O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christian Enger

Aktuelle Aufführungen

Oper. Ohne. Alles.

OPERA CONCISA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
1. Februar 2019
(Premiere)

 

Forum der HFMT, Hamburg

Keine Kostüme, kein Bühnenbild außer einem Tisch mit zwei Stühlen, nur eine Videokamera mit Projektionsmöglichkeit auf die Rückseite der begrenzten Bühne, sowie Videoclips und einen Mann am Klavier: Siegfried Schwab. Kann das Oper sein? Kann schon, wenn man kann …

Basierend auf dem Konzept und unter der Anleitung von Jochen Biganzoli, einem erfahrenen Regisseur an großen und größten Bühnen haben zwölf junge Sänger und Sängerinnen Szenen aus bekannten und nicht so bekannten Opern erarbeitet. Das müssen sie in ihrer Opernklasse ohnehin machen, warum sollte man also in einem so spartanischen Ambiente dabei zuschauen, statt vielmehr die nächste szenische Vollproduktion der Musikhochschule abzuwarten?

Die Antwort wird sehr schnell sehr klar: Weil es den ausführenden jungen Künstlern in dem spartanischen setting überzeugend gelingt, den Kern der sonst so üppigen, aufwändigen und mitunter hybriden Opernkunst offenzulegen: den Gesang mit allen seinen Ausdruckvarianten sowie Beherrschung und Spiel mit dem eigenen Körper.

Alle zwölf Protagonisten stellen sich während des Abends auf selbst gefertigten Videoclips vor: Sie sprechen über ihre Notwendigkeit, sich über Gesang und die Oper menschlich und künstlerisch ausdrücken zu wollen oder zu müssen. Und in den nachfolgenden Szenen machen sie dann klar, was das heißt und wie das schon heute auch auf das Publikum wirkt.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Immer wieder Mozart haben sich die jungen Künstler und Künstlerinnen zum Vortrag ausgewählt. Hayoung Ra stellt die Pamina-Arie Ach, ich fühl‘s … aus der Zauberflöte vor und das gleich zweimal. In einer ersten Umsetzung singt sie ihre Klage noch in Anwesenheit eines zweifellos kalten und abweisenden Tamino, der keinerlei Zuneigung zu erkennen gibt. Der Einblick in die große Traurigkeit ihrer verlassenen Seele vermag man sich nach dem Vortrag ihres ergreifenden Gesangs und zurückhaltenden Stils intensiver nicht vorzustellen. Doch dann lässt Biganzoli die Arie von derselben Sängerin wiederholen. Diesmal ist Tamino nicht auf der Bühne, stattdessen sucht die Sängerin einigen Zuspruch in einer mitteblauen Gin-Flasche und hinter einer tiefschwarzen, übergroßen Sonnerbrille, die angesichts des intensiven Spiels ihr Gesicht wie zu einer Maske gerinnen lässt. War das wirklich dieselbe Sängerin? Wie kann ihr Vertrag so unterschiedlich wirken? Was hatte sie wirklich anders gemacht? Hatte sie anders gesungen?

Dem Zuschauer drängt sich – wie wiederholt an diesem Abend – die Frage auf, wie diese intensiven psychologischen Szenenwechsel wohl auf die Darsteller selbst wirken mögen – wie empfinden sie die unterschiedlichen Szenarien? Das außerordentlich hohe gesangliche Vortragsniveau bleibt jedenfalls in allen Fällen erhalten.

Gleich dreimal wirft sich dann Melina Meschkat in die Dorabella-Arie Smanie Implacabili aus Mozarts Così fan tutte. In der ersten Fassung stolziert sie noch mit stolz-empörtem Ausdruck anklagend  durchs Publikum, beim zweiten Mal gelingt ihr trotz des Furors ein Vortrag eher in sich gekehrter, stiller Verzweiflung, beim dritten Mal muss sie den Vortag unter Tränen abbrechen und verlässt die Bühne vor dem Ende des Stücks. Zwischen den Auftritten läuft die Tonspur rückwärts und auch ihr Spiel läuft im Zeitraffer wieder zurück bis zum neuen Auftakt.

