O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Daniel Swoboda

Aktuelle Aufführungen

Brücken zu Ruth

A TRIBUTE TO RUTH CRAWFORD … EIN FEST
(Diverse Komponisten)

Besuch am
1. November 2024
(Premiere)

 

Alte Feuerwache, Köln

Das Leben von Ruth Crawford bewegte sich zwischen Kunst- und Volks­musik. Sie lebte von 1901 bis 1953 und war eine der ersten Komponistinnen in Nordamerika. Musik war ihr Leben. Von den großen Konzertbühnen ist ihr kompositorisches Werk verschwunden, geistert als Geheimtipp aber seit Jahren durch die freien Szenen. Eine ehrgeizige Kooperation von E-Mex-Ensemble, Essen, und Oh-Ton-Ensemble, Oldenburg, stemmt vom 31. Oktober bis zum 3. November vier Konzerte an zwei Orten. Ein Programm mit viel Crawford und noch mehr Crawford-Kontext.

Köln, Anfang November – Der Saal füllt sich. Letzte freie Plätze werden belegt. Und immer noch strömt es. Junge, Ältere. Gar nicht mal die szenetypischen Gesichter, die, die man so kennt. Letztere glänzen eher durch Abwesenheit. Was umso verwunderlicher ist, als hier doch tatsäch­lich eine Identifikationsfigur unserer hiesigen Komponistinnen angekündigt wird. Statt­dessen kommen andere. Es ist ein neugieriges Publikum, das sich an diesem feiertäglichen Niesel­wetterabend ins Umfeld und aufs Gelände der, nebenbei bemerkt, skandalös schummrig ausgeleuchteten Alten Feuerwache, begeben hat. Irgendein Versprechen liegt in der Luft. Und da es munter weiterströmt, reagiert die Organisation, indem sie eine zusätzliche Stuhlreihe stellt. Das dauert also noch. Zeit, einen Blick ins umfangreiche Programmheft zu werfen.

Blickfang eine historische Fotografie. Eine Frau steht an einem Strand. Sie hat eine weit­geschnittene Arbeitshose an, was, wie ihr kurzer Haarschnitt, etwas Männliches vermittelt. Das nächste, was man sieht, ist dieses spektakuläre Detail. In beiden Händen hält sie eine Axt, ein Werkzeug, wie es fürs Spalten von Holz, Fällen von Bäumen, benutzt wird. Und ja, vor der Frau liegt auch ein Stück Baum­stamm. Schwemmgut, das der Ozean freigegeben hat. Und dann ist da noch einer. Ein nun wirklich baumlanger Kerl, der die Linke ausstreckt, so, als wolle er die Frau mit dem furcht­erregenden Hauwerkzeug, einem imaginären Publikum ankündigen. Eine seltsame Szene. Sicher, denkt man sich, irgendeine dieser Kunst-Performances, wie man sie sich vor neunzig, einhundert Jahren in Amerika ausgedacht hat. Und als man noch nach der zugehör­igen Bildbeschreibung fahndet, hebt die Dame, ganz hinten im Heft, tatsächlich ihre Axt über den Kopf, holt Schwung – doch bevor das Eisen, krachend, auf das vor ihr liegende Holz rauscht, geht das Licht aus und das Konzert hebt an.

Die Bühne im Großen Saal der Alten Feuerwache ist dreigeteilt. Links und rechts ein Flügel, in der Mitte Stühle, Pulte für ein kleines Orchester. Los geht es links. Eine der beiden Pianisten des Abends, Claudia Schott, hat vor dem Instrument Platz genommen. Ein kurzer Blick aufs Programm verrät: Erst Skrjabin, dann Crawford. Mehr ist nicht zu erhaschen im Dunkel. Was dann passiert, ist keine kleine Überraschung. Da sind zunächst die verzauberten Fis-Dur-Schleier des ersten von Skrjabins Deux Poèmes. Blick in eine Welt, die die Terz nicht mehr kennen will, die alte Dame Tonika-Dominante in den Ruhestand verabschiedet hat. Klar, dass man die Vertreter, die Anhänger solcher Kunstrichtung als Futuristen oder Skrjabinisten bezeichnet hat. Die Wirkung ungebrochen. Gern lässt man sich forttragen und findet sich wieder, obwohl es weiter nach dem russischen Musik-Propheten klingt, bei Crawford. So viel wird klar: Auch sie ist, war Skrjabinist. Kennengelernt, verrät das Programmheft, hat sie den über ihre Klavierlehrerin Djane Lavoie-Herz. Von ihr, weiß der Konzertbegleiter, hatte sie beides, die klug gesetzten Dissonanzen, die rhythmischen Unregelmäßigkeiten wie das Spirituelle, das Theosophische.

