Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
OHN WARUM
(Christina C. Messner)
Besuch am
28. Oktober 2020
(Einmalige Aufführung)
Eine „nationale Kraftanstrengung“ nennt die Bundeskanzlerin eine sinnentleerte und ohne Augenmaß angeordnete Symbolpolitik, mit der die „Königin von Deutschland“ den nächsten Shutdown einleitet. Demokratie ist in Seuchenzeiten nicht gefragt, da wollen einsame Führer einsame Entscheidungen treffen. Dass sie dazu nicht in der Lage sind, haben heute Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Bundesländer gezeigt. Erst mal müssen die Beschlüsse einer Videokonferenz noch demokratisch legitimiert werden, aber dass hier noch eine Besinnung einsetzt, ist so gut wie unwahrscheinlich. Derweil wird die Bevölkerung mit der Bekanntgabe hoher Infektionszahlen durch die öffentlich-rechtlichen Medien terrorisiert, von denen man sich einst eine regierungsunabhängige Berichterstattung versprach, weil sie von der Bevölkerung bezahlt werden. Über diesen Witz lachen sich vermutlich bis heute Politiker scheckig. Ab dem 2. November findet der nächste Shutdown statt. Und damit sind ab der kommenden Woche Aufführungen in Theatern oder sonstigen Spielstätten verboten. Seuchengesetz schlägt Grundgesetz? Staatsräson geht vor Verhältnismäßigkeit? Man wird sehen.
Daniel Gloger, Lore Leydel und Tristan David Gloger – Foto © O-Ton
Auf der Straße schlägt derweil die Stimmung um. Angst greift um sich. Hysterie breitet sich aus. Die Nerven liegen blank. Ein ganz schlechter Horrorfilm. Menschen, die man liebgewonnen hat, verlieren jede Contenance. Mit gereizten Sinnen geht es so zu der Aufführung eines Requiems von Christine C. Messner in der Kunststation St. Peter in Köln. Gut gelaunt, weil es völlig überraschend mit dem Parkplatz vor der Tür geklappt hat und der Besuch in der wunderbar kölschen Kneipe Bei d’r Tant gleich gegenüber nicht nur kulinarisch als Erlebnis, sondern der Wirt sich auch noch als köstlich wortwitzig erwiesen hat, geht es zum Eingang der Kunststation St. Peter. Dort stellt sich völlig unerwartet eine junge Frau in den Weg, um sogleich zu bitten, mal einen Meter zurückzutreten, um den Abstand zu wahren. Erst dann kommt sie ihrer Aufgabe nach, den weiteren Verlauf des Abends zu erklären. Es ist vielleicht ein wenig über das Ziel hinaus, aber die rasche Abfertigung am Kartenschalter und die nette Begleitung zu den Sitzen entschädigt für alles.
Christina C. Messner hat mit Ohn warum – re!quiem.20 einen interreligiösen Totengesang nach „Texten, Liedern, Gedichten aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen und Kulturen“ komponiert, für dessen Aufführung Inka Ehlert die Verantwortung übernimmt. Über all den Anforderungen, mit denen Ordnungs- und Gesundheitsämter bereits seit Wochen die Kulturszene überschwemmen, scheint dabei allerdings die gesunde Relation verlorengegangen zu sein. Und so erlebt das Publikum im vollbesetzten Kirchengebäude so etwas wie eine Aufführung quasi ohne Aufführende. Vor lauter Abstandsregeln sind die Akteure ins Obergeschoss ausgewichen, wo sie vom Publikum gar nicht gesehen werden können. Und so sitzt das Publikum vor einer leeren Bühne, während die ersten Klänge des Requiems von der Empore ertönen. Da mag sich keine rechte Konzentration einstellen, zumal die Textverständlichkeit gegen Null geht. Erst, als Bettina Wenzel, Sopranistin, mit ungeheurer Stimmakrobatik den Kirchenraum betritt, stellt sich immerhin so etwas wie Bewunderung ein.
Dorrit Bauerecker – Foto © O-Ton
Längst verloren ist zu diesem Zeitpunkt die Idee Messners, einen interkulturellen Totengesang zu komponieren, der sich nicht um die kulturellen Unterschiede schert, sondern nach Gemeinsamkeiten sucht. Als die Akteure sich endlich auch in den Kirchenraum wagen, gewinnt das Werk an Stärke. Ursprünglich war geplant, das Publikum in der Mitte „einzufangen“, mit den verschiedenen Klängen von Schlagzeug, Akkordeon, Flöte, Klarinette und Chören. Stattdessen sitzen die Besucher die meiste Zeit allein im Kirchenraum, um sich von oben berieseln zu lassen. Wenn endlich der Projektchor Braunsfeld auch sichtbar werden könnte, konzentriert die Aufmerksamkeit sich auf Instrumenalisten und Sänger auf der anderen Seite. Bei weiterhin fehlender Textverständlichkeit bleibt der Klang der ungewöhnlich notierten Instrumente, wie es sich für Neue Musik „gehört“. Immerhin interessant die geradezu roboterhaften Anleitungen der musikalischen Leiterin Susanne Blumenthal. Alsbald aber ziehen die Akteure sich wieder auf die Empore zurück, verschwinden also erneut in der Unsichtbarkeit. Dabei ist der Abend hochkarätig besetzt. Countertenor Daniel Gloger vermag sich kurzzeitig in Szene zu setzen und Sopranistin Irene Kurka geht unverdient völlig unter.
Die Aufführung ist im Wortsinn verrückt. Viele Besucher schließen die Augen, um einen meditativen Zugang zum Werk zu finden. Zum Ende hin irritiert Messner mit einer Generalpause. Dann ist es geschafft. Und es stellt sich heraus, dass die Kapitel und der gesungene Text im Abendzettel abgebildet sind. Da war viel gewollt. Und glücklicherweise viel geplant. So kann sich nämlich doch noch alles zum Guten wenden. Ende November kann man hier eine Aufzeichnung des Konzerts sehen. Und die Kameraleute waren auch auf der Empore. So dass sich möglicherweise noch einmal ein ganz anderer Eindruck einstellt. Am selben Ort gibt es übrigens eine Stunde vorher die Übertragung einer Diskussionsrunde mit Vertretern verschiedener Religionen aus der Melanchton-Akademie Köln, in der man sich dann auch noch mal mit dem eigentlichen Anliegen Messners eingehender befassen kann, als das in der Kirche möglich war.
Michael S. Zerban