O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Keine verschmelzende Kunst

MOVING PICTURE (946-3)
(Gerhard Richter, Corinna Belz)

Besuch am
12. Dezember 2021
(Premiere am 11. Dezember 2021)

 

Romanischer Sommer im Filmforum NRW

Seit 31 Jahren gibt es den Romanischen Sommer, bei dem Musik in den romanischen Kirchenbauten Kölns als Festival dargeboten wird. Aber auch Maria Spering, der Künstlerischen Leiterin, geriet in diesem Jahr coronabedingt so einiges in der Programmierung durcheinander. Und so muss einer der von ihr definierten Höhepunkte im Dezember stattfinden. Eigentlich war die Uraufführung im vergangenen Jahr geplant. Stattdessen findet sie nun im Filmforum NRW, einem Kino im Museum Ludwig in Köln, statt. Zuvor ist Moving Picture (964-3) inzwischen bereits im Kiyomiziu-Tempel in Kyoto und beim Musikfest Berlin gezeigt worden. Es handelt sich dabei nicht um ein Konzert, sondern um eine Filmaufführung. Oder genauer gesagt: um eine Filmaufführung mit musikalischer Live-Begleitung.

Gerhard Richter wurde 1932 in Dresden geboren, studierte von 1961 bis 1964 an der Düsseldorfer Kunstakademie und war dort von 1971 bis 1993 als Professor für Malerei tätig. Inzwischen lebt und arbeitet er in Köln, gehört zu den bekanntesten Künstlern der Welt. Viel Aufsehen erregte das Fenster, das er 2007 im Kölner Dom gestaltete. Es polarisiert bis heute. Nicht nur mit dem Domfenster, sondern auch mit anderen Arbeiten Richters hat sich Corinna Belz intensiv auseinandergesetzt. Sie studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik und Medienwissenschaften in Köln und Berlin und hat seither mit zahlreichen Filmen auf sich aufmerksam gemacht. Gemeinsam mit Richter hat sie sich mit seinem Gemälde Abstraktes Bild ‚Joshua‘ (946-3) von 2016 beschäftigt. Entstanden ist daraus in der Zeit von 2017 bis 2019 ein Film. Für diejenigen, die es interessiert, sei hier die Herstellung des Films nach Angaben der Veranstalter wiedergegeben. Grundlage ist also das Bild Joshua sowie „die mathematische Formel der absteigenden Potenzen 4096 – 2048 – 1024 – 512 – 256 – 128 – 64 – 32 – 16 – 8 – 4 – 2, die Richter mehreren seiner Arbeiten zugrunde legte, besonders prominent dem Bild 4096 Farben von 1974, das er auch für die Neugestaltung des Südhausquerfensters im Kölner Dom“ nutzte. Belz hat das Bild also in sage und schreibe 30.000 Sequenzen aufgelöst, die nun im Film als „Spiegelungen, Teilungen, Sequenzierungen und Repetitionen unter Einbeziehung von Zeit und Rhythmus“ erscheinen. Um das Ganze zu vervollständigen, wurde die Komponistin Rebecca Saunders beauftragt, ein Werk für zwei Trompeten zu schaffen. Sie hat Klangketten hintereinander gehängt und sie mit viel Hall versehen. Für die Aufführung sorgt Marco Blauuw. Und das macht er gut.

Marco Blauuw – Foto © O-Ton

Aber weder wollen Musik und Bilder zusammenfinden, noch geht von dem Film irgendwelche Suggestiv- oder hypnotische Kraft aus. Eindrucksvoll ist hier allein die Vorstellung, wie viel Arbeit Belz sich damit gemacht haben muss. Ermüdend ist der langsame Wechsel zwischen bunten Linien und Ornamenten sehr, aber selbst der Schlaf will sich nicht so recht einstellen. Und so bleibt der Blick in den Zuschauerraum, in dem nahezu alle erlaubten Plätze belegt sind. Ja, Gerhard Richter hat Zugkraft. Und wirklich gibt es nur zwei Menschen, die während der Aufführung den Saal verlassen. Trotzdem ist ein live orchestrierter Stummfilm unterhaltsamer.

Auch an diesem Nachmittag gelingt der pünktliche Beginn nicht. Trotzdem ist die Veranstaltung mit dem 37-minütigen Film binnen einer Stunde beendet. Obwohl er doch eigentlich jetzt erst hätte beginnen können. Wenn, ja, wenn Richter und Belz zugegen gewesen wären. Erinnerungen werden wach an Veranstaltungen, bei denen sich Künstler im Anschluss an ihre Installationen erklären mussten. Das ist lange her. Heute werden „große Namen“ konsumiert. Man könnte sich dazu versteigen zu behaupten, dass moving pictures die Weiterentwicklung der Kunst in statischer Form sein könnten. Dieser Nachmittag belegt das Gegenteil. Die fast 40-minütige Betrachtung eines Kunstwerks bleibt wohl sehr speziellen Charakteren vorbehalten. Alle anderen freuen sich auf einen Liedernachmittag beim nächsten Romanischen Sommer mit lebendigen Künstlern, die auch nach der Aufführung noch Rede und Antwort stehen. Gerne auch ganz ohne „große Namen“.

Michael S. Zerban