Foto © Daniel Swoboda

Die Probe darauf macht der nächste Programmpunkt, die Sonata for Violin and Piano. Auftritt Kalina Kolarova und Martin von der Heydt, die Violinistin und der Pianist des E-Mex-Ensembles. Wieder die suchenden Linien, das auskomponiert Intuitive, die Sprünge von tiefen, bratschenartig klingenden Lagen in verbissene Höhen. Dabei vermitteln vier Sätze das Gefühl, als hätte Crawford ihren Skrjabin im Klassischen beheimaten wollen. Auch das ein starker Eindruck.

Was folgt, ist ein Mittelteil, der ins Umfeld von Crawford führt. Wir begegnen der Danza lenta für Violine, Klavier. Eine charmante Miniatur von Crawford-Ehemann Charles Seeger. Und wir hören den Crawford-Zeitgenossen Henry Cowell. Von der Heydt trägt Rhythmicana vor, ein Exkurs des Komponisten in die kombinatorische Polyrhythmik. Davor schwenkt die Konzert­drama­turgie auf die rechte Seite. Ein großartiges Bild, wie da, im völligen Dunkel, das Innere des Flügels angeleuchtet wird und Schott mit wischenden, fegenden Händen demonstriert, dass das Spiel im Klavier tatsächlich eine amerikanische Erfindung gewesen ist. The Banshee heißt das Cowell-Stück. Ebenso latent-theosophisch wie ein kurzes Stück für Flöte, Klavier, Violoncello eines Komponisten, den niemand kennt: Dane Rudhyar. Ganz zu schweigen von Leo Ornstein, dessen Wild Men’s Dance für Klavier den Mittelteil einleitet und womit die Crawford-Axt tatsächlich in den Großen Saal der Alten Feuerwache fährt. So was hat man noch nicht gehört! Martin von der Heydt lässt den Hammer schwingen. Es kracht und splittert. Bruitismus pur. Der geniale Holzhacker, der sich das ausgedacht hat, Leo Ornstein, soll angeblich 109 geworden sein.

Dann die Höhepunkte. Eine gemischte Besetzung aus E-Mex und Oh Ton formieren sich zur Uraufführung des Abends, zu Bridges to Ruth, Brücken zu Ruth. Ein Septett voller Intelli­genz wie voller Anspielungen auf Werke von Crawford, wie Komponistin Karola Obermüller in ihren program lines wissen lässt. Was zu hören, was zu sehen ist, sind die Bögen der Streicher, wenn sie, zu leisen Schlägen der Bläser, des Klaviers, auf die Saiten niedergehen. Auch hier also, übersetzt in einen Ensemblesatz, die Crawford-Geste vom Strand. Etwas auslösen. Und zugleich das Geheimnis wahren. Wie in Music for Small Orchestra, einer Ensemble-Komposition, zu der sich E-Mex und Oh Ton, die die insgesamt vier Konzerte umfassende Crawford-Hommage gestemmt haben, in großer Besetzung zusammenfinden. Die Bühne jetzt gut angefüllt. Noch einmal tritt das Publikum in Crawfords Zaubergarten mit all seinen Farben. Wieder, wie in der Violin-Sonate, die markant-dunklen Register. Wieder das Schlagen von etwas auf etwas anderem. Crawford mischt Pizzikati der Streicher, Staccato des Klaviers mit einem aparten Bläsersatz und behält doch, bei allem Schweifen, die Disziplin im Auge. Christoph Maria Wagner am Pult, selbst eine crawfordische Mischung aus dance and discipline, hält die Fäden zusammen. Und alle ziehen mit. Auch das Publikum, das den hochintelligenten Konzertabend von großem Unterhaltungswert mit nicht enden wollendem Beifall bedenkt. – Zumindest das Oldenburger Schlusskonzert dieser qualitativ hochstehenden Crawford-Hommage, soll von hier aus nachdrücklich empfohlen sein.

Georg Beck