O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Julia Franken

Aktuelle Aufführungen

Meinungsbildende Körpersprache

A UNIVERSAL OPINION
(Carla Jordão)

Besuch am
7. November 2021
(Premiere am 5. November 2021)

 

Tanzfaktur, Köln

Die Choreografin Carla Jordão wirft mit Sätzen um sich wie Karnevalisten Kamelle. Das erschwert den Zugang zu ihrem Werk, obwohl vermutlich genau das Gegenteil damit bezweckt werden soll. 2019 eröffnete sie mit dem Stück A universal weakness – eine allgemeine Schwäche – eine „Universal-Serie“. Sie sagt, die Stückserie befasse sich mit „Auswirkungen sozialer Machtsysteme auf menschliche Körper“. Was auch immer das heißen mag. A priori könnte man darunter verstehen, dass Regierungen damit, dass sie die Ärmsten der Bevölkerung nicht ausreichend alimentieren, dafür sorgen, dass deren Körper Schäden nehmen – weil sie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verhindern. Das dürfte kaum gemeint sein. Aber letztlich will sie ja auch ihre Auffassung nicht erklären, sondern im zeitgenössischen Tanz auf der Bühne zeigen. So auch mit ihrem neuen Stück A universal opinion – eine allgemeine Meinung. In dem will sie untersuchen, „ob und wie sich diese Körper aus kulturellen Schematisierungen von Haltungen und Bewegungen befreien können“. Das dürfte bei potenziellen Besuchern noch mehr Fragezeichen auslösen. Also „erklärt“ Jordão weiter, es sei notwendig eine Meinung zu haben und diese zu artikulieren. Und dann kommt es dicke: „Auch, wenn es dafür eine neue Sprache braucht, die sich nur über den Körper artikuliert“. Mit neuen Sprachen haben wir es gerade nicht so. Da fällt der Gang zur dritten Aufführung schwer.

Foto © Julia Franken

Die findet in der Werkshalle der Tanzfaktur in Köln statt. Vor der Tribüne ist die Technik aufgebaut. Auf der eigentlichen Bühnenfläche ist ein Laufsteg aufgestellt, an dem die Sitzplätze seitlich angeordnet sind. Am hinteren Ende des Laufstegs sind drei Tänzer zu sehen, einer steht vor den beiden anderen, die mit dem Rücken zum Publikum knien. „Das sind ja drei Männer! Dann gehe ich wieder“, ruft ein Besucher in den Saal. Er bleibt dann doch. In der Tat erwecken die drei Menschen zunächst den Eindruck, es handele sich um männliche Wesen. Das ist gewollt. „Meinungsstark widersetzt sich der Körper auf der Bühne männlich oder weiblich gelesenen Bewegungen, modischer Kleidung oder spätkapitalistischen Haltungsschäden. Einmal davon enthoben, artikuliert er sich neu und entwickelt eine neue, allumfassende Sprache“, erläutert Jordão ihren Ansatz. Die drei Personen tragen Anzughosen, Oberhemden, Krawatten, Socken und Straßenschuhe. Kenji Shihone steht vor den beiden anderen, vollführt schematische Handlungen. Durchaus nicht unfreundlich. Hier ein netter Blick, da eine Dankesgeste. Klang von Timm Roller setzt aus den Boxen im Hintergrund der Besucher ein. Allmählich nimmt die „Handlung“ Fahrt auf. Die Tänzer schälen sich „aus ihrer Haut“. Sie legen die Straßenkleidung ab, übrig bleiben Trikots, auf denen Muskulatur gedruckt ist. Damit können sie sich zur zunehmenden Dynamisierung der Musik weiter ausleben. Schließlich hat man den Eindruck, dass sich hier ausgelassene Pubertierende in einer Disko, nein, jetzt heißt es ja Club, ausleben. Und dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Die Besucher haben sichtlich Spaß daran. Was das allerdings mit einer „neuen, allumfassenden Sprache“ zu tun hat, erschließt sich nicht. Und die Verwirrung nimmt zu. Denn nachdem Jordan Gigout sich zunehmend langsamer über die Bühne bewegt, beginnt Céline Bellut, die Tänzerin im Bunde, zu sprechen. Ist sie die allgemeine Meinung, die in unglaublicher Sprechgeschwindigkeit Allgemeinheiten auf Französisch und „Botschaften“ auf Englisch formuliert? 20 Minuten lang? Die künstlerische Leistung allein dieses Monologs ist gewiss, das Publikum amüsiert sich prächtig und hoffentlich ist das dokumentiert. Denn diesen Monolog wird man in hundert Jahren noch anhören – aber nein, bis dahin ist ja die Welt untergegangen, wie die Klima-Aktivisten längst wissen.

Ebenso aberwitzig wie Belluts Vortrag ist der Umstand, dass die Tänzer nach ihrem Ausbruch in die „neue Sprache“ wieder in die alte Haut, sprich die „Bürobekleidung“ zurückkehren. Auch das Licht von Dawid Liftinger beruhigt sich allmählich wieder. Damit fällt das Konzept mit seinen mächtigen wie unverständlichen Sätzen in sich zusammen. Manchmal braucht es kein neues Universum, es sei denn um der bewilligten Förderanträge zuliebe. Das Publikum hat viel zu staunen, erlebt eine ungewöhnliche Aufführung und applaudiert intensiv. Dieser Abend ist ein gutes Beispiel dafür, dass Choreografen sich in ihren Gedanken nicht so weit vom Publikum entfernen müssen, um eine originelle Choreografie zu präsentieren.

Michael S. Zerban