O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Entdeckerfreude

MAURICIO KAGEL
(David Smeyers)

Besuch am
31. Oktober 2018
(Einmalige Aufführung)

 

Hochschule für Musik und Tanz Köln, Konzertsaal

Von 1974 bis 1997 war er Professor für Neues Musiktheater an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Am 18. September 2008 starb Mauricio Kagel fern der Heimat in der Domstadt. Geboren wurde er am 14. Dezember 1931 in Buenos Aires. Ab dem siebten Lebensjahr erhielt er Klavierunterricht, später kamen Cello, Klarinette und Gesang und Dirigieren hinzu. Von Kindesbeinen an beschäftigt er sich außerdem mit dem Film. In Buenos Aires studiert er Literatur und Philosophie. 1957 wandert er nach Deutschland aus. In Köln arbeitet er im Elektronischen Studio des Westdeutschen Rundfunks. Parallel studiert er Kommunikationswissenschaft in Bonn. Die Bedeutung seines Schaffens liegt neben den Kompositionen in der Erfindung des synergetischen Ansatzes, Film, Theater und Komposition zu einem Kosmos zusammenzuführen. Damit eröffnet er der Neuen Musik viele neue Ausdrucksmöglichkeiten.

David Smeyers, seit 2003 Professor für Ensembleleitung Neue Musik an der Kölner Musikhochschule und Leiter des von ihm gegründeten Ensembles 20/21, hat die Aufgabe übernommen, anlässlich des zehnten Todestages Kagels einen Abend zusammenzustellen, der einen Überblick seines Werkes bietet. Ihm zur Seite stehen Andreas Durban als Regisseur und Birgit Pardun für die Bühne. Es entsteht ein zweistündiges, durchinszeniertes Programm, das nicht nur die Werke von 1964 bis 2002 abbildet, sondern auch versucht, die Ästhetik des Musiktheaters dieser Zeit einzufangen, kurzum ein grandioser Abend.

Umso ärgerlicher ist die dürftige Kommunikation, die die Hochschule dem Abend widmet. Einmal mehr verspielt die Hochschule die Chance, die Arbeit ihrer hochkarätigen Kräfte wirksam der Öffentlichkeit vorzustellen. So nimmt es nicht Wunder, dass an diesem Abend viele Plätze im Konzertsaal freibleiben. Und weil die Macher des ohnehin spärlichen Programmheftes nicht in der Lage sind, das Programm ordentlich in seiner Reihenfolge und mit einem Hinweis auf eine Pause darzustellen, lichten sich die Reihen nach der Pause noch einmal deutlich. Ein Affront für die Lehrkräfte, die hier eine Leistung zeigen, die weit über das übliche Engagement hinausgeht, eine Respektlosigkeit auch gegen die Studenten, die sich mit viel Fleiß und Spielfreude den nicht unerheblichen Herausforderungen stellen. Glücklich dürfen sich immerhin diejenigen schätzen, die dennoch erschienen sind und der Aufführung bis zum Ende beiwohnen.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Pardun stellt die experimentelle Arbeit Kagels in den Vordergrund und spiegelt sie auf der Bühne als Labor wider, das auf manche Zuschauer allerdings eher den Eindruck eines Lazaretts entstehen lässt, was ebenfalls eine gewisse Schlüssigkeit birgt. Auf einer weißen Spielfläche sind vier Liegen aufgestellt, wie man sie aus der Klinik oder vom Blutspendedienst kennt. Fünf krankenhausübliche Paravents grenzen sie voneinander ab. Im Vordergrund ist rechts ein historisches Radio aufgestellt, aus dem Originalzitate von Freunden Kagels und Kagel selbst erklingen. Technisch ist das wohl nicht so gut lösbar, so dass es eine Weile braucht, bis man versteht, dass es sich hier um eine Radioübertragung handeln soll. Im Hintergrund grenzt eine Leinwand die Bühne ab, auf der Projektionen gezeigt werden, die der Ästhetik der Zeit Kagels sehr nahekommen. Da werden Zitate in der Optik von 1970-er-Jahre-Schriften ebenso gezeigt wie Computerspiele aus den Anfangszeiten des Commodore 64, aber auch allerlei Schnickschnack, der noch einmal den Konflikt eines Gesamtkosmos aus Bild, Musik und Film aufzeigt, der bis heute nicht überzeugend gelöst ist. Im Vordergrund gibt es ausreichend Spielfläche für die Musiker. Geleuchtet wird in verschiedensten Weiß-Schattierungen. Weil eine Batterie von Scheinwerfern die Bühne von der Seite einleuchtet, entstehen an den Seitenwänden des Konzertsaals Schattenspiele, die allerdings mehr irritieren als überzeugen.

