O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christoph Nielinger

Aktuelle Aufführungen

In der Modewelt

DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY
(Henrik Albrecht)

Besuch am
7. Oktober 2022
(Uraufführung)

 

Literaturoper Köln, Urania-Theater, Köln

2008 wurde die Literaturoper Köln unter dem Dach der Hochschule für Musik und Tanz gegründet. Die vierte Produktion war 2011 Das Bildnis des Dorian Gray. Elf Jahre später beschäftigt das Thema Andreas Durban und Henrik Albrecht immer noch. Durban ist Künstlerischer Leiter und Regisseur der Literaturoper, Albrecht hat die meisten der Opern komponiert, die die Literaturoper produziert hat. Sie finden, dass die Geschichte noch einmal erzählt werden muss. Der Schauerroman des irischen Schriftstellers Oscar Wilde aus dem Jahr 1891 bietet einfach zu viel Potenzial zwischen Ästhetizismus und Dekadenz, um es bei dem ersten Versuch zu belassen, der aus heutiger Sicht viel zu dialoglastig war. Zudem haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert. Nun steht also erneut die Uraufführung der Geschichte eines Dandys an, diesmal im Urania-Theater im Kölner Stadtteil Ehrenfeld.

Die Rahmenbedingungen sind erfreulich. Der Spielort ist aus früheren Produktionen bekannt, das Team eingespielt, der Zugriff auf den Kostümfundus eines Theaters eröffnet neue Möglichkeiten im spielerischen Bereich, im musikalischen Bereich bekommt Albrecht zum Klavier ein Streicherquartett zur Verfügung gestellt. Da kann doch was gehen. Etwas überrascht sind die Akteure vom Publikumsandrang. An diesem Abend bleibt kaum ein Platz leer. Obwohl der Einlass angenehm frühzeitig beginnt, gelingt der pünktliche Beginn nicht. Wie üblich findet Durban ein paar Worte zur Begrüßung. Dann kann der Spaß beginnen.

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Obwohl der Begriff Spaß hier eher relativ ist. Dorian Gray lässt ein Ganzkörperporträt vom Maler Basil Hallward erstellen. Der Künstler vollbringt eine ungewöhnlich gelungene Arbeit. Der Schönling Gray erkennt die Tücke. Er selbst würde weiter altern, das Bildnis nicht. In einem nicht ganz klaren Transformationsprozess altert die Gestalt im Bild, während der Dandy seine Schönheit behält. Gray und sein Porträt werden Lord Henry vorgestellt, der hier vom Landadel zum Mode-Mogul avanciert. Er nimmt den jungen Mann unter seine Fittiche, der derweil das Porträt vom Maler geschenkt bekommt, weil es so schön ist, dass man es beim besten Willen nicht verkaufen will. Für Dorian – und hier geht Durban, der die Romanadaption vorgenommen hat, ganz eigene Wege – beginnt eine rauschende Karriere in der Modewelt. Sibyl Vane wird zum Model, endet aber wie im Roman im Freitod. Modeschauen des Chors und zwei Reporterinnen, mit Kameras bewaffnet, demonstrieren den steilen Weg des Schönlings nach oben. Aber auch in der Aufführung knickt die Karriere in dem Moment, als Basil auftaucht, das Bild noch ein letztes Mal sehen will und von Dorian ermordet wird. Henry Wottons Assistent James, eilig von Dorian herbeigerufen, um für die Beseitigung der Leiche zu sorgen, muss in der Folge ebenfalls sterben. Als der Mode-Star Gray entdeckt, dass sein Porträt erschreckende Verfallsformen angenommen hat, versucht er, den Prozess umzukehren. Allein die medienwirksame Aktion, einer Näherin eine bessere Zukunft zu ermöglichen, reicht nicht, das Bild wieder in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen. Also zerstört Gray das Bild. Das Ende bleibt leider unverständlich, zeigt jedenfalls nicht den verfallenen Gray im Zustand nach seinem Freitod, wie im Roman vorgesehen.

Die Bühne ist einmal mehr intelligent gelöst. Links wie immer der Flügel, in der Mitte eine große Spielfläche, die zunächst mit Laken bedeckt ist, später Laufbahnen eines Catwalks zeigt. Eine vorgezogene Gaze-Wand im Hintergrund schafft zwei Räume und ermöglicht zusätzliche Projektionen von Julia Suermondt, die in erster Linie wieder sehr künstlerisch-assoziativ ausfallen. Eine Vielzahl von Accessoires im 1970-er-Jahre-Stil findet eher nebenbei Platz auf der Bühne. Angela C. Schuett sorgt wiederum für die Kostüme. Fantasievoll kleidet sie die Akteure ein, ohne allerdings auch nur den Hauch von Erotik zuzulassen. Das Aufregendste an diesem Abend sind Hallward im Unterhemd und Wotton im Trainingsdress. Das Licht verantwortet auch heute Thomas Vervoorts. Und wer ihm mangelnde Fantasie vorwerfen will, wird alsbald feststellen, dass sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein muss, dass die Lichtwechsel überhaupt funktionieren. Hier sind die Grenzen der Ausstattung einfach allzu schnell erreicht. Da müsste das Ensemble doppelt arbeiten, um die gewünschte Atmosphäre zu erreichen.

