O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Rathmann

Aktuelle Aufführungen

Barocke Lustbarkeiten

LA FOLLIA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
19. September 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Festival Alte Musik, Kloster Knechtsteden

Bereits zum 29. Mal können die Gastgeber der Spiritaner ihre Gäste zum erlesenen Programm des Festivals Alte Musik in der Klosteranlage Knechtsteden zwischen Düsseldorf und Köln begrüßen, und wieder einmal freut sich ein treues und musikalisch anspruchsvolles Publikum auf ein ebenso anspruchsvolles Programm. Unter dem Generaltitel La Follia treffen sich Dmitry Sinkovsy, Violine und Gesang, Marco Testorio, Barockcello, Florian Bissak, Cello, und die überragende Dorothee Oberlinger, Blockflöte, um den Zuhörern mit Werken von Falconieri, Corelli und Händel bis zu Bach und Vivaldi die Lebens- und Musizierlust des Barocks zu präsentieren. Dabei erweist sich die 1130 dem Prämonstratenser-Orden – heute: Spiritaner – gestiftete und zwischen 1138 und 1181 erbaute wuchtige romanische Stiftskirche als bestens geeigneter Raum für eine Musik, in der sich christlicher Gottesglaube und Lebensfrohsinn treffen. Der in Prémontré, Frankreich, entstandene Orden orientiert sich in seinen klösterlichen Regeln an den Grundsätzen des Augustinus und macht die Seelsorge zu einer seiner Hauptaufgaben.

Auch wenn die knapp 100 Besucher sich in dem riesigen Kirchenschiff fast verlieren, ist der Kontakt zu den Musikern ist schnell gefunden, und Oberlinger und Sinkovsky stimmen die Zuhörer mit den Folias von Andrea Falconieri  auf einen Abend der Follias, der Lustbarkeiten, Verrücktheiten, des hellen Wahnsinns, des rauschhaften Lebens und barock-musikalischer Kostbarkeiten ein. Violine und Flöte wechseln sich ab in langen, melodiereichen Bögen, denen die Flöte tanzende, getupfte Tonfolgen folgen lässt. Schnell wird dem Zuhörer klar, dass es sich hier um das Instrument einer Musikkünstlerin handelt, das mit der Hirtenflöte nicht mehr viel Gemeinsames hat.  Sinkovsky überrascht mit einem weichen, genauen Countertenor, zeigt sich aber ebenso auf seiner Geige absolut souverän.

In Corellis Sonate in F-Dur treten mehr rhythmische Elemente in den Vordergrund, wieder beeindruckt bei schnellen Läufen Oberlingers Flötenspiel durch Präzision und Melodie. An das Publikum gewandt, versichert Oberlinger: „Wir brauchen das Publikum, Sie.“ Ob bei Telemanns Triosonate oder Händels Cantata, selbst die Zuschauer, die nahe bei den Musikern sitzen, haben Mühe, den rasenden Fingerbewegungen von Oberlinger zu folgen, Florian Birsak glänzt mit einer Follia von Carl Philipp Emanuel Bach, der Cembalo-Klang verliert sich aber ein wenig in den hohen Gewölben des Domes. Mit Vivaldis lebhaftem Sol da te, mio dolce amore und der Follia g-Moll für Blockflöte, Violine und Countertenor zeigen die Musiker noch einmal in wunderschönem Zusammenspiel ihre Duettqualitäten, bevor sie sich mit gleich zwei „verrückten“ Zugaben dann doch verabschieden – klassische Barockmusik als Lustbarkeit. Ein begeistertes Publikum kann sich nur langsam aus dieser fröhlichen Grundstimmung lösen und langsam den Weg zurück in eine andere Zeit und ein grelleres Licht finden.

Mit diesem Programm hat das Festival dem Zentrum der damaligen Musikwelt Venedigs einen Besuch abgestattet, der dank digitaler Techniken und der Unterstützung durch den Deutschlandfunk noch für viele weitere Musikliebhaber erreichbar ist und bleibt.

Horst Dichanz