O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Auf der Suche nach Reinheit

KOMM, OH TOD
(Kölner Vokalsolisten et al.)

Besuch am
21. Oktober 2018
(Einmalige Aufführung)

 

Vivier-Festival von Klang Köln in der Alten Feuerwache Köln

Paris, 17. März 1983. Der Komponist Claude Vivier wird in seinem Atelier aufgefunden. Er wurde von einem 19-jährigen Prostituierten erstochen. In April dieses Jahres wäre er 70 Jahre alt geworden. Für den Dirigenten und Komponisten Christoph Maria Wagner und seinen Musikverein Klang Köln Grund genug, an den schwulen Komponisten mit einem Festival in Köln zu erinnern.

Vivier hatte Berührungspunkte mit Köln. Er studierte bei Karl-Heinz Stockhausen und wohnte in der Nähe des Ebertplatzes. Ab einer gewissen Berühmtheit reicht das, um aus Sicht der Kölner als Einheimischer zu gelten. Ist in anderen Städten auch nicht anders. Also wird der in Montréal geborene Musiker vom 19. bis 21. Oktober in vier Konzerten in der Alten Feuerwache gefeiert. Asien, Mikrotonal und Zeitgenossen sind die ersten drei Konzerte überschrieben, am Sonntagabend geht es mit Komm, oh Tod ins Finale.

Frank Meyer liest Texte und Briefe – Foto © O-Ton

Und was für ein Endlauf das wird. Im akustisch überraschend reizvollen Saal der Alten Feuerwache in Köln haben sich verschiedene Akteure eingefunden, um an einen Tod zu erinnern, der sicher zu früh – oder möglicherweise gerade recht? – kam. Die Dramaturgie des Konzerts ist eng geflochten. Neben den Werken Claude Viviers gibt es Gegenwartsmusik des Komponisten Ralf Soiron, der seine Auseinandersetzung mit Hermann Broch weiter vorantreibt und drei Gesänge zum Besten gibt, aber auch „Schlager“ der Musikgeschichte, wie etwa Isoldes Liebestod als pianistisches Drama oder – endlich mal wieder – Johann Sebastian Bachs Komm, oh Tod, du Schlafes Bruder. Und nicht fehlen darf Glaubst du an die Unsterblichkeit der Seele von Vivier, jenes Stück, dessen Partitur neben seiner Leiche gefunden wurde und den Vorgang seines Todes beschreibt. Bis heute hat die Komposition ihren Grusel bewahrt, auch wenn die Aufgeregtheit um diesen Fund sicher inzwischen nachgelassen hat. Inzwischen glaubt die Wissenschaft an einen absonderlichen Zufall, man könnte auch über eine Inszenierung nachdenken, während ganz Feinfühlige vom schicksalhaften Ereignis überzeugt sind. Prinzipiell eine gelungene Sammlung von Höhepunkten, die von den Cinq Chansons pour Percussions aus dem Jahr 1980 durchzogen sind und so immer wieder relativiert werden, zumindest dann, wenn man kein absoluter Fan von Klangschalen ist. Zwischen den musikalischen Höhepunkten tritt immer wieder ein Sprecher auf, der aus Bob Gilmores Vivier-Biografie in deutscher Übersetzung vorliest. Und gäbe es nicht die Übermacht der Klangschalen-Soße, könnte so ein grandioser Abend entstehen, der der erklärten Suche Viviers nach Reinheit in der Musik schon sehr nahekommt.

Martin von der Heydt interpretiert Isoldes Liebestod – Foto © O-Ton

Frank Meyer liest wunderbar einen Text, der aus besagter Biografie und Briefen einen Menschen zeichnet, der von seiner Jugend ohne Eltern geprägt, von seiner Sexualität getrieben und von der Suche nach der Reinheit in der Musik als Sinn aller Musik überzeugt ist. Warum seine Neigung zu Männern immer wieder massiv in den Mittelpunkt gerückt wird, wird nicht so ganz verständlich. Geht es hier um die Musik oder die sexuelle Neigung des Komponisten? Gewiss lebte er seine sexuelle Einstellung in einer Zeit deutlicher aus, in der die Homophobie noch starke Auswüchse erlebte. In der Gegenwart wirkt diese Betonung allerdings ein wenig antiquiert. Interessiert sich heute wirklich noch jemand für die sexuelle Ausrichtung eines Komponisten? Selbst dann, wenn er eine große Vorliebe für Schwulenbars hatte und Opfer eines Prostituierten wurde? Eher langweilig. Spannender ist doch da schon die musikalische Auseinandersetzung mit seinen Asien-Reisen. Maximilian Riefer zeigt an seinen Klangschalen virtuos die Entwicklung. Und mit den fünf Liedern so exzessiv, dass man sich auf die eigentlichen Höhepunkte nur schwer konzentrieren kann.

Und auch, wenn der Raum mit Instrumenten dicht gedrängt zugestellt ist, leisten Ralf Soiron, Burkart Zeller und Martin von der Heydt am Synthesizer sowie Michael Pattman und Ralf Kurley am Schlagzeug doch im Wesentlichen „nur“ Unterstützung für die Kölner Vokalsolisten, die die zumindest teils ungewöhnlichen Stimmanforderungen mit Bravour meistern. Insbesondere Julia Reckendrees, Dorothea Jakob und Leonhard Reso sind hier mit ihren Soli hervorzuheben. Carter Williams führt die Klangregie und hat seinen großen und damit wahrnehmbaren Auftritt bei Glaubst du …, während Martin von der Heydt den dramatischen Part von Isoldes Liebestod ungehemmt am Flügel präsentiert. Christoph Maria Wagner übernimmt die musikalische Leitung des Abends mit präzisem, aber unprätentiösem Dirigat und verbreitet so eine sehr gelassene Stimmung, in der sich die Musik voll entfalten kann.

Nach rund anderthalb Stunden zeigt sich das Publikum auf der vollbesetzten Tribüne begeistert und applaudiert lange und dankbar. Wenn man Kritik an diesem Abend üben will, geht diese sicher in Richtung Außendarstellung. Man muss sich in der Alten Feuerwache schon auskennen, wenn man den Konzertsaal finden will. Hier hätten ein paar Schilder, Tische oder Ähnliches im Eingangsbereich sicher der Orientierung gedient. Ein besonderes Lob verdient die Gestaltung des Programmheftes, das ohne großen Firlefanz, dafür hochinformativ herkommt. Hier bleiben keine Wünsche offen. Mit der musikalischen Annäherung an den Tod aus Sicht unterschiedlicher Komponisten geht das Vivier-Festival zu Ende. Und man darf bei Klang Köln sicher laut darüber nachdenken, ob es nicht eher Auftakt einer Festival-Reihe denn ein einmaliges Ereignis gewesen sein soll.

Michael S. Zerban