O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Wopper, Chromix und Konsorten

LICHT AN! 2019
(Christof Schläger et al.)

Besuch am
3. August 2019
(Ein Sommerabend)

 

Kunstwald Teutoburgia

Teutoburgia im Stadtteil Herne-Börnig gehört mit Sicherheit zu den schönsten ehemaligen Zechensiedlungen des Ruhrgebiets. Wenn man in die Baarestraße einbiegt, kann man sich des Gefühls kaum erwehren, in die einstmals „heile Welt“ der Bergleute zurückzukehren. Die Bürgersteige sind blitzblank geputzt, die Rasenflächen ordentlich gestutzt. Die Häuser erinnern an ein Freilichtmuseum. Am Ende der Straße beginnt der Kunstwald Teutoburgia. Auf dem früheren Zechengelände sind der Förderturm und die Maschinenhalle stehengeblieben. Aus dem Förderturm wurde ein Lichtkunstobjekt, die Maschinenhalle, heute Klangraum T, wird vom Klangkünstler Christof Schläger als Arbeitsraum genutzt. Verschiedene Kunstwerke ergänzen das inzwischen als Park- und Waldgelände umgewidmete Areal. Wichtig war den Entscheidern bei der Entstehung, dass hier nicht einfach ein Skulpturenpark entsteht, sondern eine Kunstfläche, die einen Bezug zur Vergangenheit hat. Und das darf man inzwischen als gelungen betrachten, wenn da vielleicht auch ein wenig Restauration Einzug gehalten hat.

Einmal im Jahr veranstaltet der Förderverein des Kunstwaldes die Aktion Licht an! Dann wird der Park im vorderen Teil illuminiert und in der Maschinenhalle finden Konzerte statt. Was dem einzelnen wichtiger ist, muss er selbst entscheiden. Denn mit der Beleuchtung der Bäume und Sträucher, die Wolfgang Flammerfeld und sein Team mehr als eindrucksvoll einrichten, geht auch eine Beschallung einher. DJ Noe präsentiert einer Minderheit des Publikums Lounge Music. Viel aufregender als die Töne von der Festplatte sind allerdings die Konzerte, die Christof Schläger und Michael Niesmann im Klangraum T ausrichten. Mit einer Maschinenhalle im herkömmlichen Sinne hat das Gebäude inzwischen nur noch reichlich wenig gemein. Wohin das Auge reicht, sind Maschinen-Instrumente aufgebaut. Überdimensionale Schalltrichter wechseln sich mit großen Bögen oder Röhrensammlungen ab. Über den Boden schlängeln Leitungen, die Luft oder Elektrizität führen. Anlässlich dieses Abends ist auch die Halle farbenfroh ausgeleuchtet. In der Hallenmitte bis zum Ausgang sind nicht etwa langweilige Einheitsstühle aneinandergereiht, sondern alle möglichen fantasievollen Sitzgelegenheiten vom Sofa über die Matratze auf dem Boden, die Bierbank bis zu Sesseln und Designer-Plastikfauteuils aufgestellt. Hinter ein paar Stuhlreihen finden sich Sitzgruppen mit ausgefallenen Tischen. Nichts anderes, möchte man meinen, könnte in diesem Industrie-Denkmal Platz finden – oder zum Publikum passen, das überwiegend aus der Nachbarschaft kommt und sich hier gleich wie zuhause fühlt.

Michael Niesemann – Foto © O-Ton

Für den heutigen Abend hat Klangkünstler Schläger nicht nur selbstgebaute Instrumente wie Oktopussi, Quart, Wopper, Kulong, Chromix, Typedrum und M-Pipes im Saal verteilt, sondern auch prominente Unterstützung eingeladen. Oboist Michael Niesemann war Mitbegründer des Barockensembles Concerto Köln. Sein Repertoire reicht von der Alten bis zur Neuen Musik bis hin zu Jazz und Avantgarde. Während er seinen Studenten an der Folkwang-Universität der Künste in Essen die Oboe näherbringt, spielt er selbst inzwischen viel lieber das Saxofon. Und vor allem – davon werden sich die Besucher heute überzeugen können – ist er ein Meister der Improvisation. Unter dem Titel Klangraum-Odyssee präsentieren die beiden Künstler drei Konzerte von etwa jeweils 20 Minuten Länge.

