O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Allen Widrigkeiten zum Trotz

FROM EUROPE WITH LOVE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
14. Mai 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Hinterhofsalon, Köln

Die Stimmung ist angespannt im Hinterhofsalon. Eigentlich war alles bis ins Detail vorbereitet. Aber um 19.50 Uhr gibt es plötzlich technische Schwierigkeiten. Und als die Sicherung rausfliegt, sind alle Bemühungen für die Katz. Hier ist nichts mehr zu retten. Um 20.30 Uhr, da sollte der Livestream eigentlich schon zehn Minuten laufen, entscheidet Gerhard von Richthofen, der mit seiner Frau Christina den Kulturkanal 20-20.live betreibt und dort jeden Donnerstag ein Live-Konzert zusammen mit der Inhaberin des Hinterhofsalons Köln, Anja Reuther, veranstaltet, das Aus für diesen Abend. Es wird keinen Livestream geben. Zu ungewiss, wie lange die Verbindung halten kann, schon jetzt geht überhaupt nur was über YouTube. Unter solchen Bedingungen das Konzert live über die Bühne gehen zu lassen, erscheint unredlich. Der Schrecken sitzt allen in den Knochen. Die Künstler versuchen, der Situation mit Scherzen beizukommen. „Liebes Publikum, wir sind untröstlich! Es gibt ein technisches Problem, das wir nicht so schnell lösen können“, schreibt Reuther in den Chat. In Tagen der Corona-Krise wirken solche Rückschläge wie Granateneinschläge. Von Richthofen entscheidet, das Konzert aufzuzeichnen und am kommenden Abend zu senden. Die zahlreichen Besucher, die sich pünktlich eingefunden haben, reagieren mit Verständnis. Zu Recht, wie sich zeigen wird. Für die Künstler wird es ein verdammt langer Abend, müssen sie doch ihre Konzentration über einen ungewöhnlich langen Zeitraum aufrechterhalten. Aber jetzt wollen alle daran arbeiten, ein gutes Ergebnis zu erzielen.

Anna Herbst – Foto © O-Ton

In der Konzertreihe 2 FOR YOU treten allwöchentlich Duos aus Köln und dem Umland auf, um interessante Programme zu präsentieren. In dieser Woche sind es die Sopranistin Anna Herbst, Spezialistin für Alte und Neue Musik, und der Gitarrist Mark Jensen-Samama, die ein Programm unter dem Namen From Europe with Love zusammengestellt haben. Herbst ist dafür bekannt, dass sie ein Händchen für wunderbare Programme hat, und in Jensen-Samama hat sie einen kongenialen Partner gefunden. Endlich, es ist inzwischen 22 Uhr, ertönt das für die Künstler erlösende Wort von Richthofen. „Ruhe, bitte!“ Die Lichter im Studio scheinen ein wenig heller zu werden, Christina von Richthofen beginnt die Anmoderation. Dann treten Herbst und Jensen-Samama ins Rampenlicht. Und ein glanzvoller Abend beginnt. Ja, der bislang beste Abend in der Konzertreihe. Come again, sweet love doth now invite. Come away, come sweet love. A Fancy. Freunde dieser Musik erkennen die Titel sofort. Es sind drei Lieder von John Dowland, dem Lautenisten und Komponisten aus dem 16. Jahrhundert. Dank Herbsts und Jensen-Samamas Interpretation klingen sie frisch und wunderschön. Wer Dowland in solch hervorragender Interpretation hört, möchte immer gleich mehr davon. Selbst, wenn der Gitarrist A Fancy als Solo vorträgt. Die beiden Künstler biegen aber zu dem fröhlichen irischen Traditional The Meeting of the Waters und dem englischen Folksong Rowing in the Dew ab. Da bleiben Kurzweil und Interesse erhalten. In der Zwischenmoderation geht es darum, wie sich die beiden Künstler kennengelernt haben. Das ist interessant, und ein paar Worte findet Herbst auch noch zu den Inhalten der letzten beiden Lieder.

