O-Ton

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Dramaturgischer Dschungel

DER GOLEM
(Henrik Albrecht)

Besuch am
29. Mai 2019
(Uraufführung)

 

Literatur-Oper Köln, Lindgens Lokschuppen Köln-Mülheim

Seit elf Jahren setzt die Literatur-Oper Köln unter Leitung von Andreas Durban mit beachtlichem Erfolg kleine, aber pointierte Akzente auf der Suche nach einem Musiktheater der Zukunft. Auch wenn der Begriff Literatur-Oper zeitweise ein wenig in Verruf geraten ist mit dem Vorwurf, dass vorgefertigte Vorlagen neuen Theaterformen eher im Wege stünden, bewies die Kölner Bühne in Zusammenarbeit mit der Kölner Musikhochschule wiederholt das Gegenteil. Für Komponisten „servierfertige“ Vorlagen wie Georg Büchners Woyzeck oder Oscar Wildes Salome sind ohnehin die Ausnahme. Ansonsten muss jedes literarische Vorbild, ob Drama, Erzählung oder Roman, gründlich für die Bühne umgearbeitet werden. Wie ehrgeizig Durban und sein Team vorgehen, zeigt sich daran, dass man sich im letzten Jahr sogar an zwei Kleist-Texte heranwagte, Die Marquise von O … und Kleists Abhandlung über das Marionetten-Theater. Selbst die gelungeneren Kleist-Vertonungen prominenter Meister, ob Hans Werner Henzes Der Prinz von Homburg oder Othmar Schoecks Penthesilea, bestätigten bisher eher Richard Strauss‘ These, dass die Stücke von Kleist, wie auch die von Anton Tschechow, durch musikalische Verarbeitungen ihren spezifischen atmosphärischen Gehalt verlieren, so dass sie Strauss für Vertonungen jeder Art ungeeignet hielt.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Eine Besonderheit von Durbans Verständnis der Literatur-Oper liegt in der starken Betonung des literarischen Aspekts. Eine Ästhetik, die zum Problem werden kann, wenn sich der literarische Akzent derart in den Vordergrund drängt, dass sich die Musik mit einer mehr oder weniger dekorativen Statisten-Rolle begnügen muss. Bedenken, die die neueste Produktion der Literatur-Oper nicht ausräumen kann: Der Golem nach dem gleichnamigen Roman von Gustav Meyrink aus dem Jahre 1915. Die Uraufführung der Vertonung von Henrik Albrecht im Rahmen des Kölner Sommerblut-Kulturfestivals wurde jetzt dennoch vom Publikum im ausverkauften Lokschuppen in Köln-Mülheim mit großem Beifall gefeiert. Lindgens Lokschuppen: Eine neue Spielstätte am Mülheimer Hafen direkt neben dem Rhein, die reelle, wenn auch noch keine garantierten Chancen hat, weiterhin als Veranstaltungsstätte für die freie Szene genutzt werden zu können. Seine Bühnentauglichkeit beweist der geschickt hergerichtete „Schuppen“ mit der Golem-Premiere allemal.

Allerdings hat sich Andreas Durban als Librettist und Regisseur mit Meyrinks Roman eine besonders schwierige Aufgabe gestellt. Denn die 20 Kapitel des Romans sind durchsetzt mit etlichen Rückblenden, Nebenhandlungen und Grenzüberschreitungen von Traum und Wirklichkeit, so dass eine gesungene Fassung die Orientierung durch den dramaturgischen Dschungel nicht erleichtert. Erst recht nicht, wenn man noch zusätzliche Stränge einfügt wie etwa der plakativ mit Hitler-Bärtchen inszenierte Vorausblick auf die Juden-Pogrome der kommenden „braunen“ Jahre.

