O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Julia Franken

Aktuelle Aufführungen

Neue Intelligenz gesucht

CAPTCHA
(Sonia Franken, Gonzalo Barahona)

Besuch am
3. April 2022
(Premiere am 17. Februar 2022)

 

Kunsthafen, Kunsthaus Rhenania, Köln

Eigentlich erscheint es dieser Tage notwendiger, über die Dummheit der Menschen nachzudenken. Andererseits kann einen auch der Umstand, dass alle Welt über die Künstliche Intelligenz redet, dazu führen, über die Intelligenz oder den Begriff der Intelligenz ausführlicher und allgemeiner nachzudenken. Reicht unser herkömmliches Verständnis von menschlicher als allein glückseligmachender Intelligenz aus, bloß, weil wir sie angeblich sogar messen können? Wozu benötigen wir dann eine so genannte Künstliche Intelligenz, deren Wesen darin bestehen soll, sich selbst weiterzuentwickeln? Und wohin führt das eigentlich? Wer sich auf diesen Themenkomplex einlässt, ist erst mal reichlich beschäftigt.

Das haben auch Sonia Franken und Gonzalo Barahona festgestellt, als sie sich an die Recherche für ihr neuestes Stück begaben. Schnell kamen sie dabei auch auf die Intelligenz natürlicher Systeme. Und damit war das weite Spielfeld erst recht geöffnet. Das Kunststück war nun, die Faszination des Themas publikumsgerecht aufzubereiten, ohne einen Workshop für Philosophen, Techniker oder Informatiker zu veranstalten. Im Kunsthaus Rhenania im Kölner Rheinauhafen zeigt das El Cuco Projekt seine Ergebnisse. Ein gewagter Aufführungsort, der an eine ehemalige Lagerhalle erinnert. Vor den bodentiefen Fenstern flanieren die Spaziergänger und sorgen für Ablenkung. Zahlreiche Stützsäulen verlangen ein ausgeklügeltes Konzept, das Publikum so zu platzieren, dass es der Aufführung folgen kann. Dazu ist der Raum tageslichtgeflutet, so dass das Licht von Roman Sroka keine Rolle spielt. An einigen Säulen sind zweisprachige Textplakate mit vorläufig eher rätselhaften Nachrichten aufgehängt. In der entferntesten Ecke sind zwei Plakatwände aufgestellt, die zusammengefügt das Bild einer prähistorischen Landschaft ergeben.

Dass dieser Nachmittag ein außergewöhnliches Erlebnis werden wird, dafür sorgt neben den hervorragenden Leistungen der Tänzerinnen die Spezialität des El Cuco Projekts. Lebensechte Tierkopfmasken sorgen wie immer für eine künstlerische Verfremdung, die in diesem Fall wirklich niedlich ausfällt. Wie immer sind die Masken aufwändig produziert, vielleicht aber jetzt besonders liebevoll. Nun erschließt sich dem gemeinen Besucher möglicherweise nicht unmittelbar, was die Besonderheit der Intelligenz von Fledermäusen auszeichnet, aber wozu sich darüber Gedanken machen? Lena Thielen hat die Fledermäuse in geschlechtslose Hosen und Sweater gekleidet. Trotzdem möchte man die possierlichen Tierchen gerne mal knuddeln, vielleicht sorgen auch die großen Augen für die sublime Ansprache des Baby-Schemas.

Carla Jordão, Jimin Seo und Margherita Dello Sbarba sind also bis zur Unkenntlichkeit verkleidet. Und so dürfen sie sich in einer wunderbaren Bewegungssprache ausleben. Sie erkunden verspielt die scheinbare rückständige Computertechnologie der Gegenwart, entdecken neue Systeme und lassen sich dafür ausgiebig feiern, ehe sie in neue Welten eintauchen, sprich hinter der prähistorischen Landschaft verschwinden. Das ist, man kann es kaum anders formulieren, entzückend. Erläuterungen liefern die Einspielungen, die so klingen, als kämen sie von einem Anrufbeantworter. Für eine Geräuschkulisse, die ein natürliches Umfeld für die Fledermäuse inklusive ihrer eigenen Klänge schafft, ist Timm Roller verantwortlich, der damit das Gesamtbild abrundet.

Ach so, den Captcha-Test dürften übrigens die meisten Menschen kennen, die im Internet unterwegs sind. Captcha bedeutet completely automated public turing test to tell computers and humans apart, im Deutschen so viel wie ein vollständig automatisierter Turing-Test, um zu erkennen, ob Computer oder Mensch hier etwas eingeben. Das ist ein Testverfahren, mit dem das dahinterliegende Programm erkennen können soll, ob es sich bei der Person vor dem Computer um eine echte Person oder einen Roboter handelt. Spätestens nach diesem Nachmittag dürfte jedem klar sein, dass das Testverfahren eine Farce ist. Es unterstellt, dass der Mensch über mehr Intelligenz verfügt als ein automatisches Hacker-Programm, also Künstliche Intelligenz. Ja, was denn nun? Die Petitesse: Viele Kaufabschlüsse im Internet scheitern daran, dass die Menschen nicht in der Lage sind, das Captcha-Programm vernünftig zu Ende zu führen.

Die gelungene spielerische Umsetzung wird vom Publikum dankbar applaudiert, wobei die Masken und die tänzerische Leistung sicher im Vordergrund stehen.

Michael S. Zerban