Zwischen den Konzerten gibt es jeweils eine Pause von 40 Minuten. Genau die richtige Länge, um im Park zu lustwandeln und die in der zunehmenden Dunkelheit immer eindrucksvollere Baumbeleuchtung zu genießen. Oder auf dem Vorhof der Maschinenhalle bei Speis und Trank in das weltferne Idyll einzutauchen.

Abtauchen kann man auch in die Musik, die Schläger und Niesemann zur Uraufführung bringen. Im ersten Konzert, das die Titel Makki, Buzzer Improvisation, Chromix Desperate und Wopper Brasiliero umfasst, die ohne Unterbrechung aneinandergefügt werden, steht noch das Staunen über die ungewöhnlichen Klangerlebnisse im Vordergrund. Aber schon nach wenigen Minuten gelingt die Konzentration auf die Musik. Während Schläger sich mit seinen Instrumenten noch sehr auf die Rhythmik und Einzeleffekte konzentriert, wechselt Niesemann immer wieder die Perspektiven. Mal taucht er in den Strom der Maschinen ein, dann stellt er sich ihnen entgegen oder sieht sich als komplementärer Part. Besonders eindrucksvoll sind die melodischen Passagen, die zeigen, dass die Musik durchaus breitentauglich sein kann. Mit dem Chromix, bei dem Metallbleche von Magneten in Schwingungen versetzt werden, gelingen vor allem in den Piano-Phrasen großartige Impressionen. Wenn beim Wopper Luft durch die speziell angefertigten Röhren strömt, gelingen Zukunft versprechende Klänge. Die Begeisterung nach dem ersten Durchgang ist groß und ehrlich. Das Konzept der Kombination von Maschinen-Instrumenten und Saxofon funktioniert, wenn auch möglicherweise abhängig von der Virtuosität Niesemanns.

Christof Schläger – Foto © O-Ton

Auch das zweite Konzert eröffnet Schläger mit ein paar Worten, die die Odyssee emotional und inhaltlich vorantreiben. Und man weiß nicht so recht, über was man mehr staunen darf: über die Gelassenheit der beiden Musiker, die hier gerade etwas völlig Neues ausprobieren, oder über die Klänge, die sie produzieren. Wobei die Entscheidung im zweiten Konzert da leicht fällt, denn im Dialog von Oktopussi und Saxofon fällt die Maschine noch deutlich hinter die Erwartungen zurück. Allerdings ist das Publikum so fasziniert von den Eigenbewegungen der luftzuführenden Schläuche, dass der musikalische Aspekt in den Hintergrund tritt. In der Zugabe wird Schläger das Gerät noch einmal zu Höchstleistungen treiben.

Zuvor aber steht noch das dritte Konzert an. Immer noch ist die Halle gut besucht. Und schon an dieser Stelle können sich die Musiker gratulieren. Zwei Mal hat das Publikum Gelegenheit gehabt, mit den Füßen abzustimmen. Und zwei Mal ist es in dem Klangraum T zurückgekehrt. Dafür wird es belohnt. Die dramaturgische Steigerung funktioniert. Schläger legt bei seinen Maschinen noch einmal einiges drauf, und Niesemanns Fantasie feiert weiter Höhenflüge. Am Ende des Abends sind alle glücklich. Das Experiment war erfolgreich. Das Publikum hat eine ganz neue Art der Musik gehört, die ihm einen emotionalen wie klanglichen Zugang vermitteln konnte. Und das in einem Umfeld, das der Welt enthoben und in einem Zauberwald versunken scheint. Schöner kann es kaum laufen.

Dass bei dieser Art der Musik noch viel Potenzial vorhanden ist, sollte die Musiker ermutigen, den Weg weiterzugehen und möglicherweise sogar über den Einsatz von Stimmen nachzudenken. Das Publikum würde, so ist auf dem Heimweg zu hören, gewiss zustimmen.

Michael S. Zerban