O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Oliver Vogel

Aktuelle Aufführungen

Der reumütige Prolet

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)

Besuch am
22. Juli 2022
(Premiere am 1. Juli 2022)

 

Opernfestspiele Heidenheim, Schlossruine Hellenstein

Mit einem gewaltigen Kraftakt nimmt Marcus Bosch die von ihm vor dreizehn Jahren frisch belebten Opernfestspiele seiner Heimatstadt Heidenheim in vollem Umfang wieder auf. Mit Richard Wagners Tannhäuser steht im Rittersaal der malerischen Schlossruine Hellenthal ein besonders heikel zu besetzendes und auch zu inszenierendes Werk auf dem Programm. Was Chor und Orchester angeht, kann sich Bosch, der ehemalige GMD von Aachen und Nürnberg, auch diesmal voll auf die Stuttgarter Philharmoniker und den Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn verlassen. Sowohl was Klangschönheit als auch Präzision im Detail angeht, auch wenn durch die fehlende Überdachung Abstriche am Klangvolumen hinzunehmen sind. Was allerdings die Solisten nicht stören dürfte, die sich problemlos gegen das Orchester durchsetzen können. Bosch selbst spart mit durchweg getragenen Tempi nicht an bisweilen pathetischem Nachdruck, so dass er musikalisch, besonders deutlich im kompositorisch und dramaturgisch geschlossensten dritten Akt, dem Werk die Ernsthaftigkeit bewahren kann, die die Regie zuvor, vor allem im völlig missratenen ersten Akt leichtfertig verspielt.

Der Tannhäuser ist nicht nur Wagners eigenes Schmerzenskind bis zu seinem Tod geblieben, das ihn trotz mehrerer Umarbeitungen nicht zufriedenstellen konnte. Auch die Regisseure der Neuzeit tun sich damit schwer. Vor allem mit der religiös ausgerichteten Thematik. Ist aber Wagners Kritik an der Bigotterie einer sich christlich nennenden, aber letztlich gnadenlos richtenden Gesellschaft und Amtskirche heute so aus der Zeit gefallen, dass man das Werk zur Karikatur entstellen muss? Eine selbstzufriedene Gesellschaft, angeführt von einem Papst, der einen sexuell freizügigen Sünder härter ächtet als Herden von Gewaltverbrechern und ihm die für Wagner elementaren Aufgaben des Christentums, Vergebung und Mitleid, verwehrt: Lassen sich darin wirklich keine aktuellen Anknüpfungspunkte finden?

Offensichtlich ist die Bedeutung der Religion und der Kirche im öffentlichen Bewusstsein so tief gesunken, dass man sie dem Publikum auch auf der Opernbühne nicht mehr zumuten kann oder will. Was aber tun mit einem Werk, in dem die Gnadenlosigkeit der Kirche und einer gottesfürchtigen Rittergesellschaft von der Musik überstimmt wird, wenn Wagner auf die Bedeutung des Mitleids als wichtigste Funktion des menschlichen Zusammenlebens hinweist? Eine Bedeutung, die im Parsifal zum welterlösenden Prinzip erhoben wird.

Wie Tobias Kratzer im Bayreuther Tannhäuser kann auch Georg Schmiedleitner in Heidenheim mit dieser Problematik nichts anfangen, nimmt sie nicht einmal ernst, so dass eine Tannhäuser-Rezeption zu vernehmen ist, die das Werk nur noch als Karikatur akzeptieren kann. Überschwemmten in der Vergangenheit eine Zeitlang Ritterscharen mit Hakenkreuzen die Tannhäuser-Bühne, so darf neuerdings herzhaft gelacht werden in einem Stück, das so amüsant ist wie die Matthäus-Passion.

Foto © Oliver Vogel

Schmiedleitner sieht den Titelhelden durchaus zutreffend als Rebell gegen erstarrte Moralvorstellungen. Leider hält er sich nicht an seine eigenen Vorgaben und präsentiert ihn nicht als demaskierenden Rebellen, sondern als asozialen Proleten, der Frauen belästigt, die Wand des Rittersaals anpinkelt und allerlei alberne Mätzchen mehr anstellt. Dass dieser Proll plötzlich in tiefster Demut nach Rom gepilgert sein und Wert auf die Begnadigung durch den Papst legen sollte, ist in diesem Umfeld völlig unglaubwürdig. Zumal die Pilger noch im ersten Akt mit Einkaufswagen in ein Einkaufszentrum wandern. Dafür müssen sie doch nicht nach Rom und vom Papst entsündigt werden.

Der Venusberg ist hier kein Ort sexueller Freizügigkeit, sondern ein Puff der untersten Kategorie, bei dem bärtige Transen nicht fehlen dürfen. Von einem erfahrenen Schauspielregisseur hätte man schon eine handwerklich gediegenere Darstellung von Beischlafszenen in allen Stellungen erwarten können als unbeholfene gymnastische Übungen der Statisterie. Entsprechend dürftig fällt auch das als Absteige notdürftig ausgestattete Bühnenbild von Stefan Brandmayr aus. Selbst Schmiedleitner muss allerdings im dritten Akt einsehen, dass es sowohl Wagner als auch Elisabeth, Wolfram von Eschenbach und erst recht Tannhäuser ernstlich um das Seelenheil geht und kein Platz mehr für szenischen Kinkerlitz bleibt. Der dritte Akt fällt damit nahezu isoliert ohne Bezug zu den ersten Akten aus dem Rahmen der verunglückten Inszenierung.

Gesanglich kann die Aufführung durchaus überzeugen. Bosch ist so gut vernetzt und erfahren, dass er selbst für dieses extrem schwierige Werk eine gute Besetzung zusammenstellen konnte. Überragend Leah Gordon als Elisabeth mit einem großen, leuchtenden und manchen Kollegen an die Wand drückenden Sopran. Eine glänzende Talentprobe zeigt die junge Heidi Baumgartner als Hirte mit ihrer klaren, gesunden und makellos geführten Sopranstimme. Kultiviert singt Birger Radde den Wolfram von Eschenbach. Und auch die kleineren Partien sind durchweg angemessen besetzt.

Die Titelrolle teilen sich Corby Welch und James Kee. In der besuchten Aufführung steht Kee die Partie konditionsstark durch. Dass sein Tenor wiederholt ins Tremolieren gerät, sollte er als Warnzeichen ernst nehmen.

Neben dem Tannhäuser setzt Marcus Bosch im Festspielhaus seine Reihe sämtlicher Verdi-Opern mit dessen Due Foscari fort. Im nächsten Jahr stehen gleich zwei Opern Verdis an, der Don Carlo in der Schlossruine und Giovanna D‘Arco im Festspielhaus.

Pedro Obiera