O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Christian Nielinger

Aktuelle Aufführungen

„Fun und Nonsens“

DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauss)

Besuch am
25. April 2022
(Premiere am 23. April 2022)

 

Konzertsaal der Hochschule für Musik und Tanz, Köln

Immer wieder versuchen die Musikhochschulen, ihre Arbeit auch in der Öffentlichkeit vorzustellen. In diesem Jahr beispielsweise zeigte die Folkwang-Universität in Essen Die vier Grobiane, eine Oper von Ermanno Wolf-Ferrari, in eher kleinem Rahmen, die Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf bringt gerade eine vielgelobte La bohème auf die Bühne des Partika-Saals, und die Musikhochschule für Musik und Tanz in Köln zeigt Die Fledermaus von Johann Strauss. Das sind gewissermaßen Leistungsschauen, die neben Konzerten, Vorspielabenden und Wettbewerben die Fähigkeit von Studenten und Professoren zur Genre-übergreifenden Zusammenarbeit beweisen können. Außerdem geben sie den Studenten die Möglichkeit, sich vor „echtem Publikum“ zu präsentieren, eine Erfahrung, die auch erst einmal gesammelt sein will. In Köln übrigens gibt es gleich zwei „Leuchtturmprojekte“. Zum einen ist das die Literaturoper, die inzwischen als Institution außerhalb der Hochschule jährliche Produktionen zeigt, die in der Regel Uraufführungen sind. Und es gibt die große Produktion, die im Konzertsaal der Musikhochschule gezeigt wird, einer Bühne, die immerhin annähernd 800 Besuchern Platz bietet.

Heuer also steht Die Fledermaus als Operette von Johann Strauss auf dem Programm. Zum einen publikumswirksam, zum anderen eine besondere Herausforderung für die Akteure auf der Bühne, weil sie singen, spielen und sprechen müssen. Man darf sich nicht davon abschrecken lassen, dass die Aufführung als „Fun und Nonsens“ angekündigt wird. Die Sprachverwirrung an Hochschulen in Deutschland nimmt ja mittlerweile groteske Formen an, wie auch das Programmheft des Abends zeigt. Und da ist so ein bisschen Marketing-Sprech noch das harmloseste. Es gibt im Deutschen kein Fun. Und es gibt auch keinen Grund, mit dem englischen fun and nonsense, also Spaß und Unsinn, Menschen abzuschrecken. Der Kölner an sich ist sprachlichen Kummer gewöhnt, und so ist die Aufführung, selbst wenn man Großeltern, Eltern, Freunde und Alumni abzieht, sehr gut besucht.

Man möchte nicht in den Schuhen von Regisseur Thilo Reinhardt stecken. Er muss sich nicht nur um seine Darsteller kümmern, sondern auch mit einer Arbeitsgruppe der Hochschule für Gestaltung Offenbach zusammenarbeiten, die Ausstattung und Kostüme übernimmt. Der Erfolg ist vorhersehbar. Es gibt verrückte Kostüme, eine aufwändige Bühne, aber niemanden, der Ahnung von Akustik hat. Doch der Reihe nach. Wie üblich, ist das Bühnenbild in drei Teile aufgeteilt. Eingangs das Haus der von Eisensteins, es folgt der Ball von Orlofsky und die Szene im Gefängnis der Stadt. Alles ist großzügig gebaut, wird aber dann kaum genutzt, weil der Hauptteil der Handlung an der Rampe stattfindet. Reinhardt gelingt es, aus allen Situationen das Größtmögliche an Humor herauszuholen, ohne in Klamauk zu verfallen – auch wenn der Staubsauger ohne jedes Geräusch funktioniert. Es gibt viel zu schmunzeln an diesem Abend. Die Kostüme sind im Sweatshirt-Stoff gehalten, was viel Glanz nimmt, aber den Zuschauern gefällt. Es gibt Masken, die zunächst an Hasen erinnern, später kommt die Maske von Rosalinde hinzu, die zwar genauso aussieht, aber eine Pferdemaske zu sein scheint. Die Masken sind nicht gesangstauglich und müssen deshalb hochgeklappt werden. Bei der Ballszene muss selbst Reinhardt aufstecken. Während die Bühne mit überdimensionalen Bananen gespickt wird, erstarrt die Festgesellschaft und kommt erst wieder in Bewegung, um einen „ungarischen Fahnentanz“ aufzuführen. Der immerhin nutzt endlich einmal die gesamte Bühne. Ansonsten muss Reinhardt alle Kraft aufwenden, um die Bewegung im Raum aufrechtzuerhalten. Das führt im Gefängnis zu teilweise absurden Szenen, wenn beispielsweise eine mobile Tür ins Zentrum des Geschehens gerät.

