O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sandra Then

Aktuelle Aufführungen

Wortreiches Seelendrama

LA BÊTE DANS LA JUNGLE
(Arnaud Petit)

Besuch am
20. April 2023
(Premiere am 14. April 2023)

 

Oper Köln, Staatenhaus Deutz

In tiefe Abgründe der menschlichen Seele steigt Kölns Generalmusikdirektor François-Xavier Roth in seiner vorletzten Saison als Chefdirigent der Kölner Oper. Richard Wagners Schauerballade Der fliegende Holländer und die Uraufführung einer Oper nach einer Vorlage von Henry James betreut er derzeit. Und beide in ihrer Machart denkbar unterschiedlichen Stücke stehen aktuell auf dem Spielplan.

La Bȇte dans la Jungle – Das Biest im Dschungel – ist die französische Übertragung einer Erzählung des englischen Dichters Henry James. Der Komponist Arnaud Petit, Roth seit frühen Jahren eng verbunden, konzipierte Das Biest im Dschungel ursprünglich als eine Art konzertante Kantate. Keine schlechte Idee, lässt die Verpflanzung auf die Opernbühne, anders als die thematisch ähnlich gelagerten Seelendramen von Brittens Turn of the Screw oder Bartóks Herzog Blaubarts Burg, einen eklatanten Mangel an dramatischer Substanz erkennen.

Dem versucht Regisseur Frederic Wake-Walker gegenzusteuern, indem er als Erzähler das Publikum zunächst in eine Art Trance versetzen will, in der die folgenden 90 Minuten in einem traumartigen Zustand wahrgenommen werden sollen. Zu erleben ist die Geschichte Johns, der von rätselhaften Ängsten vor nahenden Katastrophen geplagt wird. Empfindungen, die auch die Begegnung mit der früheren Freundin May nicht lindern kann. Dass sie ihn bedingungslos liebt, merkt er nicht. Erst nach ihrem Tod erkennt er, dass das gefürchtete „Biest“ im Dschungel seiner eigenen Gefühlswelt wütet. Begründet in der Tatsache, „dass er nie geliebt hat“.

Foto © Sandra Then

Ein faszinierender Stoff für episch ausladende Dialoge. Als Bühnenstück allerdings eignet es sich, ähnlich wie Debussys Poe-Dramatisierung des Hauses Usher, nur bedingt. Dass der Komponist bei Olivier Messiaen gelernt hat, ein Orchester zum Schillern zu bringen, spürt man in jedem Takt. Es funkelt vor Glöckchen-Geglitzer und raffinierten Klangfarben aller Art. Die anämischen Längen der oft in gleichem zähem Zeitmaß ablaufenden Gesangspartien bekommen dadurch allerdings keinen zusätzlichen Sauerstoff.

Geschickt nutzt der Regisseur allerdings die besonderen architektonischen Möglichkeiten des Staatenhauses. Im leergeräumten Saal 3 postieren sich Publikum und Orchester um eine kreisförmige, ebenerdige Spielfläche. Als Requisiten begnügt sich Wake-Walker mit zwei schlichten Stühlen und zwei semitransparenten Spiegeln, mit denen er erstaunlich unheimliche Effekte erzielen kann. Die Wände werden mit Videoeinblendungen von Kunstwerken, menschlichen Portraits und Stadtszenerien geflutet. Das sorgt für optische Abwechslung, wirkt aber ähnlich zusammengewürfelt wie viele Teile der Musik.

Emily Hindrichs als May und Miljenko Turk als John haben Höchstleistungen zu vollbringen. Weniger, was den physischen Kampf gegen den von Petit ohnehin relativ dezent gesetzten Orchesterpart angeht. Sie haben eine Unmenge an Text im oft gleichförmigen Konversationston zu bewältigen und angesichts der kontrastarmen Musik auch noch lebendige Rollenprofile kenntlich zu machen. Das gelingt beiden mit bewundernswerter Professionalität. Hindrichs, die die liebende Frau stimmlich und gestalterisch ebenso glaubwürdig verkörpert wie Miljenko Turk mit seinem gleichermaßen schlank und elastisch geführten Tenor den von inneren Ängsten erfüllten John.

Ein interessantes Werk abseits des gewohnten Repertoires.

Pedro Obiera