Regisseur Durban muss sich erst mal an der Motivation der Studenten abarbeiten. Schließlich gehört Kagel nicht zum Standard-Repertoire. Seine Kompositionen einzustudieren, ist also für die Alltagstauglichkeit der angehenden Musiker nicht unbedingt eine Bereicherung. Mancher Student mag sich hier gedacht haben: Viel Arbeit für nichts. Dazu noch Spielszenen zu erarbeiten, mag immerhin der eigenen Motorik nicht schaden. Durban leistet viel Überzeugungsarbeit, die schließlich zum Erfolg führt. Am Abend sind die Nachwuchsmusiker auf dem Punkt. Und verdienen höchste Komplimente für ihren Einsatz. Dass sie bis zu diesem Abend viel für das Leben gelernt haben, wird manchem vermutlich erst später aufgehen. Der Regisseur weiß das, und er spinnt die Idee des Labors weiter. Da müssen die 25 Nachwuchsmusiker des Ensembles 20/21 Entdeckerfreude zeigen, ihre Instrumente erkunden, über den Tellerrand vulgo den oberen Rand der Paravents schauen und sich gegen Ausgrenzung durchsetzen. Die Idee funktioniert, darunter die Werke Kagels und dessen eigene Regie-Anweisungen zu subsumieren. Zu einem Guss findet die Inszenierung durch die Fanfanfaren aus dem Jahr 1993, die die Trompeter als Intermezzi aufführen. Diskussionswürdig ist die Programmfolge. Smeyers und Durban folgen hier dem Gedanken, von der gemäßigten zur explorativen Musik zu gehen. Das funktioniert in der Praxis nicht so gut, wie in der Theorie gedacht.

Mari Ángeles del Valle Casado – Foto © Christian Nielinger

Und so steht am Anfang Episoden, Figuren aus dem Jahr 1993, das Krisztián Palágyi am Akkordeon virtuos meistert. Aber schon bei Con voce, einem Stück von 1972 für drei stumme Spieler, stellt sich die Frage, was eigentlich extremer ist. Die Stille oder der kakophonische Klang des Phantasiestücks, das 1988 fertiggestellt wurde und zum Finale vorgesehen ist? 1964 entstand das Stück Match, bei dem sich zwei Celli auf fahrbarem Untersatz dem Schiedsrichter an Pauke und Marimbaphon stellen müssen. Undenkbar für ein Konzertformat jener Zeit. Manon Blanc-Delsalle, die als Sängerin bei der Literaturoper bereits angenehm auffiel, widmet sich Ausschnitten aus dem Stück Der Turm zu Babel aus 2002 mit schöner Stimme, lässt es allerdings an Textverständlichkeit kräftig vermissen. Man muss nicht viel vom Saxophon-Spiel verstehen, um zu begreifen, dass Mari Ángeles del Valle Casado mit ihrem Solo-Auftritt mit Ausschnitten aus Zwei Akte von 1989 nicht nur das Instrument in Perfektion beherrscht, sondern auch das Zeug zur virtuosen Interpretation hat. Ohne etwas vorwegzunehmen, darf man ihr wohl zur bestandenen Prüfung gratulieren, die sie mit diesem Auftritt absolviert hat.

Ein Charakteristikum des Ensembles 20/21 ist, dass sich zahlreiche Untergruppierungen – je nach Neigung und Notwendigkeit – bilden. Smeyers allerdings führt sie alle zusammen und sorgt, unsichtbar für die Zuschauer, offenbar irgendwie sichtbar für die Instrumentalisten, dafür, dass die Einsätze stimmen und ein Abend entsteht, den die Besucher lange nicht vergessen werden. Kagel, so viel ist sicher, wäre stolz gewesen auf die Aufführung, die vielleicht hier und da versucht, sich dem Publikum anzuschmiegen. Aber vielleicht tun der Neuen Musik mehr solcher Aufführungen gut, die den Zuschauern eine Brücke zu ungewöhnlichen Klangerlebnissen bieten.

Lange und ausgiebig werden die jungen Musiker – zu Recht – gefeiert. Die haben hier ein Engagement gezeigt, dass man von jungen Menschen erwartet, die für ihren Beruf brennen. Heute Abend haben sie von beiden Seiten gebrannt. Bravo.

Michael S. Zerban