Doch worum geht es in dem Stück eigentlich? Meyrink interessiert an dem Golem-Symbol weniger die antijüdischen Mythen um die geheimnisvolle Lehm-Figur. Er versteht den Golem als Doppelgänger-Motiv, als Spiegel des Protagonisten auf dessen Reise in sein Inneres. Eine präzise Inhaltsangabe fällt da schwer, wenn Meyrink die Empfindungen des Protagonisten in seiner realen Gegenwart und die verschwimmenden Erinnerungen an seine Vergangenheit so eng miteinander verknüpft, dass man sie kaum trennen kann. Der Protagonist ist der Gemmenmaler und Restaurator Athanasius Pernath, der sich im jüdischen Viertel Prags Anfang des 20. Jahrhunderts einfindet. Es folgen diverse Begegnungen mit Figuren aus Pernaths Vergangenheit, darunter auch Erscheinungen, in denen er sich selbst erkennt.

Da die neun Sänger in der Opern-Version in verschiedene Rollen schlüpfen, fällt die Orientierung durch die Handlung und die Identifizierung der Figuren noch schwerer, wobei die naturgemäß eingeschränkte Textverständlichkeit vor allem in den exponierteren Sopran-Partien noch erschwert wird. Eine gewisse Ratlosigkeit stellt sich angesichts der gut 100-minütigen Produktion ein, zumal die meisten Szenen keine herausragende theatralische Substanz erkennen lassen. Da schlägt der epische Charakter der Vorlage voll durch. Was Durban dennoch aus den neun Sängerinnen und Sängern der Kölner Musikhochschule herausholt, ist angesichts dieser Voraussetzungen beachtlich. In der sparsamen, auf wenige Requisiten beschränkten, mit einigen mehr oder weniger erhellenden Video-Sequenzen angereicherten Dekoration hält Durban die Darsteller ständig in Bewegung. Wenn die Solisten die Position des Chors einnehmen, postiert er sie hinter leeren Bilderrahmen, so dass optisch für Abwechslung gesorgt wird. Zum Verständnis trägt allerdings auch das nur marginal bei.

Angesicht der Komplexität des Texts ist es nicht von Nachteil, wenn sich der Komponist Henrik Albrecht dynamisch zurückhält und seine Musik phasenweise ganz schweigen lässt. Seinen rezitativisch trocken geführten Gesangsstil unterstützt er mit einfachen Motiven und Tonketten, wobei sich das gesamte Instrumentarium auf ein von Georg Leisse bedientes Harmonium und ein von Hanyoung Yoo gespieltes Klavier beschränkt. Musik, die von breit ausgewalzten Repetitionen mehr oder weniger banaler Motive bestimmt ist, die an einigen Stellen harmonisch eine Prise jüdisch-exotischen Kolorits erhalten. Auch wenn das Libretto wenig Ansätze für effektvolle Höhepunkte und Entwicklungen enthält, wirkt die Komposition insgesamt doch sehr asketisch.

Was die Anforderungen an die jungen Sänger freilich nicht schmälert. Und hier schlägt sich auch das besondere Verdienst der Literatur-Oper nieder, nämlich Nachwuchskräfte mit kompletten Produktionen zu betrauen. Christoph Auer in der umfangreichen Rolle des Athanasius Pernath gehört schon zu den erfahreneren Kräften der Bühne und vermag die gebrochene Persönlichkeit Pernaths vor allem gesanglich glaubhaft darzustellen. Die meisten anderen Sänger haben gleich mehrere Rollen, oft mit wechselnden Geschlechtern, zu bedienen, wobei die Identifizierung mitunter verlorengeht und auch das Programmblatt bisweilen Rolle und Sänger verwechselt. Thomas Huy, Andrea Graff, Maximilian Schmitt, Manon Blanc DelSalle, Sarah Lena Winterberg, Youjiao Tang, Johanna Killewald und Elena Plaza schlüpfen mit großer Sicherheit in ihre Rollen und füllen sie gesanglich wie darstellerisch profiliert aus.

Viel Beifall für ein weiteres ambitioniertes Projekt einer Bühne, die möglicherweise endlich ein nahezu ideales Domizil gefunden hat.

Pedro Obiera