Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
ALEXANDER SKRJABIN UND DIE FOLGEN
(Diverse Komponisten)
Besuch am
30. März 2022
(Einmalige Aufführung)
Alexander Skrjabin ist in Deutschland eher wenig bekannt. Hier und da mal eines seiner süffigen Stücke im Rahmen eines Konzertabends, hin und wieder füllt auch ein Redakteur eines Klassik-Radiosenders mal eine Programmecke mit der Musik des Komponisten. Dabei wird das der Bedeutung des Musikers eigentlich nicht gerecht.
Skrjabin wurde am 6. Januar 1872 in Moskau geboren. Schon früh wurde seine musikalische Begabung am Klavier offensichtlich. Ein Kompositionsstudium brach er wegen Schwierigkeiten mit seinem Professor ab, das Klavierstudium beendete er. Alsbald galt er als außergewöhnlich guter Pianist, der aber ausschließlich eigene Werke spielte. Auch komponierte er ausschließlich für das Klavier und Sinfoniemusik. Dabei entwickelte er nach anfänglicher Beschäftigung mit Chopin, Liszt und Wagner rasch eine eigene Tonsprache, aus der der mystische oder Prometheus-Akkord, ein auf Quartschichtungen bestehender Akkord, entstand. Außerdem entwickelte er die Klaviersonate zur Einsätzigkeit weiter, zumindest gibt es Menschen, die das als Weiterentwicklung betrachten. Es gäbe noch vieles über den Farb-Synästheten zu berichten, der in höherem Alter Visionen entwickelte, die denen Richard Wagners nicht ganz unähnlich waren.
Ralf Soiron – Foto © O-Ton
All das spielt aber bei seiner Geburtstagsfeier heute Abend keine Rolle. Bei freiem Eintritt hat dazu die Alte Feuerwache Köln eingeladen. Hier soll im Großen Saal in Kooperation der Vereine E-Mex und Klang Köln ein Miniatur-Festival stattfinden. 150 Jahre Skrjabin werden gefeiert. Am Eingang erhalten die Besucher eine Programmkarte – und darin erschöpft sich dann auch die Information für den Abend. Eigentlich schade, weil: Wo wird mehr gequatscht als bei einer Geburtstagsfeier? Stattdessen erlebt das Publikum, das die Tribüne fast vollständig füllt, eines der konservativsten Konzertformate überhaupt. In der Bühnenmitte ist ein Flügel in warmes Licht getaucht, zwei weitere Spielstationen rechts und links davon verweisen auf einen späteren Auftritt. Nahezu pünktlich betritt Christoph Maria Wagner die Bühne, verbeugt sich, wie es ihm die nachfolgenden Musiker gleichtun werden: stocksteif, schweigend und so kurz wie möglich. Das grenzt schon an Publikumstäuschung. Denn was die Virtuosen anschließend mit ihren Fingern anstellen, ist das krasse Gegenteil von Verkrampfung und Zurückhaltung.
Wagner eröffnet fulminant. Und hier gebührt der Technik ein besonderes Lob, die die Lautsprecher im Saal geradezu genial angeordnet hat. Das Klangerlebnis erinnert an die HiFi-Studios einer Elektronikmarkt-Kette in den 1980-er Jahren, die damals eingerichtet wurden, um potenziellen Käufern hochwertiger HiFi-Anlagen das richtige Klanggefühl zu vermitteln. Hier kann sich die Wirkung von Remix V (Scrjabin) (2014/15) für Klavier, Live-Elektronik und Loop-Zuspielungen in idealer Weise entfalten. Carter Williams, der dem Komponisten aus dem Off sekundiert, spielt Loops zu, wiederholt Phrasen wunderbar austariert. Ein musikalisches Erlebnis! Danach klingt die Sonate Nr. 10 von Skrjabin, die Wagner anschließend intoniert, geradezu brav.
