O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

An die ferne Geliebte

L’AMOUR DE LOIN
(Kaija Saariaho)

Besuch am
27. Oktober 2021
(Premiere am 24. Oktober 2021)

 

Oper Köln, Staatenhaus Deutz

Die musikalische Avantgarde Finnlands nimmt eine Sonderstellung ein, indem sie sich dadurch auszeichnet, Musik auf der Höhe der Zeit mit geradezu kulinarischer Sinnlichkeit verbinden zu können. Daraus lässt sich nachvollziehen, dass die Oper L’Amour de Loin – Die Liebe aus der Ferne – aus der Feder von Kaija Saariaho seit der erfolgreichen Uraufführung vor 20 Jahren in Salzburg mehrfach nachgespielt wurde. Von den Qualitäten des Werks kann man sich jetzt auch an der Kölner Oper überzeugen.

Dabei bietet das Werk in seiner stillen kontemplativen Schlichtheit keine dramatischen Sensationen. Das Drei-Personen-Stück ist in einer irrealen Traumwelt angesiedelt und kreist um die Geschichte zweier Liebenden aus zwei fernen Kontinenten, die sich nur aus den Berichten eines weitgereisten Hirten kennen, sich daraus ihren Traumpartner konstruieren und in glühender Sehnsucht vergehen. Als der Troubadour Jaufré endlich aufbricht, die Schiffsreise von Aquitanien ins ferne Tripoli anzutreten, stirbt er, bevor es zur realen Begegnung mit Clémentine kommen kann. Die verzweifelte Frau sucht Trost und Hilfe in einer ausgedehnten Bitte um göttlichen Beistand.

Ähnlichkeiten mit den tragischen Liebesgeschichten von Richard Wagners Tristan und Isolde und Claude Debussys Pelléas et Mélisande sind greifbar. Allerdings wird der religiöse Gehalt am Schluss erheblich breiter ausgeführt als dramaturgisch sinnvoll.

Das ist freilich der einzige nennenswerte Einwand gegen ein atmosphärisch, klanglich und in seiner spirituellen Intensität faszinierendes Werk. Regisseur Johannes Erath und Bühnenbildner Bernhard Hammer lassen sich mit eiserner Konsequenz auf die irisierend traumhafte Sphäre des Werks ein. Zwei Spielflächen – links ein Guckkastenwürfel für die westliche Welt Jaufrés und rechts eine gewellte, ständig rotierende Plattform für die ferne Geliebte – flankieren das zentral postierte Orchester. Und dem gewinnt die Komponistin ein unerschöpfliches Reservoir an schillerndsten Klangfarben, teilweise sogar Klangwundern ab. Vokalisen des Chors verfeinern den Klang zusätzlich.

Auch in der Behandlung der Gesangssolisten verzichtet die Komponistin auf dramatischen Hochdruck. Gleichwohl wird den drei Protagonisten, die das Werk vokal allein zu tragen haben, ein hohes Maß an stimmlicher Flexibilität und Einfühlungsvermögen abverlangt. Was dem Bariton Holger Falk und der Sopranistin Emily Hindrichs in den Partien des Liebespaars ebenso überzeugend gelingt wie Katrin Wundsam in der androgynen Rolle des Hirten. Und unter der Leitung von Constantin Trinks läuft auch das Gürzenich-Orchester zur Hochform auf.

Regisseur Erath entwickelt das Stück als einen Traum, wobei es mit Hilfe von stummen Doppelgängern und psychedelisch angehauchten Videos von Bibi Abel zu scheinbar realen Annäherungen zwischen den getrennten Liebenden kommt, die jedoch rasch als Illusionen verpuffen. Die Figuren bewegen sich ständig, aber in lemurenhafter Ruhe. Mit psychologischen Deutungen hält sich Erath zurück, auch wenn sich Jaufré in Köln als Egomane entpuppt, der die Doppelgängerin in seinem Haus mit Schuhen überschüttet und gleichzeitig ohrfeigt. Mit mephistophelischer Wandlungsfähigkeit zieht der Hirte die Fäden des traurigen Spiels, auch wenn er das böse Ende so nicht gewollt hat.

Eine beeindruckende Produktion eines faszinierenden Werks mit einem deutlich zu lang geratenen Schluss. Modernes Musiktheater ohne jeden Schrecken.

Pedro Obiera