Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen
GIOVANNA D’ARCO
(Giuseppe Verdi)
Besuch am
20. Juli 2023
(Premiere)
Heidenheim an der Brenz im Juli: Eine quirlige Kleinstadt mit der alles überragenden Festung Hellenstein ist im Opernfieber. Seit nunmehr vierzehn Jahren leitet Marcus Bosch die Opernfestspiele Heidenheim und ist Garant für hohe Qualität im Süden Deutschlands an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern. Mit zwei fantastischen Aufführungsorten kann die Stadt bei jedem Wetter Umwerfendes bieten: ein Festspielhaus, in dem man über eine phänomenale Akustik staunt, und eine Freilichtbühne, die Ruine des ehemaligen Rittersaales, der akustisch ebenfalls ohne jede Verstärkung auskommt.
So kommen hier in den letzten Jahren vorwiegend romantische Opern zur Aufführung, seit 2016 zudem die frühen Werke Verdis in chronologischer Reihenfolge, sodass kostbare, eher seltener gespielte Preziosen des Opernrepertoires zu hören sind. In diesem Jahr ist das unter dem Motto „Heldinnen“ die Oper Giovanna d’Arco, Verdis Fassung von Schillers Jungfrau von Orléans, die Geschichte der Jeanne d’Arc Frankreichs. Nach dem großen Erfolg von Nabucco lieferte Verdi wieder eine Oper, in der dem Chor eine herausragende Rolle zukommt, und schon im düster gehaltenen Eingangschor ahnt man, dass das Geschehen auf der Bühne nicht gut ausgehen kann.

Foto © Oliver Vogel
Bereits bei der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang auf die mehr als seltsame Inszenierung von Ulrich Proschka: Giovanna d’Arco fristet ihr Dasein in einem Krankenzimmer einer Psychiatrie, durch bläulich strahlende Lichtsäulen an den Ecken gegen den Rest der Bühne abgegrenzt. Giovanna hat Halluzinationen, das Geschehen um England und Frankreich, die Rettung der Nation spielt sich in ihrem Kopf ab und sie irrt in ihrem Zimmer umher. Grobe Krankenschwestern fangen sie ein und verpassen ihr die obligatorische Beruhigungsspritze. Dämonen-und Engelschöre nehmen aus dem nackten Raum um ihr Zimmer herum Einfluss auf sie, König Carlo VII. erscheint ihr schon, und es wird klar, dass sie Macht über ihn besitzt. Das Krankenhauspersonal reagiert mit Stromstößen auf die imaginierten Vorkommnisse, Giovanna windet sich unter der Elektroschocktherapie.
Dieses Zimmer bildet den Mittelpunkt der gesamten Inszenierung und ändert sich nicht. Ob Wald, ob Grotte: kalte Krankenhausatmosphäre, die sich nur später durch den Wechsel der Lichtröhren von blau zu orange wandelt, als der Chor enthusiastisch die Jungfrau von Orléans vor der Krönung von Carl VII. feiert. Der Wald ist nur in Giovannas Traum vorhanden, dafür rennt sie mit Kleiderbügel und Topfdeckel herum, wenn an ihr nicht gerade ein Exorzismus vorgenommen wird, in den der Priester auch König Carl VII. einbezieht. Wenn sie singen, stehen die Protagonisten meist an der Rampe, gefangen in ihren jeweiligen Bereichen. Am Ende übernimmt Vater Giacomo Giovannas Rolle der Halluzinierenden und wird mit Elektroschocks behandelt.

Foto © Oliver Vogel
Giovanna, Primadonna des Werkes, geistert im weißen Klinikkleidchen und Birkenstock-Schuhen über die Bühne und verlässt nur zum Schluss, als sie in die Schlacht zieht und dort ihren Tod findet, ihr Krankenzimmer, dessen begrenzende Stäbe wieder die blaue Farbe angenommen haben. Das Lichtdesign liegt bei Hartmut Litzinger. Der Chor und Carlo sind in historische Gewänder mit Masken gekleidet und stehen so im Gegensatz zur klinischen Atmosphäre. Giacomo tritt in Alltagskleidung auf, das Klinikpersonal natürlich in Weiß, Ausstatterin ist Lena Scheerer. Am Ende, als Giovannas Leiche auf dem Krankenbett liegt und ihre Seele gen Himmel fliegt, schweben die Stäbe sehr symbolisch nach oben und öffnen endlich den Raum für sie.
Durchweg gute Sängerdarsteller tragen das Geschehen, allen voran Primadonna Sophie Gordeladze, die laut Libretto zwischen Heiliger und Hure changieren sollte und es hier etwas schwer hat, im Kliniknachthemd ihre Liebe zu Carlo offen zu legen. Dennoch: Mit ihrem durchsetzungsfähigen, hellen und bestens fokussierten Sopran singt sie eine glaubhafte Heldin in Verdis Oper, und ihre Figur gewinnt im Laufe der Premiere an Tiefe und Überzeugungskraft. Héctor Sandoval zeigt bis zur Pause einen etwas kehligen Tenor, der manchmal neben der Ausstrahlung der Sopranistin Probleme hat rüberzukommen. Nach der Pause klingt er viel strahlender, runder, farbiger und überzeugt auch durch eine intensivere Darstellung. Luca Grassis mächtiger Bariton passt gut zu der Rolle des eifernden Vaters, der seine Autorität über die Tochter stellt, und lässt vor allem in den Ensembles leisere Töne hören. Die Nebenrollen sind mit Martin Piskorksi und Rory Dunne gut besetzt.
Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn unter der Leitung von Petr Fiala hat einen sehr großen Anteil am Gelingen des Abends. Die Chöre werden sauber, differenziert und mit großem Engagement abgeliefert, sie bereichern das Bühnengeschehen außerordentlich, ein Klangkörper, der eine große Intensität auf die Bühne bringt.
Marcus Bosch zaubert mit der Cappella Aquileia einen durchsichtigen, doch immer wieder auftrumpfenden Verdiklang, der sich in der hervorragenden Akustik des Festspielhauses transparent verbreitet. Die Sänger werden nie zugedeckt, immer gilt ihnen die volle Aufmerksamkeit, immer werden sie unterstützt. Man merkt Bosch seine Verbundenheit mit Heidenheim, sein Herzblut an, das in die Musik miteinfließt.
Das Publikum feiert denn auch alle Mitwirkenden mit stehenden Ovationen lang und ausführlich, nur der Regisseur muss sich, als er die Bühne betritt, einigen Buhrufen stellen.
Jutta Schwegler