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LES LUMIÉRES IM STADTPALAIS
(Max Bruch, Henri Marteau)

Gesehen am
13. Dezember 2020
(Video on Demand)

 

Les Lumiéres im Hotel Stadtpalais, Köln

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Deutz-Kalker Bad gebaut. Als Kaiser-Wilhelm-Bad dient es zunächst als Militärbadeanstalt den damals ansässigen Deutzer Kürassieren. Im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört, wurde es 1947 der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Mit dem Bau des Wellness- und Thermal-Bads Claudius-Therme war das Schicksal des Bades 1996 endgültig besiegelt. Im Zuge einer Sanierung entstand das Hotel Stadtpalais. Von außen eher schlicht gehalten, mischen sich im Inneren architekturhistorische Erinnerungen und moderne Baukunst. Geleitet wird die Luxusunterkunft gegenüber der Lanxess-Arena von Reiner Siewert, der für den dritten Advent geplant hatte, die schöne Tradition des Salonkonzerts wieder aufleben zu lassen. Und das gleich zwei Mal. Als Matinee und zur Kaffee-Zeit. Klassische Musik zum morgendlichen Gläschen Champagner für den Kreislauf oder am Nachmittag zu Kaffee und Kuchen gehörten ehedem zum guten Ton der Luxus-Hotels, ehe ach so gewiefte Marketing-Manager daraus Profit-Center machten und „unnötige Kostenfaktoren“ eliminierten. Heute lässt sich ein „Luxus-Hotel“ vielleicht am ehesten dadurch definieren, dass es Entschleunigung anbietet. Nun, an diesem dritten Advent steht das Hotel so gut wie leer, Konzerte für das Publikum sind undenkbar. Siewert lässt sich davon nicht entmutigen und lädt Les Lumiéres ein, das geplante Konzert in den betriebsbereiten, aber menschenleeren Räumen aufzuführen, damit es wenigstens online gezeigt werden kann.

Antonia Jaeger – Bildschirmfoto

Dankbar nimmt Michel Rychlinski, Künstlerischer Leiter von Les Lumiéres, das Angebot an. Auch für seine Musiker sind Auftritte in diesem Jahr rar. Obwohl er mit dem Glück des Tüchtigen im Juli und August wenigstens zehn Konzerte zeigen konnte – auf dem obersten Deck des Parkhauses in der Brückenstraße, also über den Dächern von Köln mit dem Dom als Kulisse. Mehr als tausend Menschen kamen so live in den Genuss von Kultur. Daran ist im Winter natürlich nicht zu denken.

Für den Auftritt im Hotel hat sich Rychlinski etwas Besonderes einfallen lassen. Unter der großen Überschrift der deutsch-französischen Freundschaft, unter der die Arbeit der Musiker von Les Lumiéres steht, wäre es doch schön, wenn man außergewöhnliche Musik findet, die beide Länder berücksichtigt, ja, vielleicht in Köln sogar so etwas wie „heimische Klänge“ aufleuchten könnten. Max Bruch ist in Köln geboren und aufgewachsen. Er ist einer der Komponisten, deren Wirken bis heute darunter zu leiden hat, dass sie in der Zeit des Nationalsozialismus von den Programmplänen gestrichen wurden – im Falle Bruchs auch noch aufgrund eines Fehlers der Nazis, die ihn als Juden einstuften – und deshalb bis in die Gegenwart kaum beachtet werden. Da hilft ihm auch die Freundschaft zu Johannes Brahms nichts. Immerhin hat ihn die Stadt Bergisch Gladbach als Hauptwirkungsstätte gleich mehrfach gewürdigt. Für die Online-Übertragung hat Les Lumiéres sein Streichquintett in Es-Dur aus dem Jahr 1918 ausgewählt, das tatsächlich erst 90 Jahre später in Bonn uraufgeführt wurde.

Les Lumiéres – Foto © Michel Rychlinski

Nach der Anmoderation von Sabine Weber, die bei Les Lumiéres für die Kommunikation zuständig ist und bei zunehmender Praxis auch lernen wird, in die Kamera zu sprechen und vielleicht ein bisschen weniger Dankeschön, dafür aber etwas mehr Substanz liefern wird, nimmt das Quintett unter dem Sprungbrett Platz, das aus dem ehemaligen Bad gerettet wurde. Jee Young Eli Choi und Bardi Lepaja an der Geige, Gerhard Dierig und Margot Le Moine an der Bratsche und Noémie Klages am Cello zeigen in den vier Sätzen, dass Bruch, der zu seiner Zeit eher als Anachronist galt, absolut aufführungsfähig ist. Am Spiel des Quintetts gibt es keine Kritik, aber das letzte Quäntchen des Besonderen fehlt. Das muss gar nicht mit dem Spiel der Musiker zu tun haben, die das Werk konzentriert und professionell aufführen. Der letzte Kick nach dem missglückten technischen Start – der Beginn verzögert sich um mehr als eine halbe Stunde – könnte möglicherweise in der Einblendung zusätzlicher Bilder oder mindestens ein paar Zusatzinformationen zum Video in der Kommentarleiste liegen. Was im Konzertsaal oder im Hotel bei Kaffee und Kuchen funktioniert, dass nämlich fünf Musiker im Kreis sitzen und spielen, wirkt in der Online-Übertragung arg spartanisch. Noch dazu, wenn die Kamera-Einstellungen stereotyp daherkommen.

Ergänzt wird das Konzert um das viersätzige Klarinettenquintett opus dreizehn von Henri Marteau. Der Komponist ist ein Zeitgenosse Bruchs und glänzte als Violinvirtuose. Den Part der Klarinette übernimmt gekonnt Antonia Jaeger. Ein paar Lebkuchen, eine Tasse Tee und ein gutes Buch lassen die Interpretation zum Genuss werden. Bereits in der Anmoderation hat Weber die Zuschauer aufgefordert, zum Abschluss O du fröhliche, o du selige vor den heimischen Monitoren mit anzustimmen. Hoteldirektor Siewert hat für das kommende Jahr bereits eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Les Lumiéres angekündigt. Vorläufig ist das Video noch online verfügbar.

Michael S. Zerban