O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Reise zwischen zwei Welten

ICH BIN ŞAFAK
(Elissavet Hasse)

Besuch am
20. Februar 2022
(Uraufführung)

 

Restaurant LyLy Café Bar, Köln

Das Restaurant LyLy in der Kölner Altstadt, direkt am Alter Markt gelegen, ist an diesem Abend außerordentlich gut besucht. Das Schild an der Eingangstür weist eine „Geschlossene Gesellschaft“ aus. Der Gastraum ist in einer Mischung aus orientalischen und mediterranen Elementen gestaltet. Gemütlich, rustikal und lebhaft geht es hier zu. Geschätzt wird das Lokal, glaubt man den Beurteilungen im Internet, wegen der freundlichen Bedienung, einer aufmerksamen Inhaberin, des guten Essens – und der Live-Musik, die hier immer wieder stattfindet.

Heute Abend sind eindeutig die weiblichen Gäste in der Überzahl. Dabei ist es keineswegs nur ein „Frauenthema“, das Elissavet Hasse den Besuchern in Form eines Monologs servieren will. Es ist der dritte Teil ihrer Trilogie Ich bin ein Gastarbeiterkind. Und das Thema ist im weitesten Sinn Heimat. Bei Ich bin Şafak geht es um Entwicklungsmöglichkeiten, Identität und Kultur. Anhand der Biografie von Şafak Pedük, Schauspielerin, Tänzerin und Sängerin aus Köln, erzählt Hasse von den verschiedenen Aspekten, die das Leben in zwei verschiedenen Heimatländern ausmachen. Dazu hat Hasse eine kleine Bühne, eher ein Podium, in einer Ecke des Lokals aufgebaut. Darauf ist Platz für einen Stuhl und drei Beistelltische. Für die Beleuchtung wählt sie sehr deutliche Farben. Ein Scheinwerfer taucht das Podium in unvorteilhaftes, ja, gespenstisches Blau, der Eingangsbereich ist ganz in Rot eingefärbt.

Die Rolle der Şafak übernimmt Pedük selbst – in künstlerischer Verfremdung, versteht sich. Und hier heißt es, sehr genau aufzupassen. Denn Hasse wählt nicht die Ich-Erzählung, sondern lässt ihre Darstellerin mit ihrem Ich in der Du-Form erzählen. Da verwischen Fremdzitate und Eigendarstellung ganz gehörig, ebenso wie die Orte, an denen die Schauspielerin sich aufhält. Zu Beginn stellt sich das noch harmlos dar, wenn Pedük in ihrem Stuhl Platz nimmt und zum Strickzeug greift. Ihr Kostüm haben Hasse und Pedük gemeinsam entwickelt. Und da gibt es zunächst einmal einen denkbar langweiligen, farblosen Strickmantel zu sehen, unter dem etwas Weißes hervorlugt. Die Raffinesse des Kostüms wird sich erst im Fortgang entwickeln.

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Şafak wächst glücklich, wenn auch recht einsam auf, obwohl sie doch als Kind überall mit hingenommen wird. Eifriges Kopfnicken im Publikum bei denen, die sich an die eigene Kindheit in ihren türkischen Familien erinnern. Wunderbar die Stelle, wenn ihr Vater entscheidet, auf welche Schule sie gehen soll. Und es gibt auch eine Menge Schönes, wie etwa die türkischen Hochzeiten mit ihren herrlichen Tänzen. Zwischendurch erhebt sich Pedük, geht in den Eingangsbereich. Dort bindet sie den Strickmantel hoch. Darunter ein weißer Rock, der ihren Tanz unterstreicht. Während sie sich, wieder im Stuhl, schminkt, vermischen sich allmählich die Räume. Herrlich wird es, wenn sie von ihrer Wahrnehmung deutscher Sitten berichtet. Da müssen nun wirklich alle Zuschauer lachen. Pedük gelingt es, innerhalb einer Stunde ein ganzes Kaleidoskop an Stimmungen aufzubauen. Niemanden fällt auf, dass sie das Programm eigentlich allein bestreitet. Immer wieder gibt es angenehme Unterbrechungen der eigentlichen Erzählung, wenn sie etwa ein paar Beatles-Songs anstimmt oder tatsächlich auf dem Tisch tanzt. Was es nicht gibt: Verbitterung. Und trotzdem bleibt auch an diesem Abend die Frage offen: Was ist so schwer daran, aus beiden Welten das Beste mitzunehmen? Zumal es Pedük gelingt, mit den letzten Klängen der Musik, zu der sie auch den Clou des Kostüms offenlegt, in dieser besonderen Umgebung eine geistige Verbundenheit im Publikum herzustellen. Ja, sie verzaubert ihre Gäste.

Musiker Hıdır Şenol hilft ihr dabei vortrefflich, wenn er mit wechselnden Instrumenten wie Gitarre oder Saz eigenkomponierte Lieder zuspielt. Ob es dramaturgisch eine gute Idee ist, ihn bis zuletzt im Hintergrund zu verstecken, kann man diskutieren. Durchaus vorstellbar, dass sein Spiel noch mehr Intensität gewonnen hätte, wäre er sichtbar gewesen.

Eine ungewöhnliche Lokalität, gemeinsam essen und trinken, dazu ein wunderbares Schauspiel, sowohl, was das Buch, als auch, was die darstellerische Leistung angeht, untermalt von ansprechender Musik – was könnte da noch fehlen? Das Publikum ist begeistert – und gefesselt. Vor der Tür kann man sich die Geschichten der anderen anhören und wie viel sie an eigener Erinnerung in dem Abend wiedergefunden haben. Das ist noch mal so schön. Am 27. März gibt es die nächste Aufführung. Die Platzzahl ist stark begrenzt, es empfiehlt sich eine frühzeitige Anmeldung.

Michael S. Zerban