Ebenfalls mit eigenen Arbeiten schließt sich Ralf Soiron an. Vertikale Exerzitien aus den Jahren 2020 bis 2022, Tetrachord (Quasi un monologo interiore. Zu Beethovens 250.) und Flyer (zu Skrjabins 150.) leitet er zur Sonate Nr. 7 von Skrjabin über. Im zweiten Abschnitt lässt es Stefan Thomas mit Nikolay Roslavets‘ Prelude aus dem Jahr 1915 und Arthur Vincent Louriés Formes en l’air eher ruhiger angehen, ehe er sein eigenes Werk Xenophonie 7 (Hommage à Scriabin) als Uraufführung präsentiert. Da sitzt er schon nicht mehr am Klavier, sondern lauscht vom eigenen Platz auf der Tribüne aus den Klängen, die zwischen den Lautsprechern hin und her schwingen. Nach der Irritation, vor der leeren Bühne zu sitzen, kann man sich allmählich auf Klavier, Glockenspiel und Orgel einlassen. So zumindest die Vermutung. Auch hier wären ein paar erklärende Worte sicher eine Bereicherung gewesen, aber wenn es dem Herrn gefällt, muss sich das Publikum allein auf die schönen Stereowirkungen der Musik verlassen.
Dorrit Bauerecker – Foto © O-Ton
Ebenso schweigsam nähert sich Dorrit Bauerecker dem Flügel. Nach Alexander Skrjabins 5 Préludes op. 74 verlässt sie das Klavier und begibt sich an ihre zweite Spielstation, die aus zwei Keyboards, einem Akkordeon und einer Melodica besteht. Oxana Omelchuk, eine ebenfalls in Köln lebende Komponistin, hat für diese Konstellation Gfätterle geschrieben, eine Folge von langgezogenen Klängen, die weniger durch ihre klangliche Qualität bestechen als in der Aufführung. Was Bauerecker hier „handwerklich“ zeigt, ruft Staunen hervor. Aber genau daran hat Bauerecker ja immer wieder Spaß. So wie auch an der dritten Spielstation, an der sie sich auf den Boden kniet. Denn Julia Wolfe hat East Broadway für Toy Piano und Boombox komponiert. Die Boombox sorgt für die optische Umsetzung der am Spielzeugklavier erzeugten Klänge. Erfahrungsgemäß hat das Publikum daran riesigen Spaß, und das ist auch heute Abend nicht anders.
Im dritten Teil des Abends wird es noch konventioneller. Pianistin Claudia Schott lässt 2 Poèmes op. 63, masque et étrangeté von Skrjabin erklingen, schließt von Tristan Murail Cloches d’Adieu et un Sourire an, schiebt die Poèmes op. 69 nach, ehe sie überraschend von Claude Debussy Feux d’Artifice zu Gehör bringt. Den Abschluss des Abends verklärt Martin von der Heydt noch einmal zum Genuss. Nach einem außerordentlich kultivierten Vers la Flamme von Skrjabin bringt er Yasuko Yamaguchis I Canti del Garbiano e il Silenzio della Laguna di Notte aus dem Jahr 2019 dem Publikum näher, ehe er mit der Sonate Nr. 8 von Alexander Skrjabin schließt.
Insgesamt ein großartiges Programm, an dem Skrjabin sicher auch seinen Spaß gehabt hätte. Warum ein solches Programm allerdings, ohne der Alten Feuerwache in Köln nahe treten zu wollen, nicht in der Kölner Philharmonie, der Düsseldorfer Tonhalle oder dem Düsseldorfer Robert-Schumann-Saal stattfindet, wirft Fragen auf. Gerade jetzt, nach Jahren der Enthaltsamkeit, wäre ein solches Programm der Gegenwart möglicherweise ein gutes Angebot für die Menschen, die nicht mehr so weitermachen wollen wie bisher. Und davon scheint es ja offenbar eine Menge zu geben, schaut man sich die aktuellen Besucherzahlen herkömmlicher Konzertbetriebe an.
Michael S. Zerban