Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Stell dir vor, Du fährst zur Alten Feuerwache nach Köln, um eine Aufführung zu besuchen. Du nimmst eine kostenlose Parklücke unmittelbar neben dem Eingang und gehst über den Hof zur Bühne. Kenner der Situation vor Ort werden dich spätestens jetzt fragen, wovon du nachts so träumst. Und doch ist es nach vielen Jahren zum ersten Mal passiert. Das muss ein besonderer Abend werden. Und so ist es auch.
Die Künstlerinitiative Dafne hat zur Bühne der Alten Feuerwache in Köln eingeladen, um ein Stück über Maria Herz zu zeigen, einer Kölner Komponistin, die ins Exil ging und damit das Schicksal der nach dem Zweiten Weltkrieg Vergessenen erlitt. Kein Einzelfall, sondern vielmehr exemplarisch für so viele, die vor dem nationalsozialistischen Regime fliehen mussten und deren Werke nach dem vorzeitigen Ende des „tausendjährigen Reichs“ kaum noch eine Chance bekamen, als hätten die Nationalsozialisten mit ihrem Gerede über „entartete Kunst“ oder der Schmähung der Künstler Recht gehabt. Erst allmählich erfährt der eine oder andere Komponist posthume Genugtuung, wenn so etwas möglich ist, indem seine Werke der Öffentlichkeit – wieder – zugänglich gemacht werden. Als sei das Exil an sich nicht schon Strafe genug. Erst, wer der Heimat verwiesen wird, begreift, wie viel sie bedeutet. Eine Erfahrung, die in diesen Zeiten mehr Menschen machen als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Die Sensibilität für das Thema ist entsprechend hoch.
Foto © O-Ton
Violetta von der Heydt hat sich für das folgende Kammerspiel Exil – Kammerszenen eine wunderbare Bühne einfallen lassen. Dazu verzichtet sie auf die Tribüne. Auf der Bühne stehen zwei Wände über Eck, in einer ist ein Durchlass und ein Fenster integriert. Davor liegt die eigentliche Spielfläche. Gegenüber den Wänden sind Stuhlreihen aufgestellt, die heute Abend bis auf den letzten Platz besetzt sind. Was die Zuschauer nicht sehen können, sind die Aufbauten hinter den Wänden, die es später ermöglichen, dass die Darsteller auch über die Wände hinweg spielen. Auf der Fläche sind ein paar Kästen, ein Tisch, ein Stuhl und ein Violinkasten aufgebaut. Es entsteht ein sehr intimer Raum, der groß genug ist, um fünf Personen die gewünschten Bewegungsräume zu ermöglichen und in dem die Regisseurin nun allerhand Einfälle ausleben lassen kann. Die reichen von Tanz, Vortrag über schriftliche Notizen bis zu Gemälden. Eine am Rand aufgestellte Kamera lässt „Live-Übertragungen“ der Darstellerin als Projektion auf die geschlossene Wand zu. Dafür sorgt Michael Pattmann, der zugleich für die Zuspielungen zuständig ist. Daniel Swoboda taucht den Raum in häufig, aber unauffällig wechselndes Licht, so dass hier zusätzlich eine unaufdringliche Dynamik entsteht.
Georg Beck hat auf einen Handlungsstrang verzichtet, stattdessen Briefzitate von Maria Herz und Charlotte Salomon zusammengestellt und um eigene Zeilen ergänzt, die die Extremsituation des Exils verdeutlichen. Das macht die Arbeit für Schauspielerin Anna Magdalena Beetz nicht einfacher, die dafür umso leuchtender glänzen kann, wenn sie rezitiert, singt, malt, schreibt oder tanzt. In den Momentaufnahmen können die Besucher sich ganz ihren Gefühlen hingeben. Sie berichtet von Alltagsszenen mit den Nachbarn, die eher skeptisch gegenüber den Zugereisten sind, schwelgt in Erinnerungen, von denen sie ihrem Sohn Robert, den sie Bobby nennt, berichtet. Mit an die Wand gehefteten Zetteln ergibt sich einer der Schlüsselsätze des Abends: „Esse est percipi“ – Sein ist wahrgenommen werden. Der wird George Berkeley zugeschrieben und gewinnt im Kontext des Exils noch einmal einen tieferen, vielleicht sogar bittere Sinn. Denn wenn du nicht gerade der Schriftsteller-Familie Mann angehörst, deren Ankunft in Amerika große Wirbel verursachte, heißt ins Exil zu gehen, in der Unsichtbarkeit zu verschwinden. Eine sehr schmerzhafte Erfahrung für die Kölner Komponistin, die gerade ihre größten Erfolge feierte, als die Nationalsozialisten sie vertrieben. Beetz bemüht sich, Selbstmitleid durch Sachlichkeit zu ersetzen, lebt aber die freudigen Erinnerungen und Erlebnisse umso emotionaler aus. Das hat nicht nur zur Folge, dass das Stück nicht in Wehklagen zerfließt, sondern gerade die stillen Momente so richtig unter die Haut fahren. Und sei es auch nur, dass Beetz „Respekt“ an die Wand schreibt.
Foto © O-Ton
Als wäre nicht allein die überragende Leistung von Beetz schon einen Theaterpreis wert, bekommt sie Unterstützung seitens des Streichquartetts, das hier nicht nur Teile aus Robert Schumanns Arabeske spielt, an die Rundfunkmusik für acht Instrumente von Maria Herz erinnert, sondern auch darstellerisch mitwirkt. Das funktioniert großartig und unterstreicht die emotionale Stimmung des Abends noch einmal deutlich, obwohl die Geigerinnen Gudrun Höbold und Katharina Wimmer, Bratschist Frederik Koos und Cellist Elio Herrera eigentlich schon mit ihren Instrumenten genug beschäftigt sind. Für die Zuspielungen, die entweder dramaturgisch gesetzt werden oder der Verknüpfung dienen, ist Jörg Ritzenhoff verantwortlich.
Es sind knappe anderthalb Stunden Musiktheater, die ohne jede Rührseligkeit das Publikum ergreifen. Das bringt auch Albert Herz, Enkel der Komponistin, der eigens zur Uraufführung angereist ist, bei seiner kurzen Ansprache nach dem Stück eindringlich zum Ausdruck, wenn er erzählt, dass er hier noch einmal seine Großmutter erlebt habe. Ein schöneres Kompliment kann es für die Künstlerinitiative Dafne kaum geben.
Weitere Aufführungen gibt es am 24. Februar abends und am 25. Februar mittags um 11.30 Uhr in der Alten Feuerwache in Köln. Außerdem ist das Stück am 1. und 2. März im Kulturbahnhof Eller in Düsseldorf zu erleben, wobei schon der Spielort einen Besuch wert ist.
Michael S. Zerban
Mehr über die Komponistin Maria Herz und ihre Musik gibt es im Audiobeitrag.