Anschließend präsentieren die beiden die sephardischen Lieder Por la tu puerta yo pasi und Yo m’en amori d’un aire, die Jensen-Samama für Gitarre und Gesang arrangiert hat. Noch irgendetwas über Herbsts phänomenale Stimme zu sagen, hieße Eulen nach Athen tragen. Vermutlich könnte man sie nachts aufwecken, und sie sänge die Lieder mit derselben Perfektion, Begeisterung und Empathie. Zwischendurch in der langen Pause verrät sie im Gespräch, wie viel Arbeit sie in diesen „selbstverständlichen“ Klang ihrer Stimme steckt. Und dass ihr Hang zur Perfektion ihr manchmal sehr viel Mehrarbeit beschere, aber der Spaß an der Musik schließlich alle Mühen überdecke. Nach dem Konzert singt sie mal eben ein Lied von Wulfin Lieske „op kölsch“ an. Herrlich. Aber dazu gleich mehr. Nach den sephardischen Liedern steht erst einmal der spanische Komponist Manuel de Falla auf dem Programm. Wie Claude Debussy die Musikalität seiner Zeit in Frankreich prägte, war de Falla der Komponist, der in Spanien den Ton angab. Nach einer Hommage, die Jensen-Samama als Solo vorträgt, interpretiert Herbst drei weitere Lieder de Fallas in seiner Begleitung. Großartig.

Mark Jensen-Samama – Foto © O-Ton

In der nächsten Zwischenmoderation räumt Herbst mit einigen Vorurteilen zum Ausstoß von Aerosolen von Sängern auf. Sie erklärt das ganz wunderbar und anschaulich. Trotzdem: Hören wir nicht tagtäglich genug von Corona? Braucht es das jetzt in diesem Zusammenhang? Vielleicht hilft es dem einen oder anderen Zuschauer gegen die inzwischen allen innewohnenden Unsicherheiten. Dann hätte es sich ja gelohnt.

Im letzten Teil gibt es dann drei Gedichtvertonungen des Gitarristen und Komponisten Wulfin Lieske, der Jensen-Samamas hochverehrter Lehrer war, gebürtiger Österreicher und Wahlkölner ist. Ausgerechnet hier verhaspelt sich Jensen-Samama, hat aber die Größe, seinen Fehler einzugestehen – obwohl es vermutlich niemand außer Lieske bemerkt hätte – und von Neuem zu beginnen. Diesmal allerdings umso virtuoser. Da darf man seinen Hut ziehen. Zum Abschluss singt Herbst zwei Lieder von Mátyás Seiber auf Französisch. Réveillez vous und Marguerite, elle est malade runden einen mehr als überzeugenden Abend ab, der so ohne Weiteres in anderen Zusammenhängen auch unter Corona-Bedingungen ohne Schwierigkeiten wiederholt werden könnte. Ein Programm mehr, dass sich eignete, in subventionierten Häusern aufgeführt zu werden, um die Zeit bis zu den großen Aufführungen zu überbrücken. Die haben aber vorsichtshalber vorzeitig geschlossen – von Ausnahmen abgesehen. Als Randbemerkung sei hier eingefügt, dass späterhin einmal geklärt werden muss, ob Gemeinden, Land und Bund mit ihrer Entscheidung, die Saison 2019/20 vorzeitig zu beenden, tatsächlich richtig lagen oder einfach Steuergelder verschwendet haben. Solch großartige Programme, wie eines heute Abend im Hinterhofsalon Köln aufgezeichnet wurde, wären nämlich selbst unter Corona-Bedingungen auch in einem Stadttheater ohne Weiteres aufführbar.

In ihrer Abmoderation weist Christina von Richthofen darauf hin, dass bei dieser „Veranstaltung“ im Internet kein Eintritt verlangt wird, sondern „der Hut herumgeht“. Und es könnte durchaus sein, dass die Besucher den Zusatzaufwand und Stress der Künstler einen Tag später, wenn die Aufzeichnung online geht, besonders honorieren werden. Zu wünschen wäre es Künstlern und Veranstaltern.

Michael S. Zerban