der Keller in der Tanzfaktur, Köln

Während andere, staatlich finanzierte Häuser ihre Tore in der Woche vor Weihnachten geschlossen haben und sie auch nicht vor Ablauf der ersten Januarwoche wieder öffnen, gehört es im Theater Der Keller zur guten Gewohnheit, sowohl am 30. als auch am 31. Dezember zu spielen. Dass es dafür einen echten Bedarf gibt, zeigt der Besuch am Silvestervorabend, wenn auch gleich noch eine Uraufführung gezeigt wird.

Marianne Jentgens und Heinz Opfinger gründeten das älteste Privattheater Kölns 1955 in einem Luftschutzkeller. 1974 bezog das Theater eine ehemalige Entbindungsklinik in der Kleingedankstrasse in der Kölner Südstadt. Dort blieb es bis 2019, ehe es in die Tanzfaktur im Kölner Stadtteil Deutz umzog, die bislang als Interim bezeichnet wird. Seit 2013 leitet Heinz Simon Keller das Theater. Der am Mozarteum Salzburg studierte Schauspieler führt an diesem Abend auch Regie bei der Uraufführung von Rettet den Kapitalismus! mit dem Untertitel Eine Crash-Revue in 90 Minuten. Und zeigt sich als guter Gastgeber, wenn er auch die letzten Plätze noch Bekannten zuweist. Eine fast schon familiäre Atmosphäre, die sich zugunsten des Stücks auswirken wird.

Der Untertitel führt in die Irre. Gezeigt wird keine Revue, sondern vermutlich eine Fernsehshow mit zahlreichen Musiktiteln. Daraus ergibt sich eine unterschiedliche Gewichtung. Während bei der Revue kleine Zwischenmoderationen zu den einzelnen Titeln gesprochen werden, müssen bei der Talk-Show die Gäste interviewt werden, und die Musik rückt in den Hintergrund. Die Texte hat Ulrike Janssen in Zusammenarbeit mit dem Ensemble verfasst. Das Publikum scheint auf „Silvesterkomödie“ gebürstet zu sein, und so werden bei den Texten zuvörderst die Pointen gesucht. Wirklich bleiben die Aussagen erstaunlich weit an der Oberfläche, bieten aber so den Darstellern Raum für viel Komik und Ironie, wenn beispielsweise zum wiederholten Mal die Losung des Kapitalismus ausgegeben wird, dass er doch wohl ausschließlich dem Allgemeinwohl diene. Glücklicherweise bleibt der Slapstick außen vor. Dramaturgisch eher eine schlechte Lösung, entsteht am Ende doch der Eindruck, dass das kapitalistische System unveränderbar sei.

Foto © Ingo Solms

Die Bühne hat Lara Hohmann gebaut. Den Hintergrund beherrschen Projektionsflächen. Davor gibt es Holzkisten, die man als Miniatur-Hochhäuser interpretieren kann. Im Vordergrund links eine einzelne Holzkiste, die als Redner-Pult dient, in der Mitte eine kleine Kiste, die der Moderatorin als Sitzfläche dient. Rechts davon ist die Band aufgebaut. Vor der ist noch Platz für zwei grüne Flächen, auf denen orangefarbene „Einfamilienhäuser“ aufgestellt sind. Hohmann ist auch für die Kostüme zuständig. Moderatorin und Musiker sind in Cowboy-Hüte und Westernstiefel gekleidet, die Moderatorin zudem in einen karierten Hosenanzug. Derart schlecht gekleidete Menschen bekämen in Amerika in keiner Talk-Show eine Auftrittschance, aber die Botschaft kommt an. Der böse Kapitalismus kommt aus Amerika. Mehr Fantasie entwickelt die Kostümbildnerin bei den Gästen, die zwar gleichermaßen typisierend, aber doch abwechslungsreicher eingekleidet werden. Die Videos von Nazgol Emami zeigen Massenszenen, Bilder von amerikanischen Highways – aber wie will man den Kapitalismus in Bilder setzen? Sie rücken schnell in den Hintergrund, ergänzen das Bühnenbild hübsch, ohne zur Aussage wesentlich beizutragen. Keller hat die Personen und Räume gut im Griff; es gelingt ihm, das Stück rasch voranzutreiben, und etliche schöne Einfälle bereichern den Abend.

Mira Wickert spielt ein „It-Girl“, das Moderatorin sein will. Es fehlt ein wenig die Ausstrahlung. Dafür entschädigt sie unter anderem mit ihrem Vortrag von It’s a man’s world, das sie mit viel Ironie interpretiert. Matthias Lühn und Gareth Charles stellen abwechselnd die verschiedenen Gäste dar und bereiten dem Publikum mit ihren Auftritten viel Freude, wenn etwa ein Vorstandsvorsitzender, ein Unternehmer, der gescheiterte Manager einer Sozialbank, der reiche Erbe und viele andere auftauchen. Den größten Erfolg erzielt Charles mit seinem letzten Auftritt, in dem er mit viel Lokalkolorit glänzt. Das könnte in einer kölschen Kneipe beim Handwerker-Stammtisch nicht besser klingen. Herrlich.

Zahlreiche Lieder ergänzen die „Interviews“ im Arrangement von Michael Barfuss. Philipp Joerres an der Posaune, Victor Maria Diderich am Saxofon und Gleb Tschepki am E-Piano unterstützen die singenden Darsteller, wenn sie nicht gleich selbst mitsingen. Die Balance im Tanzsaal stimmt allerdings überhaupt nicht. Während die Bläser dröhnen, sind die Sänger kaum zu verstehen, und damit bleiben auch einige bekanntere Lieder unerkannt. Bei Der Weg von Herbert Grönemeyer wird auch in den Text eingegriffen, und aus Hanns Eislers Lob des Kommunismus wird kurzerhand ein Lob des Kapitalismus – schöne Idee. Vielleicht kann man hier bei künftigen Aufführungen mit einer vernünftigen Mikrofonierung der Akteure noch einiges an Verbesserung erzielen. Dank des Ungleichgewichts fällt auch auf, dass bei den Arrangements vor allem in der Vielfalt noch Luft nach oben ist. Aber es gibt viel laute und poppige Musik, da achtet das Publikum nicht so auf die Feinheiten, sondern konzentriert sich lieber auf großen Beifall für die Akteure.

Michael S. Zerban