Ein weiteres Beispiel ihres Könnens bietet Meschkat als Carmen bei ihrer eigenen Todverkündung beim Kartenlegen. Sie stützt die Darstellung ihres Entsetzens immer auch auf den Einsatz ihrer gesamten Körperlichkeit, wobei sie beim Vortrag durch die Publikumsreihen geht. Hayoung Ra und Lanlan Zhang als Frasquita und Mercedes, die beiden anderen Zigeunerinnen, sind ein wunderbarer Kontrast in ihrer zunächst unbelasteten Spielfreude und ihrem Schreck über Carmens Todesahnung.

Ebenfalls aus Così fan tutte präsentieren Natalija Valentin und Nora Kazemieh mit ihren Handys eine fröhlich-unbeschwerte Tinder-Szene, indem sie ziemlich aufgekratzt und mehr als animiert ein potenzielles Date nach dem anderen von ihrem Smartphone wischen, um bei der bekannten Überkreuzsituation zu landen – ein wunderbar noch komplett schwereloser, und jugendlich-ahnungsloser Beginn des Verwirrspiels.

Eine andere Variante gelingt Qin Zeng mit dem quasi zum Duett geweiteten Zwiegesang der Sesto-Arie Parto aus Mozarts La Clemenza di Tito. Counterpart für das aufwändige Instrumentensolo des Stücks auf der Bühne ist der Klarinettist Roman Gerber. Eine Realisation, die auch Peter Sellars in seiner Amsterdamer Produktion der Oper so umgesetzt hat. Zeng und Gerber gelingt ein hinreißendes Duett aus Stimme und Instrument, wie es zwei menschliche Stimmen beseelter nicht hätten gestalten können.

Frappierend auch die auf den Kopf gestellte Szene Jaquinos und Marzellines aus Fidelio. Hier bedrängt eigentlich Jaquino seine Angebetete mit dem Ziel der baldigen Hochzeit. Doch Marzelline fordert ihn hier – gegen die Textfassung – fortwährend auf, sich zu erklären. Das geschieht mit einer derart keck-herausfordernden Art, dass die Szene das gesamte männliche Insistieren umdreht und in Zeiten der #metoo-Bewegung sozusagen eine zeitgemäße Umsetzung sicherstellt, wenn man so will …

Einen Verdi der besonderen Art bietet Songyan He: nach einem fuck-you-Video über Donald Trumps Äußerungen zu Frauen, in dem er Trump mit dem üblen Charakter des Herzogs aus Rigoletto vergleicht, singt und spielt er die Figur des Duca wie in einer Übersprunghandlung als aufreizende Frau geschminkt und mit so höchster Lust an der Travestie, dass man leicht erkennen kann, dass der Regisseur ihn dazu nicht lange überreden musste. Wenn die Idee nicht überhaupt von ihm selbst kam.

Tamara Smyrnova hingegen präsentiert sich mit zwei Szenen aus Gian Carlo Menottis The Old Maid and the Thief sowie als Margherita aus Boitos Mefistofele überzeugend als Spezialistin für belastete Charaktere in schwierigen menschlichen Situationen von Selbstbetrug, Ausweglosigkeit und Zusammenbruch.

Und als ob das alles noch nicht genug ist, gibt es auch noch einen beeindruckenden Händel: Dorothea Koch und Qin Zeng überzeugen mit einer Szene aus Semele.

Der Abend beschert damit neben den hohen gesanglichen Leistungen viele kreative szenische Umsetzungen, die in ihrer Bandbreite beeindrucken. Ganz fokussiert auf Stimme und Spiel, und gerade deshalb darstellerisch fordernd. Singen an der Rampe ist danach gar nicht mehr vorstellbar. Was für ein Goldfischbecken für Opernregisseure mit einer satten Auswahl an jungen Sängerdarstellern, die sie je nach ihrem persönlichen Stil sofort zu ihren nächsten Produktionsplänen einladen können!

Achim Dombrowski