Bis dahin ist es also das, was man sich gemeinhin unter einer studentischen Aufführung vorstellt. Bunt und fantasievoll, mit großem Aufwand betrieben. Um den überwältigenden Erfolg des Abends zu verstehen, ist der Blick auf die Leistungen der Darsteller notwendig. Vittoria Küppers aus der Klasse von Claudia Kunz-Eisenlohr läuft als Adele allen den Rang ab, auch wenn die Abstände minimal sind. Ihre Darstellung ist witzig und einfach großartig. Die Schwierigkeit bei der Beurteilung ist die Akustik der Bühne, die bis auf die Hinter- und Seitenbühne geöffnet wird und somit einen Großteil der Texte schluckt. Miriam Rippel, ebenfalls bei Kunz-Eisenlohr, vermag gesanglich als Rosalinde immer wieder Akzente zu setzen. Darstellerisch stimmen die Kostüme nicht, trotzdem kann Rippel das Publikum begeistern. Von Thomas Piffka wird Leon Wepner betreut, der sich heute Abend als von Eisenstein darstellerisch und gesanglich Lorbeeren erwirbt. Christopher Auer, der seinen Bass bei Ingeborg Greiner formt, sorgt als Chevalier Chagrin mit dem ausgefeilten französischen Dialog mit von Eisenstein während des Soupers für viel Gelächter und bekommt als eigentlicher Gefängnisdirektor Frank seinen Restalkohol sehr gut in den Griff. Seine gesanglichen Fähigkeiten hat er wiederholt bei der Literaturoper unter Beweis gestellt und enttäuscht auch heute Abend nicht. Am meisten unter der Akustik zu leiden hat Katleho Mokhoabane, der unter den Fittichen von Brigitte Lindner steht. Als Alfred kommt es besonders auf die Feinheiten des Tenors an, die auf der komplett offenen Bühne einfach nicht zur Geltung kommen, obwohl das mit seinem Leistungsstand sicher nichts zu tun hat. Yeagook Kang studiert bei Kai Wessel und darf sich als Orlofsky präsentieren. Ja, der Orlofsky, der sich gern Gäste einlädt. Warum er mit einer Pferdepeitsche auf die Bühne kommt, ist kaum nachvollziehbar. Immerhin ist sein Chacun à son gôut gerade noch hörbar, sonst wäre es ja alles nichts gewesen. Dem Dr. Falke misst Reinhardt besondere Bedeutung zu. Soowon Han aus der Klasse von Raimund Nolte bekommt dazu heftig Hall auf die Stimme. Er ist der Dämon, der über dem Abend steht und die Fäden zieht. Die undankbare Rolle des Dr. Blind übernimmt Bastian Röstel als Student bei Mechtild Georg gekonnt. Für frischen Wind sorgt die Studentin von Christoph Prégardien Marta Daniela Ribeiro Martins als Ida.

Und was ist mit dem Frosch? Gerade noch hat Christoph Maletzko, ebenfalls Wessel-Schüler, höchst servil im Mäuse-Kostüm den Ivan gegeben, jetzt läuft er mit einem sehr schönen Text, der sich naheliegend mit der Hochschule auseinandersetzt, zur Höchstform auf. Zum großen Vergnügen trägt er Einzelheiten zu „Übe-Zellen“, „schalldichten Isolationszellen“ und wenig Erfreuliches zur „Gefängnisverpflegung vor Ort“ vor, vergisst auch nicht, zum baulichen Zustand der unter Denkmalschutz stehenden Hochschule Stellung zu nehmen. Sehr schön gelöst.

Seit 30 Jahren ist Herbert Görtz bereits an der Musikhochschule tätig, wie er nicht ohne Stolz verkündet. Sein Dirigat bereitet ihm sichtlich Spaß, wenn er das Hochschulorchester zu Höchstleistungen in Sachen Walzer und Polka anfeuert. Er kennt genau die Stellen, wo er es schon mal laufen lassen kann, aber dann steht er zur rechten Zeit mit großer Geste vor den Geigern, um das Wienerische herauszukitzeln. Was Balance und Einsätze angeht, hat er die Bühnendarsteller stets im Blick und schafft so Sicherheit und Selbstbewusstsein. Es entsteht eine ganz wunderbare Melange aus zarten Klangfarben, mitreißenden Tempi und einfühlsamen Momenten.

Da bleibt dem Publikum bei einem großartigen Schlussbild nichts anderes mehr, als Bühne und Graben mit allem zu feiern, was das Spektrum an Applaus hergibt. Wer sich den dreistündigen Spaß der Nachwuchskünstler noch gönnen will: Es gibt eine letzte Vorstellung am 26. April, die zwar ausverkauft annonciert ist, aber eine Nachfrage vor Ort könnte sich lohnen.

Michael S. Zerban