O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Was Kultfiguren wirklich umtreibt

MIRA 10_IKONEN
(Julia Riera)

Besuch am
2. September 2021
(Uraufführung)

 

Tanzfaktur Köln

Wer sich für den zeitgenössischen Tanz in der so genannten Freien Szene interessiert, ging früher ins Tanzhaus NRW. Seitdem sich das Haus allerdings in seinen Publikationen mehr mit selbsterfundener, ideologischer Sprache und auf den Bühnen mit Urban Dance, also Hiphop und seinen Spielarten beschäftigt, macht das keinen Sinn mehr. Da lohnt schon eher ein Blick in das Programmheft für die neue Spielzeit der Tanzfaktur Köln.

Im Juni 2014 nahm die Tanzfaktur Köln ihre Arbeit im Deutzer Hafen auf. Längst hat der Hafen, nicht weit von der Kölner Altstadt entfernt, seine wirtschaftliche Bedeutung verloren, gierig schauen Investoren auf Brachflächen, stillgelegte Speditionsfirmen und Fabriken. Hier hat die Fenster- und Möbelmanufaktur Gebrüder Campinge, die mittlerweile in Gremberghoven sitzt, ihre Räume der Kultur überlassen. Die Tanzfaktur hat inzwischen auch die ehemalige Autowerkstatt neben der Möbelfabrik übernommen. Hier ist vieles im Umbruch. Die Tanzfaktur selbst versteht sich als „international pulsierenden Ort, der die Bewegung des Körpers in vielfältiger Weise in den Vordergrund stellt und Netzwerke zwischen lokalen und internationalen Tanzschaffenden bildet“. War die Tanzfaktur in den vergangenen Jahren immer wieder mit einzelnen herausragenden Produktionen aufgefallen, zeigt das bevorstehende Programm nicht nur großartige Namen, sondern auch Kontinuität.

Eröffnet wird die Spielzeit von der Compagnie Mira mit einem brandneuen Stück. Um Ikonen soll es gehen. Und damit sind nicht die Heiligenbilder der orthodoxen Kirche gemeint, die inzwischen ganze Museen füllen und auf dem Kunstmarkt horrende Preise erzielen. Nein, Choreografin Julia Riera will sich mit Personen auseinandersetzen, die als Verkörperung bestimmter Werte, Vorstellungen oder eines bestimmten Lebensgefühls stehen. Man könnte vielleicht von Kultfiguren sprechen. Riera scheint aber weniger an ihrer Außenwirkung interessiert, sondern mehr daran, was ein solcher Status eigentlich aus den betroffenen Personen macht. Dazu lädt die Compagnie in die ehemalige Werkstatthalle ein, in der inzwischen eine Tribüne vor einer großzügigen, ebenerdigen Bühnenfläche aufgebaut ist. Hier hat auch das Theater Der Keller seine Interimsspielstätte ohne zeitliche Begrenzung. Auf der Bühnenfläche sind zwei Projektionsflächen aufgehängt. Bitte nicht schon wieder Projektionen. Davon hatten wir in den vergangenen Monaten beileibe genug. Aber die Compagnie hat es erwischt. Eine ihrer Tänzerinnen musste kurzfristig in die Quarantäne. Und so hat sie sich mit dieser Lösung beholfen. Die beiden Tänzerinnen auf der Bühnenfläche werden um Projektionen der dritten Tänzerin ergänzt. Was dann künstlerisch auch gut funktioniert.

Die Tänzerinnen sind in hautfarbene Fantasie-Kostüme gekleidet, die Thomas Wien-Pegelow mit einem Hauch Glamour versehen hat, der für Kostüme wie auch Bühnenbild verantwortlich ist. Ergänzt werden die enganliegenden, viel Haut zeigenden Kleidungsstücke im Verlauf des Stückes mit einzelnen Behängen. Markus Becker sorgt dafür, dass die beiden Damen auf der Bühne stets im richtigen Licht präsentiert werden.

Odile Foehl, Charlotte Petersen und Mijin Kim führen das Publikum also in die Welt der Ikonen, die sich mal statuenhaft positionieren, mal um die richtige Bewegung für das Rampenlicht ringen, mit Reifröcken die unglaublichsten Änderungsmöglichkeiten suchen und zwischendurch erschöpft zusammenbrechen. Versuche, Verbindungen zueinander aufzubauen, laufen meist auf kurz oder lang ins Leere. Selten gibt es auch beglückende Momente, in denen die Tänzerinnen aus sich heraustreten. Da verfällt Petersen schon mal in Kinderhüpfspiele, aber von Dauer ist das nicht. Nach einer knappen Stunde haben sich die drei verausgabt und entblättern sich symbolhaft. Sie haben alles gegeben, aber bis auf die Unterwäsche bleibt am Ende nichts.

Für die Ikonen hat Philip Mancarella eine eigene Klanglandschaft geschaffen, die sich eher behutsam den tänzerischen Erfordernissen anpasst und nur selten in laute Rhythmen verfällt. So ergänzt sich die Komposition auf das Angenehmste mit dem Tanz.

Das sieht auch das Publikum so und feiert vor allem die Tänzerinnen langanhaltend. Insgesamt eine schöne Eröffnung, die die Tanzfaktur mit einem kleinen Sektempfang für alle Gäste ausklingen lässt. Die neue Spielzeit beginnt vielversprechend.

Michael S. Zerban