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Liegt es an der prallgefüllten Tribüne, überfällt die Darsteller eine Art Realitätsschock? Es sind Studenten der Musikhochschule, keine Profis. Die erste Hälfte des Abends läuft schaumgebremst. Der Gesang unterbietet noch die niedrigen Anforderungen der Partitur und gleitet in Gleichförmigkeit ab. Michael Krinner als Basil Hallward hüpft vollkommen hektisch auf der Bühne herum, Christoph Auer wirkt als Henry Wotton völlig orientierungslos. Der Fels in der Brandung ist die Darstellerin, die schon in früheren Produktionen mehrfach auf sich aufmerksam machte. Bettina Schaeffer wächst in der Titelrolle über sich selbst hinaus. Unbeirrt von der allgemeinen Lähmung zeigt sie – nunmehr grellblondiert, was ihre markanten Gesichtszüge unglaublich betont – alles, was eine Hosenrolle bieten kann. Vom männlichen Habitus bis zum selbstüberzeugten Dandy, der seine Daseinsberechtigung in der modischen Erscheinung sieht, zieht sie mit glühenden Blicken ins Publikum sämtliche Register bis später zum Opiumgebrauch, den sie so darstellt, als gehöre es zu ihrem Alltagsleben dazu. Gratulation zu diesem Auftritt. Bedauerlich, aber für Schaeffer ist die Zeit auf der Hochschule abgelaufen. Sie gehört dringend auf die „große Bühne“. Nach einem ordnenden Zwischenruf des Regisseurs in der Pause finden dann alle wieder ins Gleis. Krinner kommt zur Ruhe, ehe er lange stirbt, Auer findet zur gewohnten Qualität zurück, er spielt den schwulen Mode-Manager in der genau richtigen Mischung von Tuntigkeit, die nicht in Albernheit abdriftet. Leo Bögeholz-Gründer kann als überdrehter Assistent James schließlich zur ewigen Ruhe kommen.

Alina Gölke zeigt deutlich, warum Sibyl Vane am Leben scheitern muss. Nefeli Spyropoulou beeindruckt unter anderem als Näherin Hethy. Katharina Schätzung und Simge Ciftci haben noch ein wenig Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Fotoapparaten, sind aber engagiert im Umgang mit dem Mode-Star. Karuna Weisbrod, Celine Kammin und Anastasia Kirichenko komplettieren den Chor.

Auch im Streichquartett siegt vorläufig die Nervosität. Antonia Schneider und Astghik Mamikonyan an der Geige, Lucia Gatzweiler an der Viola und Cellistin Johanna Folz zeigen sich absolut souverän, was die Musik angeht, bekommen aber zusätzlich die Aufgabe, sich in unterschiedlichen Positionen auf der Bühne einzurichten. Da braucht es noch gehörige Konzentration. Dass es bei Uraufführungen gehörig klappert und hakelt, gehört selbst bei Profis zum Berufsalltag. Ein besonderes Kompliment gebührt an diesem Abend allen Akteuren, weil sie nach der kleinen Durststrecke nicht lockerlassen und sich gehörig am Riemen reißen. Das ist eindrucksvoller als ein glatter Durchlauf.

Anderthalb Stunden lang sind die Sänger gut zu verstehen. Erst im Schlusschor hört man kaum noch ein Wort. Dabei gefällt die Musik von Henrik Albrecht über den Abend ausgesprochen. Eigentlich ist es mit dem Besuch einer Aufführung nicht getan, um all die Feinheiten der musikalischen Ausgestaltung zu erfassen, die ihren Höhepunkt im Zusammenspiel von Klavier und Toy Piano finden. Aber Georg Leisse, der die musikalische Leitung am Flügel übernimmt, leistet den Streichern unaufhörlich Hilfestellung und bleibt souverän bis zum Schluss.

Das Publikum gratuliert auf das Herzlichste mit überschwänglichem Applaus für eine gut erzählte Geschichte, wunderbare Darsteller und Musiker, die neue Musik mit größtmöglicher Selbstverständlichkeit aufführen. Eines ist nach diesem Abend klar. Dorian Gray ist ein Typ mit grellblonden Haaren, der die Mitmenschen mit glutvollen Augen und makelloser Schönheit gefangen nimmt. Wer sich davon beeindrucken lassen will, hat dazu noch am 8., 10. und 11. Oktober noch in Köln Gelegenheit, bevor das Ensemble am 17. und 22. November nach Wuppertal in das Theater am Engelsgarten wechselt.

Michael S. Zerban