O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Im Dickicht menschlicher Seelen

GIULIO CESARE IN EGITTO
(Georg Friedrich Händel)

Besuch am
10. Mai 2023
(Premiere am 6. Mai 2023)

 

Oper Köln, Staatenhaus Deutz

Schwer zu sagen, was mehr zu bewundern ist: die unerschöpfliche musikalische Fantasie, mit der Georg Friedrich Händel seine als Opern drapierten Arien-Marathons über dreieinhalb Stunden unter Spannung zu halten vermag oder Interpreten, die den filigranen Anforderungen der Werke über derart lange Distanzen so gerecht werden können wie die der Kölner Oper in der Neuinszenierung des politischen Liebesdramas Giulio Cesare in Egitto. Musikalisch, szenisch und nicht zuletzt optisch stimmt fast alles an der aufwändigen Produktion des 1724 uraufgeführten Werks.

In Rubén Dubrovsky wurde ein in Sachen Barock ebenso kundiger Dirigent gefunden wie in Vincent Boussard ein in gleichem Maße versierter Regisseur. Christian Lacroix als Kostüm- und Frank Philipp Schlößmann als Bühnenbildner bekräftigen das Format der Hochglanz-Veranstaltung. Nicht zu vergessen das Gürzenich-Orchester, das in den letzten Jahren erfreuliche Fortschritte im Umgang mit historischen Aufführungspraktiken erzielen konnte, sowie das zwar nicht ganz homogene, insgesamt aber hochwertige Gesangsensemble.

Die vielschichtige Beziehung zwischen Cleopatra und Cäsar im Fadenkreuz von Liebe und politischem Kalkül bildet nur einen Handlungsstrang in Händels komplexem Werk. Nicht minder bedeutend ist der Geschwisterkonflikt zwischen Cleopatra und ihrem Bruder Tolomeo um den Machterhalt, die Trauer Cornelias und Sestos um ihren abgeschlachteten Gatten und Vater Pompeo und nicht zuletzt die kulturelle Kluft zwischen dem hochfährigen römischen Weltreich und der scheinbar unzivilisierten ägyptischen Provinz.

Boussard arbeitet alle Stränge detailgenau und mit angemessener Sensibilität aus, hinterfragt aber auch mit leichter, ironischer Hand überkommene Klischees, wenn sich die Ägypter in den Augen der überlegenen Römer wie brutale, unkultivierte Wilde benehmen. Gipfelnd in der Figur des Tolomeo, der sich auf dem ersehnten Thron mit seinem unverhüllten Phallus räkelt. Noch eindrucksvoller stechen sowohl in der musikalischen als auch in der szenischen Gestaltung die feinen Gefühlsschwankungen und Entwicklungen heraus, die vor allem die zwischen Trauer und Wut changierende Cornelia und ihren zunehmend an Reife gewinnenden Sohn Sesto erschüttern.

Wichtige Akzente setzt Christian Lacroix mit seinen äußerst geschmackvollen, zeitlich im 18. und 21. Jahrhundert angesiedelten Kostümen, mit denen er die Welten der noblen Römer und der exotischen Ägypter voneinander abgrenzt. Unaufdringliche Videoeinblendungen mit ägyptischen Accessoires sowie eine farblich perfekt auf die Kostüme abgestimmte Lichttechnik sorgen für ein adäquates Ambiente.

Rubén Dubrovsky leitet das farbig instrumentierte Gürzenich-Orchester mit einer idealen Mixtur aus Energie und Sensibilität durch den langen Abend. Die nachhaltigsten vokalen Eindrücke hinterlassen die leidenden Figuren mit Adriana Bastidas-Gamboa als Cornelia und Anna Lucia Richter als Sesto. Beides junge Sängerinnen mit einem enormen Entwicklungspotenzial. Giulia Montanari, alternierend mit Kathrin Zukowski, gelingt mit ihrem biegsamen und leicht geführten Sopran mühelos Cleopatras Wechsel von berechnender Koketterie zu tiefer Liebe. Das etwas raue Timbre des Countertenors Raffaele Pe in der Rolle Cäsars ist zwar gewöhnungsbedürftig. Gleichwohl überzeugt er mit einer differenzierten Charakterstudie. Ähnliches trifft auf Sonia Prina mit ihrer derb, aber durchaus rollengerecht tönenden Stimme in der Hosenrolle des Tolomeo zu. Hervorzuheben ist auch der junge Bass-Bariton Matthias Hoffmann in der schillernden Rolle des Achillas.

Langanhaltender Beifall für eine vorbildliche Barock-Produktion.

Pedro Obiera